Anlässlich des Jahresthemas 2009|2010 „Evolution in Natur, Technik und Kultur“ ist kritisch zu prüfen, ob sich der Begriff „Evolution“ für eine Anwendung auf Phänomene der Geistes- und Sozialwissenschaften eignet. Ein vorzügliches Feld für solche Untersuchungen, die zugleich einen präziseren Umgang mit dem Evolutionsbegriff und eine genauere Vorstellung von seiner Leistungsfähigkeit zur Folge haben könnten, sind das Phänomen der Religion und die allgemeine Religionsgeschichte.
Schon in den 1960er Jahren vertrat der Religionssoziologe Robert N. Bellah die These, dass sich die allgemeine Evolution menschlichen Verstehens in der Religionsgeschichte spiegelt. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Entstehung eines Bewusstseins für Transzendenz in verschiedenen Weltgegenden und Religionen im ersten Jahrtausend v. Chr. Zugleich erfolgte eine Trennung von göttlicher und menschlicher Königsherrschaft. Dies könnte bedeuten, dass sich die Entwicklung der Religionen nach dem Paradigma der Evolution vollzieht. Demnach hat vor allem die Entstehung des Konzepts der Transzendenz eine entscheidende Mutation von Religion ausgelöst, die einen deutlichen Selektionsvorteil für manche Religionen mit sich brachte. Bellah unterscheidet die fünf Hauptphasen: Stammesreligionen, archaische Religionen, historische Religionen, frühneuzeitliche Religionen und schließlich moderne Religionen.
Die Tagung überprüft dieses Entwicklungsmodell im Licht aktueller Debatten auf die Tauglichkeit des zugrunde gelegten Evolutionsbegriffs und des Umgangs mit der Evolutionstheorie. Im Kontext allgemeiner Religionsgeschichte wird gefragt, ob bestimmte Stufen der kognitiven Entwicklung bestimmte Stufenbildungen in der Religionsgeschichte zu erklären vermögen. Diskutiert werden die Angemessenheit des Stufenkonzepts sowie die Probleme und Chancen einer solchen religionshistorischen Charakterisierung. Es sollen zudem andere Deutungen von Phänomenen der Religionsgeschichte vor dem Hintergrund des Evolutionsparadigmas aufgegriffen und kritisch diskutiert werden.
Leitung: Prof. Dr. Hans Joas, Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt
Organisation: Anita Hermannstädter M.A., Koordinatorin des Jahresthemas 2009|2010: Evolution in Natur, Technik und Kultur, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Die Tagung ist ausgebucht. Bitte besuchen Sie das FORUM zum Tagungsthema ab 18.30h im Leibniz-Saal.
Die Tagung wird gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung.
PROGRAMM
Ab 09.00 Uhr Registrierung
09.30 - 10.00 Uhr
Begrüßung durch Prof. Dr. Klaus Lucas, Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Einführung durch Prof. Dr. Hans Joas
10.00 - 10.45 Uhr
"Kreationismus" - Wie neue Wissenschaft religiösen Wandel stimuliert
Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf, Evangelisch-Theologische Fakultät, Ludwig-Maximilians-Universität München
Abstract
10.45 - 11.30 Uhr
Lokalreligionen und religiöse Evolution.
Zur Geschichte eines wissenschaftlichen Paradigmas
Prof. Dr. Karl-Heinz Kohl, Institut für Historische Ethnologie, Goethe-Universität Frankfurt am Main
Abstract
11.30 - 12.15 Uhr
Vom Poly- zum Monotheismus: Evolution oder Revolution?
Prof. Dr. Dr. h.c. Jan Assmann, Institut für Ägyptologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Abstract
Pause
14.00 - 14.45 Uhr
Achsenzeit. Die Entstehung der Idee der Transzendenz
Prof. Dr. Hans Joas, Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt
Abstract
14.45 - 15.30 Uhr
In welchem Sinne haben sich Christentum und Islam in der Spätantike "entwickelt"?
Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Markschies, Lehrstuhl für Ältere Kirchengeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin
Abstract
Pause
16.00 - 16.45 Uhr
Die Entwicklung des Konfuzianismus und die Religion.
Anmerkungen zu einer umstrittenen Thematik
Prof. Dr. Heiner Roetz, Fakultät für Ostasienwissenschaften, Ruhr-Universität Bochum
Abstract
16.45 - 17.30 Uhr
Evolution der Reformation
Prof. Dr. Wolfgang Reinhard, Max-Weber-Kolleg, Universität Erfurt
Abstract
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