Die Entschlüsselung des Genoms einer ganzen Vielzahl von Spezies weckt seit Jahren sowohl Hoffnungen als auch Befürchtungen im Hinblick auf deren mögliche Manipulation. Dass der Mensch in bisher ungeahntem Ausmaß in den Lauf der Evolution eingreift, scheint keineswegs mehr bloße Utopie angesichts der Versuche der Synthetischen Biologie, organisches Leben zu planen, zu gestalten und im Labor zu züchten. In welche Szenarien diese Entwicklung in der Zukunft münden wird und welche Folgen sich aus ihr ergeben könnten, lässt sich heute nur schwer erahnen, nicht zuletzt da sich Zukunftsfragen in vielerlei Hinsicht wissenschaftlichen Herangehensweisen entziehen. Das Forum „Leben 3.0 und die Zukunft der Evolution“ lässt daher sowohl die Wissenschaft als auch die Kunst zu Wort kommen. Nichts weniger als die großen Zukunftserzählungen des Lebens stehen zur Diskussion, geleitet von der Frage nach den Wechselwirkungen zwischen gegebener gesellschaftlicher Wirklichkeit und projizierter Zukunft sowie den Interessen der maßgeblich beteiligten Akteure.
PROGRAMM
Begrüßung
Prof. Dr. Randolf Menzel
Akademiemitglied
Institut für Biologie, Freie Universität Berlin
Kurzbeiträge
Die Vergangenheit der Evolution
Prof. Dr. Hans-Jörg Rheinberger, Akademiemitglied, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin
In der Geschichte der Evolutionstheorie herrscht eher die Meinung vor,
dass über die Zukunft der Evolution nur vage, wenn überhaupt Aussagen
gemacht werden können. Der Titel des Forums suggeriert das
Gegenteil. Hat sich die Situation heute geändert?
Die Animalisierung des Menschen
Prof. Dr. Kerstin Palm, Institut für Energietechnik, Technische Universität Berlin
Die Darwinsche Evolutionstheorie hatte und hat bis heute ambivalente
Auswirkungen auf die Formulierung eines wissenschaftlichen
Menschenbildes. Auf der einen Seite bewirkte sie einen außerordentlichen
Animalisierungsschub, der zu einer massiven Zurücknahme menschlicher
Selbstbestimmungsmöglichkeiten zugunsten eines Entwurfes vom Menschen
als überwiegend triebgeleitetem Wesen führte. Auf der anderen Seite
konnte mit evolutionstheoretischen Begründungen eine neue säkulare Idee
vom exklusiven Humanen entworfen werden, welches gerade durch die
Bindung an das Biologische zur Souveränität und Autonomie bestimmt ist.
Der Beitrag skizziert zentrale Argumente dieser beiden Positionen, die
bis heute die Kontroversen um die Bedeutung der Evolutionstheorie für
das Selbstverständnis des Menschen bestimmen.
„Kondensieren Sie Ihr Zeug nur, eines Tages wird’s schon krabbeln“
Reiner Maria Matysik, Bildender Künstler, Berlin/Braunschweig
Die Kurzvorstellung der Planung und Realisation der Ausstellung „jenseits des menschen“ zeigt die Objekte, die in Auseinadersetzung mit dem Medizinhistorischen Museum der Charité dafür gemacht wurden. Dabei wurden Labortechniken ebenso eingesetzt wie das klassische Verfahren der Moulagenherstellung. Durch den künstlerischen Zugriff auf moderne Medizintechnik wurde für das Projekt zudem menschliches Gewebe gezüchtet und als „lebende Skulptur“ neben den Wachsarbeiten ausgestellt. Das Ziel dieses Vorgehens war die Herstellung eines neuen lebendigen Systems aus eigener Körpersubstanz des Künstlers. Die Arbeit, die nach eine Biopsie mit seinem Gewebe durchgeführt wurde, macht diesen Schritt, um zu befragen, wie menschliches Leben in umfassender Weise neu geplant, gestaltet und gezüchtet werden kann. Die Moulagentechnik, die der äußeren Gestalt und Anmutung von menschlicher Substanz ähnlich erscheint, wurde eingesetzt, um mögliche reduzierte Formen des menschlichen Körpers vorstellbar zu machen. In seinem Beitrag fragt der Künstler Reiner Maria Matysik nach dem schöpferischen Potenzial der aktuellen Verfahren der Biotechnologie und der Gewebezüchtung, das neue künstlerische Ausdrucksformen bereithält und zu einer neuen Verbindung zwischen Kunst, Wissenschaft und Gesellschaft führen könnte.
Synthetische Biologie:
Konkurrenz für die Evolution?
Dominik Niopek / Stephen Krämer, iGEM-Team Heidelberg, Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Lange
Zeit war die Vielfalt des Lebens das
Ergebnis der Möglichkeiten und Grenzen der Evolution. Man könnte
die These
formulieren, dass längst ein unter dem gestaltenden Einfluss des
Menschen
stehendes Leben 2.0 entstanden ist, vertreten durch gezüchtete und
gentechnisch
veränderte Organismen. Birgt die Synthetische Biologie das
Potential für ein
Leben 3.0, das vom Menschen nicht durch Modifikation von
Vorhandenem, sondern
durch rationale Neugestaltung geschaffen wird? Wie würde sich ein
solcher
Fortschritt auf die Natur und auf unsere Gesellschaft auswirken?
Welche
ethischen Rahmenbedingungen für die modernen Biowissenschaften
werden benötigt?
Der Beitrag will und kann keine befriedigende Antwort auf diese
kontroversen
Fragen geben, sondern lediglich ein Anstoß zur Diskussion sein.
Einen Bericht der ZEIT (vom 4.11.2010) zum diesjährigen iGEM-Wettbewerb finden Sie hier.
Ab 20.00 Uhr Podiumsdiskussion
mit den Referenten
Moderation: Dr. Ingeborg Reichle, IAG Bildkulturen, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Das Forum „Leben 3.0 und die Zukunft der Evolution“ findet im Rahmen des gleichnamigen Tagungs- und Ausstellungsprojektes des Jahresthemas 2009 | 2010 „Evolution in Natur, Technik und Kultur“, der Interdisziplinären Arbeitsgruppe „Bildkulturen“ der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sowie in Kooperation mit dem Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité und dem Künstler Reiner Maria Matysik zum Berliner Wissenschaftsjahr 2010 statt.
Die Ausstellung „jenseits des menschen“ wurde von Ingeborg Reichle kuratiert und zeigt Arbeiten von Reiner Maria Matysik noch bis zum 9. Januar 2011 im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité. Diese Ausstellung reiht sich ein in die Serie „Interventionen“, die das Museum 2009 initiiert hat, um der Gegenwartskunst ein Experimentierfeld zu eröffnen und den Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft zu befördern. Die Ausstellung wird von einem Katalog (deutsch/englisch) begleitet mit Beiträgen von Inga Franke, Anita Hermannstädter, Reiner Maria Matysik, Ingeborg Reichle und Thomas Schnalke.