Auf einem Scheunflur zwischen Weimar und Erfurt, den 28. Oktober 13
Ich kann Ihnen nicht beschreiben, teuerste Mutter, mit welcher Freude ich Ihren Brief vom 18. September aus Steinort erhalten habe. Sie dort zu wissen, in dem alten Asyl meiner Väter, auf dem stillen und zurückgezogenen Eilande, das emblême der Ruhe und des Friedens, gewährt mir ein wohltuendes und beruhigendes Gefühl voraus in dem unfriedlichen Gewühl, in dem ich hier lebe. Möge Ihr Aufenthalt dort Ihnen nicht gar zu langweilig und allzu sehr lästig werden.
Ich habe mich recht gemüht, beste Mutter, Ihren mir so lieben Brief eher beantworten zu können. Dieser Scheunflur ist aber wahrlich das erste Obdach, welches ich seit mehreren Wochen ergattern konnte. Keine Worte drücken das Leben aus, welches wir führen, und käme die Kraft nicht von oben herab, so wären wir längst der Mühe und Not unterlegen. Seit dem 14. August hat die Armee noch kein Obdach gesehen. Wie mir abgesagtem Feinde des Bivouacquirens das tut, können Sie sich denken, liebe Mutter. Gewiss ist seit Alexander dem Großen her noch kein Krieg mit dieser Energie, mit diesen Opfern geführt worden, als der jetzige. Aber auch nie war ein größeres Mobil vorhanden. Freund und Feind schlägt sich vortrefflich, unsere Armee besteht wahrlich aus Helden. Mit solcher Resignation, solchem Edelmut, solcher kalten Verachtung des Lebens wie dieser gemeine Mann ficht, hat noch nie eine Nation gekämpft. Für uns Offiziere ist dieses unerreichbar. Ehre, Pflicht, Belohnungen sind uns Schadloshaltungen genug für Leben. Was hat der gemeine Mann? Kämen uns unsere Alliierten nur entfernt bei, so existierte von Napoleon und seiner Armee wahrlich kein Überbeibsel mehr. Das sind aber zum Teil betrübte Helden. - Gott ist mit uns, Gott tut alles, Gott gibt den Geist der Nation, Gott verdirbt Napoleon und seine schändliche Regierung, Gott leitet nach seinem Willen das Kleine und das Große. Das glauben Sie, liebe Mutter, davon seien Sie überzeugt, wie ich es jetzt bin, den ich sehe täglich die unleugbaren Beweise davon.
Ich will Sie nicht mit politischen und kriegerischen Neuigkeiten unterhalten, liebe Mutter, es ist zu viel für einen Brief. Sie erfahren alles besser und eher durch die Zeitungen, welche jetzt nicht zu lügen brauchen, denn es geht alles so überaus gut und glücklich, dass die Wahrheit schon des Lobes genug enthält, schade nur (oder auch nicht schade!) für die vielen Opfer, welche fallen! Ohne Mühe und Opfer wird ja nichts Großes errungen! Wir hatten bei Leipzig 3 fürchterliche Tage geschlagen und keine Beschreibung drückt das aus, was meine Augen gesehen. Deshalb einst mündlich darüber, wenn Gott mir das Leben erhält. Das Resultat dieser Tage werden Sie aus den Zeitungen wissen. Seitdem sind wir schon im ewigen Verfolgen und täglichen Gefechten bis hierher nahe an Erfurt gekommen. Es war zu vermuten, dass Napoleon hier neue Positionen nehmen und eine letzte Schlacht wagen würde. Heute scheint es aber, als wenn er auch diese vortreffliche Stellung verlassen wolle. Ich glaube, dass er schon zu sehr geschwächt ist, und dann macht der Abfall der Bayern ihm eine gar zu mächtige Diversion in seinem Rücken. Die Sachsen, welche vor 8 Tagen noch gegen uns fochten, machen jetzt einen Teil unserer Armee aus. Ich habe selber ein Sächsisches Landwehr-Regiment unter meiner Brigade und habe schon vorgestern ein kleines Gefecht mit diesen neuen Verbündeten gehabt, welche sich recht gut schlagen.
Was mein Individuum betrifft, so hat Gott bisher gnädig sich meiner angenommen,
mir geholfen, wenn es galt, mich beschirmt in sehr kritischen Momenten. Ich
stehe mit meinem Regiment und jetzt mit noch 2 anderen, die ich führe, bei der
Avantgarde unter Nach Schultze führte zu dieser Zeit Oberst von
Jürgaß die Avantgarde.
Oberst von Katzeler war bei
Möckern verwundet worden und kehrte erst im Dezember zur Armee zurück,
vgl. ebd., S. 498.
[Schließen]General Katzeler
, profitiere daher von jedem Gefecht,
welches Gott gibt, und führe wenn auch nicht ein sehr bequemes und angenehmes,
doch ein sehr tätiges Leben. Ich betraure schon viele der mir anvertrauten
Kinder meines Vaterlandes. Mögen die Väter nicht mir die Schuld ihres Todes
beimessen. Ich sowie sie taten nur unsere Pflicht, und ich habe mir nicht
vorzuwerfen, sie unnütz geopfert zu haben. Auch habe ich mir schon das Eiserne
Kreuz verdient, es freut mich, weil ich es wirklich verdient habe, und nicht so
à la douzaine erhalten. Ich habe bei Leipzig 7 Kanonen mit einer Eskadron des Regiments genommen,
auch einen russischen Orden habe ich erhalten, auf den ich nicht viel Wert lege.
Seine Schwester Pauline war am 2. März 1813
verstorben
[Schließen]Ach warum sollte meine verklärte Pauline diese schönen Tage nicht mehr
erleben! Gott hat es nicht gewollt. Vielleicht sieht sie
aus des Himmels Höhen den Werken der Erde zu und betrachtet sie aus einem
anderen Gesichtspunkte als wir. Doch hätte ich es sehr gewünscht, wie gerne
hätte ich sie wiedergefunden - wenn mich Gott zurückführt, ihr gesagt, wie alles
war, mich mit ihr gefreut, noch diesen wichtigsten aller Momente erlebt zu
haben, nach dem wir uns im Leben so oft sehnten - es sollte nicht so sein. Gott
wollte es nicht und gewiss ist es nicht ohne Grund, so wie ihr Scheiden bitter,
Die verwitwete
Obermarschallin Charlotte Amalie Gräfin
von Dönhoff war 1813 nach langer Krankheit in Königsberg
verstorben.
[Schließen]und das der Friederike und der Obermarschallin
ihres süß war, vielleicht büßte sie dadurch eine leichte
Schuld des Lebens ab, und thront nun rein und verklärt im Firmament auf einer
Stufe, die andere noch nicht erreicht haben.
Die Beschreibung Ihrer Reise, die Ihres Seins und Treibens im häuslichen
Steinort hat mir einen recht
süßen Augenblick gewährt. Vielleicht gewährt mir das Schicksal einst und
vielleicht bald das Glück, selber Sie dort bewirten, dienen, lieben zu können.
Ich hoffe, dass Berent und alle
Bewohner von Steinort alles anwenden
werden, um Ihnen ihren dortigen Aufenthalt erträglich zu machen. So in der
Vorlage
[Schließen]... Dass Moreau tot ist, wissen Sie. Der Kronprinz von Schweden entspricht keineswegs den Hoffnungen,
welche man auf ihn setzte. Einige wollen ihn geradehin des Verrats anklagen. Ich
glaube es nicht, und fürchte eher, dass er die Schwäche so vieler Generale
teilt, welche sich einen Ruf erworben haben und fürchten, ihn zu verlieren. Sie
wagen nichts, und da freilich sticht er gegen die ab, welche alles wagen, um
alles zu gewinnen. Unser Armeekorps zog mit 48.000 Mann zu Felde. Heute sind wir
noch 12.000 stark. So geht es freilich keinem anderen, aber auch keins hat das
geleistet. - Ich fürchte, teure Mutter, dass Sie an mich absenden, denn ich habe
auf mehrere Artikel meiner Briefe von Ihnen keine Antwort erhalten. Ich bitte
Sie daher, die Briefe, welche Sie mir künftig adressieren, zu nummerieren, so
wie ich es tun werde, und fange mit diesem an, damit ich weiß, ob ich nicht
einen verliere. Denn ich bin geizig auf jede Zeile, die ich von Ihnen
erhalte.
Ein beinahe noch hartnäckigerer Feind als unsere Gegner mit den Waffen in der Hand ist die abscheuliche Witterung, gegen die wir zu kämpfen haben, ein ewiger Regen, Wind, Nebel et tous les frimas quälen uns Tag und Nacht. - Alles währt ja nur eine Zeit und Gottes Liebe in Ewigkeit, das ist mein Trost. Endlich muss denn doch auch dieses Leben enden und wir einmal wieder Kantonierungen beziehen, und sollte es auch erst sein, wenn wir den Erbfeind vom deutschen Boden herunter haben. Denn dieses Leben hält auf die Länge keiner aus, weder Freund noch Feind. Der Ruin, die Verheerungen, die Gräuel dieses armen, unglücklichen Landes sind ein anderer Grund des Kummers für mich. Könnte ich meinen guten Berent, der immer so klagt, nur eine Viertelstunde dieses Elend sehen lasen, so würde er getröstet nach Hause gehen!
Gott mit Ihnen, meine himmlische Mutter und mit uns allen!
Ihr ewig treuer Sohn CarlZitierhinweis