Schwerin, den 14. April 71
Verehrte Gräfin!Ich beeile mich, Ihren Brief sofort zu beantworten, um Ihnen recht dringend abzuraten, dieses Frl. Thiele zu engagieren. Sie ist zwar ein sehr gewinnendes Wesen, ist äußerst praktisch und ordnungsliebend, das ist aber auch alles, was ich rühmen kann. Sie ist ein ganz unehrlicher Charakter, hat mir Unwahrheiten gesagt, wo ihr solche passten, und sie ist keineswegs, was ich eine christliche Person nenne. Sie ist maßlos heftig, wird einzig von ihren Launen geleitet, hat meine Kinder körperlich gestraft und an den Ohren gezogen, sobald mich der Dienst aus dem Haus rief. Selbstlos und liebevoll ist sie keineswegs, ihre einzige Lektüre Romane.
Ich beklage sehr, dass ich mich in den ersten Monaten von ihr täuschen ließ; sie kam Mitte Sommer 70 und Neujahr 71 wurde mir klar, was ich an ihr habe und brach das Verhältnis ab. Trotz vieler Vorstellungen beharrte sie auf ihrem Weg, isolierte sich und meine Kinder mehr und mehr von mir, kehrte sich an keine meiner Einrichtungen und Wünsche, und wie ich nachträglich von den Kindern hörte, erlaubte sie sich allerlei Tadel dagegen auszusprechen. Sie sollte bis Mai bleiben, allein es fielen so fatale Dinge vor Ende März, dass ich sie am 1. April entließ. Es tut mir leid, dass ich Ihnen, liebe Gräfin, nichts besseres berichten kann und Sie nun von neuem suchen müssen. Gouvernanten - diese fatale Notwendigkeit - sind rasend schwer zu finden, und sind auch die besten zumeist unbequem im Haus, insofern ein fremdes Element immer mit in Kauf zu nehmen ist. Ich freue mich schon jetzt auf die Zeit, wo auch meine Älteste keine mehr braucht.
Es freut mich sehr, meine liebe Gräfin, dass Sie noch eine Erinnerung an mich bewahrt haben, und stehen Sie mir noch lebhaft vor Augen, obgleich es recht lange her ist, dass wir uns gesehen haben. - Leben Sie recht wohl und gestatten Sie mir, mich Ihnen angelegentlich herzlichst zu empfehlen.
Ihre ganz ergebene P. v. Bülowgeb. Gräfin Linden
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