Karlsbad, am 12. Mai 71

Hochzuverehrende Frau Gräfin!

ich küsse Ihnen tausendmal die Hände über die Freuden viele, die mir beim Empfang Ihres Briefes geworden. Oh wie glücklich macht mich das, wenn Sie so freundlich zu mir reden und ich bete zu Gott, dass, so wie er mein teures Grafenhaus allzeit segnen wolle, auch ich mich, so lang ich lebe,  Borkowski erhielt - ebenso wie der gräfliche Sekretär Pfeiffer - mehrfach hohe Darlehen von den Lehndorffs, vgl. LASA, StA L, Bestand 21950 FA Lehndorff, Nr. 302 (Schuldscheine)
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an Ihrer Gnade erquicken darf.
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Dass Frau Gräfin sich wohler fühlen, ist dem Herrn zu danken, aber sollte dann ein längerer Aufenthalt in der schönen gesunden Bergluft, etwa bis in den September hinein, nicht Wunder an Ihnen tun? Freilich, unser Steinort ist so lange verwaist und es fehlt die Seele eines Lebens voll Glauben und Liebe.   Editorische Auslassung [...]

Auch den Kindern bekommt ja die Bergluft zusehends. Von Komtess Anna, die ich hoch verehre, haben Frau Gräfin mir nichts mitgeteilt. Ist sie ganz wohl? Womit beschäftigt sie sich? Liegt sie den Wissenschaften ob? Malt sie, zeichnet sie, spielt sie, singt sie, macht sie Handarbeit? - Verzeihen Sie, dass ich so speziell frage, ich habe die liebe, liebe Komtess aufwachsen sehen. - Carol halte ich für ein kräftiges Kind und seiner immensen geistigen Regsamkeit müssen die Nerven des Körpers dienen. Je mehr Stunden ihm deshalb Körperstärkung gewährt werde, umso leichter stellt sich das richtige Maß der Wechselwirkung von Geist und Körper her. Doch was wollen wir hierzu sagen? Befehlen wir ihn wie Ihre teuren Kinder alle in die Hand des Höchsten! - An Herrn Grafen will ich selbst schreiben ihn zu bitten, dass er bis zum 9. Juli in Steinort bleibe. Am 18. d. M. soll der  Anlass war die Ratifizierung des Friedensvertrages von Frankfurt.
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Friedensgottesdienst
in allen Kirchen gehalten werden; ich habe meiner Gemeinde ankündigen lassen, dass ich selber mit ihr dem Herrn ob seiner Wunder danken will, und da ich am 7. Juli meine Kur beendigt habe, kann ich am 9., so Gott will, in meinem lieben Kirchlein schon fungieren. Wie schön denn, wenn der Patron, der am Krieg so tätigen Anteil genommen, mit uns dankt und betet. Helfen Sie mir, hochverehrte Frau Gräfin, den Herrn Grafen zu bestimmen, dass er bleibe.

Von Karlsbad fahre ich am 19. d. M. nach Teplitz und nehme dort noch 20 Bäder (täglich 2), und dann will ich ohne Aufenthalt nach Haus. Viele Ostpreußen sind hier - sie haben meinen Namen in der Kurliste gelesen und mich gesucht. Aam liebsten gehe ich allein in den Wäldern umher und denke an mein liebes Rosengarten, an mein armes Weib, das nicht bei mir sein kann, an meine Gemeinde, die mir beim Abschied am Himmelfahrtstag so reiche Segenswünsche mitgegeben hat und schon nach meiner Rückkehr fragt, an meine Seelen, die nun ohne die rechte Aufsicht sind, an die Blüten auf meinem Kirchenberg und in meinem Garten pp., und dann stehen mir schwere Tränen in den Augen.   Editorische Auslassung [...]

Da meine Frau mir täglich schreibt, so bin ich von allem, was dort vorgeht, wenn auch drei Tage später, informiert. So kann ich Ihnen denn auch manches von zu Haus berichten.   Editorische Auslassung [...]

Wie steht es mit der Einrichtung der Erziehungsanstalt in Rosengarten? Das Witwenhaus ist von Michaelis d. J. zu haben, wenn Herr Graf nichts anderes befielt.   Editorische Auslassung [...]

Mit den herzlichsten Wünschen, dass sie gestärkt wieder zu uns kommen, und mit meinen Empfehlungen an Frau Gräfin Reichenbach und Ihre Kinder bin ich in tiefster Ergebenheit Ihro Hochgeboren gehorsamster Diener Borkowski

Zitierhinweis

Johann Carl Borkowski an Anna Gräfin von Lehndorff. Karlsbad, 12. Mai 1871. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_y22_c5b_ycb