Hotel Dusaux, Moskau, 15./27. Februar 1877
Hochgeehrter Herr Graf!
Wild hat eigentümlicherweise Ihnen,
meiner Frau und mir über Herrn
Jansen geschrieben. Dr. Jansen ist
wenigstens so viel als Dielitz, er ist
ein höchst achtbarer Mann, ein Bruder und Jansen hatte im November 1875 das Beweisaufnahmeverfahren „In
Sachen des Königlichen Justizrat von Groddeck in Bromberg Kläger wider 1. den Rittergutsbesitzer
Dr. Bethel Strousberg
in Berlin, 2. den Herzog Victor von
Ratibor Fürsten von Corvey ebenda, 3. den Herzog Hugo von Ujest Fürsten von
Hohenlohe ebenda, 4. den Legationsrat a. D. und
Rittmeister Grafen von
Lehndorff auf Steinort“ sowie die Rumänische
Eisenbahnen-Actien-Gesellschaft im Berliner Stadtgericht
eröffnet. Die Verklagten wurden solidarisch „gegen Rückempfang der
nachstehend aufgeführten fünf Stück 7 1/2 % Rumänischer
Eisenbahnobligationen im Nominalbetrag von je 400 Rtlr.“ -
4.260 Mark zzgl. der Prozesskosten - verurteilt, vgl. GStA PK, XX. HA,
Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, n. f.
[Schließen]Erbe des
verstorbenen Konkursverwalters Jansen, den ich persönlich als einen wahren, guten,
edlen Menschen kenne, der den größten Teil seines Vermögens den ihm
anvertrauten Schuldnern geopfert hat. Ich zweifle,
ob die trockene Herzlosigkeit des Herrn Dielitz damit zu vergleichen ist. Dr.
Jansen ist mir nicht bekannt, ist mir aber durch einen hiesigen Freund, einen
Verwandten, rekommandiert; derselbe hat kein anderes Interesse als mir zu
dienen, da er keine Renumeration beansprucht oder empfangen würde. Allen
Anzeichen nach hat er denselben Charakter wie sein Bruder. Durch seine und
seines Bruders langjährige Beziehungen zum Konkursgericht dort hat er Einfluss,
wo ich ihn brauche. Er bezieht sich auf die Generalversammlung, die
vor dem 21. November stattgefunden haben muss, und auf der Lehndorff
Strousbergs Wünsche vertreten sollte, wie er dem „lieben
Wild“ am 21. November 1875 mitteilte (Bl. 5-7v).
[Schließen]Der Grund, warum ich Herrn Jansen
gebeten habe mich zu vertreten ist, dass nach meiner Meinung alles bis
jetzt gegen mein Interesse geschehen war und ich wünsche, dass er
vorbereitend wirke und er das Nötige konstatiere, damit ich, wenn ich
zurückkomme, die mir geeignet erscheinenden Schritte nehmen kann. Im
Wesentlichen ist das Geschehene nicht gut zu machen.
Vieles ist mir indessen nicht gleichgültig. Es ist mir nicht egal, dass meine
Güter Unleserliche Stelle [...]
verschleudert sind; dieses muss ich beweisen, um
zu beweisen, dass meine Masse eine
bessere hätte sein können. Ich weiß, Herr Graf, dass niemand für mich ein so
stetes und mich zu Dank verpflichtendes Wohlwollen an den Tag gelegt hat als
Sie, unglücklicherweise sind Ihre Überzeugungen mir aber in manchen Sachen
ungünstig. Sie haben z. B. keine Meinung von dem Werte meiner Güter und noch
weniger von meinem Verständnis für die Bewirtschaftung. Ich finde dies
natürlich. Als Edelmann, Besitzer eines alten Familiengutes, müssen Sie anders
denken als ich, nicht hinsichtlich einer konservativen Bewirtschaftung, sondern
bezüglich einer eigenen Bewirtschaftung überhaupt. Ein Majorat stirbt nicht und
der Besitzer hat Zeit, mit der Bodenkultur vorzugehen, ich wollte aber in einer
Zeit großer geschäftlicher Erträge die Kultur beschleunigen, damit ich, wenn ich
mich zur Ruhe setze, fertige, ertragsfähige Güter besitze. Ich weiß, dass dieses
viel kostet, ich war aber in der Lage, dieses zu ertragen; im Resultate in Folge
unvorhergesehener Unglücksfälle habe ich es nicht ausgehalten. Die Felder waren
aber nicht falsch angelegt. Der Reichtum lag im Boden, die Erträge waren
ziemlich sicher und solche Güter dürften nicht zu ungünstige Zeiten auf den
Markt gebracht werden.
Es ist kein Beweis besonderer Fürsorge für mich, dass Dielitz eine höchst
konservative Wirtschaft überall außer in Diepensee geführt hat. Aber hier war mein Sohn, dort die
Disconto-Gesellschaft interessiert.
Dieser gegenüber beugt sich alles und der kluge Mann, welcher meinen Sohn bei
Diepensee und mich bei Neustadt zu
schädigen weiß, hat es nicht vermocht, In seinem
Widerspruch zur Einkommensteuererklärung 1875 verweist Lehndorff darauf,
dass er durch „eine der Berliner Disconto-Gesellschaft und der
Deutschen Aktiengesellschaft gegenüber übernommenen
Hypotheken-Garantie in einen Verlust von 160.000 M geraten“
sei, LASA, StA L, Bestand 21950 FA Lehndorff, Nr. 286, Bl. 12. Hierzu
auch: GStA PK, XX. HA, Rep. 54 Gutsarchiv Lehndorff-Steinort, Nr. 285
(intus: Vertrag der Rumänischen Eisenbahn AG mit Strousberg, Berlin, 27.
April 1872; Vertrag mit der Deutschen AG für Bergbau-, Eisen- und
Stahlindustrie, Berlin, 27. Mai 1874) und Burhop, Carsten, Die
Kreditbanken in der Gründerzeit, Wiesbaden 2004, S. 222 ff.
[Schließen]verbrecherischen Machinationen seitens der
Disconto-Gesellschaft bei Peißen und
anderweitig vorzubeugen. Die Herren, die nicht mitgeboten und von der Disconto
gekauft haben, sind trotz der Mehrzahlung sicher nicht der Meinung, dass sie
teuer bezahlt haben. In Diepensee werden Stroh und Kartoffeln verkauft und das
Gut Unleserliche Stelle [...]
und verwahrlost. In Peißen hat man selbst zum
Verkauf bereite Pferde zurückgelassen. Es lag kein Grund vor, die Fabrik in
Danzig für weniger als die Kessel
und Maschinen allein wert sind zu veräußern. Krasnosielce(?) konnte warten und nicht für 1/5 seines
Wertes verschleudert werden. Die Disconto-Gesellschaft war nirgends berechtigt,
die Veräußerungen zu forcieren. Herr Dielitz hat ihr das möglich gemacht. Ich
kann hier nicht logisch in Details eingehen, mein Blut kocht, wenn ich daran
denke, wie frevelhaft verfahren ist. Ich kenne zwar unsere Kammergesetze, nichts
rechtfertigt indessen die Handhabung und ich glaube nicht an deren gesetzliche
Notwendigkeit. Die vorliegenden Umstände möchten berücksichtigt werden. Den
Verkauf meines Familienbildes, worauf mein verstorbener Sohn und meine Frau und
Töchter dargestellt sind, wollte mein Sohn durch Ankauf desselben zum Tax-Preis
verhindern. Dieses abzuschlagen und das Bild in fremde Hände zu geben ist sicher
kein Freundschaftsakt. Die Inanspruchnahme der Mobilien der Elbinger Fabrik war nicht gerechtfertigt und
werde ich dieses rügen. Mir die Kassen eines Advokaten beim Kommerz-Gericht zu
refüsieren, wodurch ich in erster Zeit keine Vertretung hatte, ist unerhört.
Hätte ich gleich einen Anwalt engagieren können, so wäre die Sache hier nie so
weit gekommen. Ich kann tausenderlei aufzählen, welches mich empört und mich
wünschen lässt, endlich von jemand vertreten zu sein, der meine Instruktionen
befolgt, der fähig ist, das Kaufmännische zu beurteilen und mir behilflich ist,
das zu erreichen, was ich bezwecke:
- a.) zu verhindern, das Schurken wie Rauschning und andere nicht Forderungen geltend machen, die sie nicht haben, und so damit prahlen zu können und einen Einfluss bei neuerlicher Regelung auszuüben. Im Hinblick auf mein Renommee und eine Einigung mit meinen Gläubigern darf kein Heller mehr als notwendig anerkannt werden;
- b.) die Interessen meiner Frau wahrzunehmen;
- c.) einleitend für die Beseitigung des Konkurses zu wirken;
- d.) Schritte zu verhindern, die Schaden bringen, andere wie die Vgl. Glagau, Otto, Der Börsen- und
Gründungsschwindel in Berlin, Leipzig 1877, S. X.
[Schließen]Klage gegen Hannover-Altenbeken zu veranlassen und - e.) mir verdächtig Erscheinendes zu klären.
Ich bezweifle, ob Herr Jansen Wesentliches hierbei vor meiner Rückkehr wird ausführen können, er wird sich aber teilweise orientieren, die nötigen Verbindungen anknüpfen etc. und alles andere wird dann meine Sache sein. Ich habe auch hierbei noch ins Auge gefasst, der Disconto-Gesellschaft ihre Schurkenstreiche und ungebührenden Beeinflussungen nachzurechnen, damit sie von Ihnen nichts fordern kann.
Inwieweit diese möglich sein wird, weiß ich nicht, so viel wird indessen sich
ergeben, dass man den eventuellen Richter gegen sie einnehmen kann, denn im
Augenblick sind unsere großen Bankiers und Institute geheiligte Personen bei
Richtern und Beamten, sonst müsste Herr Geheimer Finanzrat Wilkens im Verwaltungsrat der
Disconto-Gesellschaft laut meiner Äußerung Dr. Strousberg und sein Wirken,
von ihm selbst geschildert, erschienen im September 1876.
[Schließen]in meinem
Buche,
die auf absoluten Tatsachen beruht, zur Untersuchung gezogen worden sein und die
Disconto würde für die Handhabung ihrer Emissionen während der Gründerperiode in
England unbedingt des Betrugs und der Verschwörung
schuldig
[Schließen]as guilty of fraud an conspiracy verurteilt worden sein. Kurz, aus vielen Gründen ist
mir eine klare Einsicht in alle Handlungen der Konkursverwaltung seit meinem
Hiersein wünschenswert. Mit einer solchen Bürde dürfte ich Sie nicht zu belasten
suchen. Dielitz ist mir fremd und ich glaube an ihn nicht, mein Gefühl, eine
innere Stimme, sagt mir, dass er falsch und scheinheilig ist. Ich mag mich
irren, aber, wie gesagt, eine innere Stimme warnt mich vor Dielitz und ich
glaube an das Göttliche der Seele
[Schließen]the divine of the soul und habe
immer gefehlt, wenn ich dieser Stimme nicht gefolgt bin.
Wild hat mein Vertrauen nie besessen und halte ich ihn jetzt nicht nur, wie ich dieses immer getan, für eine nicht integre intrigante Natur, sondern jetzt auch für einen absolut boshaften, bösen Menschen. Zur Erläuterung: Wild trat in meine Dienste vor über zwanzig Jahren, damals wohnte ich in der Lenné-Straße und war erst kurz vorher von England gekommen, den deutschen wie auch den Berliner Verhältnissen entfremdet. Wild war in Magdeburg Bürovorsteher bei einem Rechtsanwalt gewesen und so mit den Formen vertraut. Zur höheren Anschauung hatte ich ihn nicht nötig, denn dazu besaß ich die nötige allgemeine und juristische Bildung. Er war in Folge früheren unmoralischen, liederlichen Lebenswandels verschuldet, abgerissen und heruntergekommen, hatte schlechte(?) Manieren, wusste sich nützlich zu machen, und als ich auf seine Fehler aufmerksam gemacht wurde, heuchelte er Reue und versprach Besserung. Ich war nie streng im Richten anderer und so hoffte ich, ihn auch zu bessern. Ich fand bald, dass ihm durch seine Schulden auch nicht gänzlich zu trauen war, wo er sich durch Geschenke oder sonst helfen konnte und um ihn Versuchungen nicht zugänglich zu machen, habe ich seine Schulden von Zeit zu Zeit bezahlt, und ihn sonst wie ein ungeratenes Kind behandelt, dessen Fehler man kennt, dem man aber immer wieder von neuem verzeiht und Besserung zutraut. Später trat die Blindheit ein in Folge von anhaltenden Exzessen und hier war mein Mitleid erst recht angeregt, und indem er sich grade in Folge seiner Blindheit den Geschäften ernster als sonst widmete, glaubte ich an eine wirkliche Besserung. Kurz vor meiner Reise hatte ich indessen Gelegenheit wahrzunehmen, dass alles beim Alten geblieben und hatte schon vorbereitende Schritte getroffen, dass ihm weder meine Privatkanzlei noch die für die Zukunft bestimmten Papiere zugänglich sein sollten. Dieses gerade, weil durch Wild und einige andere die Geheimnisse meines Geschäfts aus unlauteren Motiven nicht streng geheim gehalten wurden. Deshalb wollte er nach der Rückkehr aus Moskau Wild für neue Projekte, beispielsweise Geschäfte in Paris-Narbonne, nicht mehr verwenden und in den Ruhestand versetzen, durch die eingetretene Katastrophe sei es dazu nicht gekommen. Inzwischen sei er der Überzeugung, dass Wild zu schlechten Handlungen fähig sei und seine Stellung bei Dielitz und ihm für sich ausgenutzt habe, wofür er Beispiele anführt. Alles, was er über Wild sage, geschehe im strengsten Vertrauen. - Im Folgenden schreibt er über den Stand seines Prozesses in Petersburg; er sei abhängig vom Wohlwollen des Justizministers. In Deutschland hätten Bleichröder und die Disconto-Gesellschaft großes Interesse daran, die Zbirower Werke zu bekommen. Von Deutschland aus könne er vieles besser bewirken. Es käme darauf an, und hier könne Lehndorff für ihn wirken, in Deutschland eine günstige Stimmung für ihn zu erzeugen.
Ich bin weit davon entfernt, Sie zu einer Reise anzuregen. Sie haben sich bereits viel Mühe gegeben. Da Sie indessen mich gefragt haben, so sage ich Ihnen, was nach meiner Idee mir nützen könnte.
Ich wäre auch bereit, hier schon mich mit der Liquidationskommisison bezugs der
zu machenden Offerte, im Falle mir die In Böhmen; diese gingen an die
Disconto-Gesellschaft, vgl. Glagau, Otto, Der Börsen- und
Gründungsschwindel in Berlin, Leipzig 1877, S. 62 f.
[Schließen]Zbirower Werke
gerettet werden, in Verbindung zu setzen. Zu bemerken ist hierbei,
das die Zeit außerordentlich drängt, wenn nicht alles verloren gehen soll.
Mit vorzüglichster Hochachtung Euer Hochgeboren ganz ergebener B. Strousberg
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