Magdeburg, Ende November 1757
Ich hoffe, dass der holländische Freiwillige unserer Armee, dessen Namen ich
vergessen habe, Eurer Königlichen Hoheit den Brief, welchen ich aus Leipzig an Sie zu richten wagte, übergeben
haben wird. Ich habe diese Stadt mit vielem Bedauern verlassen. Die Aufnahme des
Prinzen, Ihres Bruders, die
Höflichkeit aller, deren Bekanntschaft ich gemacht hatte, und das wunderbare
Schauspiel, soviel gefangene Franzosen zu sehen, alles dieses hatte mir Lehndorff hatte von Magdeburg aus dem Prinzen
Heinrich einen Besuch in Leipzig abgestattet. Eine Beschreibung des
Aufenthaltes in: Giebel, Tagebücher, S. 400 ff.; Schmidt-Lötzen,
Nachträge, Bd. 1, S. 147 ff.
[Schließen]den Aufenthalt zu einem der angenehmsten gemacht.
Ich habe meine Rückreise über Halle genommen, und nach
der Gewohnheit meiner Landsleute, die niemals das Schloss eines Prinzen oder
Herzogs passieren, ohne sich daselbst aufzuhalten, habe ich in Dessau diniert. Der Regent, der junge Fürst Leopold III.
Friedrich Franz von Anhalt-Dessau hatte unter
Vormundschaft seines Oheims, Prinz Dietrich, 1751 die Regierung
angetreten, die er 1758 selbständig übernahm.
[Schließen]Fürst, kurz der ganz Hof war noch im ersten Enthusiasmus und der ersten Freude,
das Glück gehabt zu haben, Sie dort zu sehen. Wir feierten in ausgezeichnetem
Ungarwein die Gesundheit Euer Königlichen Hoheit. Ganz darauf vorbereitet, nur
von Jagd und Pferden sprechen zu hören, dem alten von Vater auf Sohn
überlieferten Thema in diesem Fürstenhause, wurde ich sehr angenehm überrascht,
dass die vornehmste Unterhaltung über die triviale gesiegt hatte, denn man
unterhielt mich nur von Ihrer Güte, Monseigneur.
Denselben Abend kam ich in Zerbst an und ging noch an
den Hof zum Abendessen. Es war ein Zeremonien-Abend, mehr als 60 Personen
anwesend, die Damen sehr reich angezogen, die Prinzessinnen überdeckt mit
Steinen, kurzum, dieser ganze Hof hat den Anschein von Würde und Pracht. Die
Gemächer sind groß, gut erleuchtet, und wenn man die schönen Möbel aus China
sieht, die großen Spiegel, die Marmorvasen, die Vergoldungen und besonders Fürst Friedrich August, Bruder der späteren
russischen Kaiserin Katharina II.
[Schließen]den Herrn des Ganzen, kann man sich nicht versagen, dieses Haus mit den berühmtesten Tempeln
der Ägypter zu vergleichen, wo die trunkenen Augen, verführt durch den Reichtum,
den sie sahen, einen Gott suchten und nur einen Storch, einen Affen, eine Katze
fanden. Die männliche Hoheit von Zerbst selbst sagte zu mir mit einer
Orakelstimme: „Ich bin ein Ochs in meinem Haus!‟ „Je suis un bœuf dans ma
maison!‟ Sehr erstaunt, dieses Kompliment in den beiden bekanntesten Sprachen
Europas zu hören, wendete ich mich an seinen ersten Höfling, um die Lösung
dieses Rätsels zu erfahren. Er sagte mir, das wäre ein Ausdruck, dessen sich
Seine Hoheit Personen gegenüber bediene, die er ganz besonders auszeichnen
wolle, ihnen dadurch bemerkbar machend, dass er von nun an ohne Umstände und in
guter Freundschaft mit ihnen lebe. Von dem Moment an machten mir alle Höflinge
tiefe Verbeugungen, und ich hatte ganz das Ansehen eines Mannes, der in Gunst
steht. Karoline Wilhelmine Sophie, geb. Prinzessin von
Hessen-Kassel
[Schließen]Die junge Fürstin
ist immer reizend, und wenn man sie so schön neben ihrem kleinen Scheusal
sieht, denke ich immer an ein Märchen, worin eine junge Schönheit von einem
großen Affen gehütet und verfolgt wird. Sie fuhr den anderen Morgen zu Die in Magdeburg weilende Gemahlin des Prinzen
Heinrich von Preußen, Prinzessin Wilhelmine
[Schließen]ihrer Frau Schwester
nach Möckern. Ihr Gemahl
tummelte sein Pferd vor ihrer Karosse, um sie auf halbem Wege zu begleiten; es
war unglaublich komisch. Ich verbrachte diesen Tag bei der Johanna Elisabeth, Witwe des 1747 gestorbenen
Fürsten Christian August.
[Schließen]
Fürstin-Mutter
, die Sie kennen, Sie hat noch Reste von Schönheit, gehoben durch den
schönsten Schmuck und vielen Geist. Editorische Auslassung [...]
Die erste
Begegnung, die ich bei meiner Ankunft in Zerbst hatte, war mit diesem Der König ließ 1758 den Marquis de Fraigne als
französischen Spion in Zerbst verhaften und nach Magdeburg
bringen.
[Schließen]Herrn Fraigne
, den Sie in Berlin mit Der bisherige französische Gesandte in
Berlin
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Valory
sahen. Er spielt dort das ehrliche Gewerbe eines Spions; man sagt selbst,
dass er von Zeit zu Zeit inkognito hierher kommt, um einige Neuigkeiten zu
erhaschen. Er wollte bei mir den Angenehmen spielen und sprach von Krieg und
Frieden, aber ich wies ihn so kurz zurück, dass er den anderen Morgen nicht mehr
bei Hofe erschien und mir das Feld blieb.
Ich sah daselbst auch unsere Flüchtlinge aus Berlin.
Die Finck, die Schmettau, die Jariges, die Thulemeyer sind hier. Es scheint mir,
als wäre man viel befreundeter, wenn man sich bei solcher Gelegenheit begegnet.
Wir hatten sogar einen großen Grund zur Freude, die aber leider nur von allzu
kurzer Dauer war. Eine angekommene Estafette zeigte uns an, Seine Majestät der
König habe mit eigener Hand
geschrieben, dass der Prinz von Bevern
den Feind wacker vor Breslau
geschlagen habe. Da hatte ich keine Ruhe mehr, ich reiste dieselbe Nacht,
geleitet durch die Freude, die näheren Umstände dieses glücklichen Tages zu
hören, aber wie groß war mein Schmerz, als man mir bei meiner Ankunft gerade
Die Niederlage Beverns fand am 22. November
statt.
[Schließen]das Gegenteil von dem sagte, was mich so angenehm beschäftigt hatte. Von dem Tage an
haben wir nur noch Hiobsbotschaften erhalten. Am 24. November erfolgte die Gefangennahme
Beverns und der Fall von Breslau.
[Schließen]Die Gefangennahme des Prinzen von Bevern und besonders die Einnahme
von Breslau haben uns
überwältigt. Und wie man in großen Widerwärtigkeiten nach Vergleichen in vergangenen
Jahrhunderten sucht, hat sich meine Phantasie bis zur Mythischer
Auslöser des Trojanischen Krieges war die Entführung von Helena, Ehefrau
des Menelaos, durch Paris, Sohn des trojanischen Königs Priamos.
Daraufhin zogen die vereinten Griechen gegen Troja, um sich zu rächen.
Trotz zehnjähriger Belagerung gelang es nicht, die Stadt zu erobern. Auf
Rat des Odysseus bauten die Griechen ein großes hölzernes Pferd, in dem
sich die tapfersten Krieger versteckten, und täuschten die Abfahrt ihrer
Schiffe vor. Die Trojaner holten entgegen den Warnungen der Kassandra
und des Priesters Laokoon das Pferd in die Stadt. In der Nacht
kletterten die Griechen aus ihrem Versteck, öffneten die Tore und
konnten die Trojaner überwältigen.
[Schließen]
Belagerung von Troja verstiegen; der
Aufenthalt in Oranienburg und der
anbetungswürdige Held, der dort weilt, erinnern mich an das Unglück, das die
Abwesenheit des Achilles der ganzen griechischen Armee bereitete. Die ganze Welt
richtet die Augen auf Euer Hoheit und sieht in Ihrer Rückkehr die unseres
Erfolgs und unseres Glücks.
Wir haben hier mehrere französische Offiziere. Vier, die ich schon in Leipzig kennengelernt hatte, sind bei Hofe
vorgestellt worden. Eure Königliche Hoheit können sich nicht vorstellen, Hofleben und Hofintrigen werden in Lehndorffs
Tagebuch und auch in den Briefen vielfach thematisiert.
[Schließen]welche Ausgaben sich unsere Damen in diesen Tagen für
Putz, für Schönheitspflästerchen und Schminke gemacht haben. Das
Gedränge war riesig, als ich sie herbeiführte. Wilhelmine von Knesebeck, Hofdame der
Königin-Mutter
[Schließen]Fräulein von Knesebeck
verdoppelte ihr Mienenspiel, Fräulein von Brand, Hofdame der Königin
[Schließen]
Bella Dea
ihre Lebhaftigkeit, die kleine Fräulein von Forcade, Hofdame der Prinzessin
Heinrich
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Forcade
erschien mit all ihren Reizen, sie hat auch den Preis davongetragen.
Louise Hofdame der Königin
[Schließen]
Cocceji
ließ all ihren Geist sprühen. Die Reichsgräfin Helene Karoline Henckel, Hofdame der
Prinzessin von Preußen
[Schließen]Gräfin Henckel
von unserm Hof, stolz den
Erbprinz Friedrich von
Hessen-Kassel, preußischer Generalleutnant, war Vize-Gouverneur von
Magdeburg
[Schließen]Prinzen von Hessen
[Schließen] zu ihren
Füßen zu haben, behielt die ganze Steifheit und Würde der Reichsgräfin. Die Gemahlin des zweiten Kammerpräsidenten von
Magdeburg, Verfasserin der bekannten Tagebücher
[Schließen]Frau von Voß
stieß alle Welt über den Haufen, um als erste gesehen zu werden. Luise von Brand, geb. von Kameke, Witwe des
Kammerherrn von Brand, Mutter der Bella Dea
[Schließen]Frau von Brand
, mit ihrem
Aussehen einer Nymphe, imitierte in diesem Moment mehr die Unbekleidetheit, als
die Unschuld unserer Mutter Eva. Editorische Auslassung [...]
Unsere
Königlichen Hoheiten selbst hatten sich mit all ihren Reizen gewappnet, und
dieser Tag wurde ganz und gar der Aufgabe gewidmet, Gefallen zu finden. Und nun
fragen Sie mich, Monseigneur, was sie gesehen haben? und ich werde die Ehre
haben, Ihnen zu sagen: Es waren vier Männer, ziemlich gewöhnlich in Flausch
gekleidet, und die sich nennen Oganal, Colbert, Bonal und Isemberg. Editorische Auslassung [...]
Im Übrigen leben wir recht wenig angenehm, Not
überall, ewige Sorgen, die Erinnerung ans Vergangene tötet, die Gegenwart bringt
das Blut in Wallung, die Zukunft lässt es erstarren, und das ist es, was mich
kurz schweigen heißt. Editorische Auslassung [...]
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