Kantonierung zu Böchingen, den 30. Nov. 93
Mein lieber Schröder!Endlich haben wir einmal unsere Kantonierung bezogen und das abscheuliche Lager verlassen. Obgleich wir uns nicht sehr verbessert haben, indem wir vier und fünf Offiziere in der Stube liegen, so ist doch ein merklicher Unterschied unter einem nassen, fast verfaulten Zelt zu liegen und nie einen trockenen Faden auf dem Leib zu haben und jetzt doch wenigstens, unter Dach und Fach zu sein.
Ich benutze die Gelegenheit, Schröder war der Verwalter
des Lehndorffschen Hauses in Berlin.
[Schließen]mein lieber
Schröder, um Ihnen zu schreiben, denn bis
jetzt ist es mir fast unmöglich gewesen, eine Feder anzusetzen. Wir haben seit 2
1/2 Monaten ein Leben geführt, welches ich meinem Feinde nicht wünschen mag.
Vorzüglich sind mir die letzten drei Wochen sehr sauer geworden. Die Schwäche
des Belagerungskorps, die ewige Besorgnis, in der wir eines Ausfalls wegen
standen, und das Bombardement der Festung nötigte uns fast unaufhörlich, unter
dem Gewehr zu stehen, welches die raue und nasse Witterung um desto unangenehmer
machte. Der Dienst war sehr schwer, und hatte man auch einmal das Glück, von
einer durchwachten Nacht gegen Morgen ins Zelt zu kommen, so war da auch nicht
viel Trost zu finden. Entweder hatte der Wind das Zelt angegriffen und musste
ein halber Tag gearbeitet werden, ehe man es wieder in Stand setzen konnte, und
kaum war man fertig, so entstand oft ein Platzregen, der von denen ungeheuren
Bergen, die uns von allen Seiten umgeben, mit so einer Wucht herunterkam, dass
er sich schließlich einen Weg ins Zelt machte, und nun musste man aus dem
halbnassen Bette raus und stand bis an die Knie im Wasser, und dann ging die
Arbeit von neuem wieder los, um unser armes kleines durchsichtiges Haus wieder
etwas in Stand zu setzen. Wer mir aber jetzt wieder von der Glückseligkeit des
Soldatenstandes etwas sagt, dem will ich auch gerade ins Gesicht sagen, dass er
nicht weiß, was er spricht, und ich versichere Euch, Ihr Leute zu Hause, dass
Ihr alle von dem Wert eines guten Soldaten gar keinen Begriff habt. So ist es
uns Offizieren gegangen; nun können Sie sich denken, was der arme gemeine Mann
ausgestanden hat. Unser vortrefflicher guter Kronprinz, der das Blockadekorps kommandiert, hat alle unsere
Mühseligkeiten mit uns geteilt und so manche Nacht mit uns gewacht. Prinz
Louis wäre vor 14 Tagen beinahe
verbrannt; er konnte es im Zelt nicht mehr aushalten und ließ sich eine Hütte in
die Erde graben und mit Stroh bedecken. Von dem beständigen Feuer, das er
brannte, geriet das Ding einmal des Nachts in Flammen, und er konnte sich nur
mit geraumer Not retten. Alle seine Sachen verbrannten aber, und er hat sich den
anderen Tag einen Rock vom Kronprinz
leihen müssen.
Nun mein lieber Schröder, müssen wir etwas von Affairen sprechen, die ich seit
zwei Monaten auch ganz aus den Augen gesetzt habe. Wenn ich von unseren
Mühseligkeiten spreche, bin ich immer länger, als ich will, denn es ist eine Art
von Trost, wenn man es jemandem erzählen kann, der Anteil daran nimmt. Ich habe
Ihnen schon in meinem vorigen Briefe, glaube ich, von den bei meiner Abreise
versetzten Meubles gesprochen. Das Jahr des Kontrakts ist nun bald verflossen,
und die Hauptsache ist, sie wieder einzulösen. Zu dem Ende, lieber Schröder,
müssen Sie mir behilflich sein, und nun hören Sie mich recht an, wie wir dies
machen wollen, denn wenn wir länger warten, ist der infame Jude im Stande, die
Sachen zu verkaufen. Ich habe mich vorgenommen, mein überschlagenes Geld von
diesem Jahre, welches ich erspart habe, weil wir seit der Kampagne keine
gestickten Röcke zu tragen brauchen, dazu anzuwenden. Dieses besteht, da ich es
mit allem, was wir bekommen, überschlage, aus 163 Rtlr. Deshalb schicke ich
Ihnen dabei eine Assignation an Mendel, der Ihnen das Geld drauf geben wird. Doch aber bitte Sie,
ihm dieselbe nicht eher in die Hände zu geben, bis er das Geld ausgezahlt; denn
einem Juden ist nie zu trauen, und er würde sicher etwas abrechnen wollen. -
Hierbei ist noch ein Brief an den jungen Alvensleben von den Gens d'armes, von dem ich 6 Louis d'or
bekomme. Ich hoffe wohl, dass er sie Ihnen drauf geben wird. Dies alles beträgt
195 Rtlr. - 50 Louis d'or habe ich auf die Sachen genommen und 10 Louis d'or bin
ich dem Juden noch aus Anderem schuldig. Wenn Sie ihm nun vors erste die 195
Rtlr. geben und ihm dabei ernstlich anreden, so kann und muss er die Sachen
dafür wieder rausgeben, vorzüglich, da er bei der Auszahlung der 50 Louis d'or
sich wohl vorgesehen hat, und seine guten Interessen sich vorbehalten, worauf
also jetzt nichts mehr zu bezahlen. Im März oder April ist auch das Scherfengeld
fällig. Dieses beträgt 40 Rtlr., und die will ich ihm auch geben; das können Sie
ihm versprechen. Denn ich kann allenfalls auch mit der Schärpe
[Schließen]Scherfe
überschlagen, da ich noch zwei Scherfen habe, und sie gut sind, besser als
irgend eine im Bataillon. Mit dem Übrigen muss der Mensch warten und kann es
auch, denn ich werde ihn gewiss ehrlich bezahlen. Nun, bester Schröder, machen
Sie nur, dass ich erst die Sachen wiederhabe; die liegen mir sehr am Herzten.
Über alle diese Punkte erbitte ich mich sobald als möglich recht genau und gute
Nachricht. Liegt dem Brief nicht bei.
[Schließen]Die Spezifikation der versetzten Sachen
werden Sie, bester Schröder, hierbei finden. Ehe Sie
sie aber dem Juden zeigen, lassen sie sich erst die, welche er von mir in den
Händen hat, geben. Sie ist von meiner Hand geschrieben und untersiegelt, damit
der Mensch uns nicht etwa anführt, im Fall ich etwas in der hierbei angeführten
vergessen hätte.
Nun, mein bester Schröder, bitte ich Sie noch, mir, wenn Sie mir antworten werden, recht viel anderes aus Berlin zu schreiben. Sie können nicht glauben, wie mich das interessiert, vorzüglich hier in diesem abscheulichen Loch, wo vier schmutzige Wände und unübersehbare Berge unsere ganze Aussicht, unsere ganze Freude ausmachen. Wenn Sie mich recht erfreuen wollen, so erzählen Sie mir etwas von der Gräfin Dönhoff; ihr Schicksal interessiert mich noch immer aus alter Bekanntschaft.
Meinem Vater habe ich schon vor 6 Wochen
geschrieben, aber keine Antwort erhalten; weiß Gott, wie das zugeht. Nach einem ebenfalls bei Schultze abgedruckten
Brief der Mutter war der Brief
nicht angekommen.
[Schließen]Den Brief muss er doch bekommen haben und so böse hoffe ich doch wohl nicht,
dass er auf mich sein wird, dass er nicht einmal antworten will, das würde mich
sehr kränken. Ich habe wahrhaftig nicht öfter an ihn schreiben können, ich
wollte nur, er hätte mich so recht in diesem Jammer und Dreck gesehen; schreiben
Sie mir doch alles, was Sie aus Steinort und von meinem Vater wissen. Sobald ich nur ein
bisschen wieder ausgetrocknet bin, werde ich recht viel schreiben, um es wieder
gut zu machen. Nun leben Sie wohl, bester Schröder, und antworten Sie mir ja
recht bald, ich warte mit Sehnsucht auf einen Brief.
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