Betrifft das Mädchenwaisenhaus in
Rosengarten, Kreis Angerburg.
Ohne Erlass.
Berichterstatter: Regierungsrat Rothe.
Mitberichterstatter.
Regierungsrat Graff.
Die nachfolgend genannten Anlagen liegen der Akte
nicht bei.
[Schließen]Anlagen:
A. Ein Heft hiesiger Vorgänge
B. Beglaubigte Abschrift der
Stiftungsurkunde für das Waisenhaus zu Rosengarten
In Rosengarten, Kreises Angerburg,
besteht seit dem Jahr 1872 ein evangelisches Mädchenwaisenhaus, das von dem Hauptverein des Vaterländischen Frauen-Vereins in Berlin und der
verstorbenen Gräfin Lehndorff-Steinort
ursprünglich für die Waisen der bei den Typhus- und Cholera-Epidemien in der
hiesigen Provinz Ausgang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gegründet
war. Später wurden in das Waisenhaus auch Zwangszöglinge aufgenommen und „Gesetz über die Fürsorgeerziehung
Minderjähriger vom 2. Juli 1900 nebst Ausführungsbestimmungen vom 18.
Dezember 1900, Berlin 1900‟, in: LASA, StA L, Bestand 21950 FA
Lehndorff, Nr. 473.
[Schließen]nach Inkrafttreten des Fürsorge-Erziehungsgesetzes vom 2. Juli
1900 war die Mehrzahl der Waisenhauskinder
Fürsorgezöglinge.
Die Kinder wurden vom 6. Jahre ab in das Waisenhaus aufgenommen, blieben dort noch über die Konfirmation hinaus ein Jahr und wurden dann in Dienststellen untergebracht, wo sie noch einige Jahre lang von der Anstalt aus überwacht wurden. Die Anstalt trug und trägt noch jetzt einen familienartigen Charakter, da sie nur für einige 20 Zöglinge eingerichtet ist.
Zur Erreichung der Anstaltszwecke diente ein Grundstück von etwa 7 Morgen und einige Gebäude, die
auf den Namen des Vaterländischen Frauen-Vereins in Berlins ins Grundbuch
eingetragen sind, außerdem milde Gaben und die für die Kinder entrichteten
Pflegegelder. Dazu hatte die Gräfin Lehndorff-Steinort der evangelischen
Kirchengemeinde Rosengarten im Jahr 1894 ein Kapital von 23.000 M mit der
Bestimmung vermacht, die Einkünfte daraus nur für das Mädchenwaisenhaus zu
verwenden. Außerdem hatte die im Jahre 1893 in Lötzen verstorbene Frau Lina
Borkmann, geb. Raphael das
Mädchenwaisenhaus in Rosengarten zu ihrem Erben eingesetzt, und da das
Waisenhaus im Grundbuch von Rosengarten als Eigentum des Hauptvereins des Vaterländischen Frauen-Vereins zu
Berlin eingetragen war, wurde dieser Hauptverein formell als der im Testament
eingesetzte Erbe angesehen und daher auch für ihn die Allerhöchste Genehmigung
zur Annahme der Zuwendung erwirkt (Anlage A Bl. 49 ff. Bericht des
Polizeipräsidenten zu Berlin vom 11. Mai 1894 I. B. 2226 und dortiger Bericht und Erlass in: GStA PK, I. HA, Rep. 77 B,
Nr. 680, n. f.
[Schließen]Erlass vom 26. Juni 1894 I. B. 4822).
Die Regulierung dieser letzterwähnten Erbschaft begegnete jedoch insofern erheblichen Schwierigkeiten, als der Grundbuchrichter die Umschreibung der in Frage kommenden Hypothekenforderungen sowohl auf den Namen des Vaterländischen Frauen-Vereins in Berlin als auch auf den des Mädchenwaisenhauses in Rosengarten ablehnte, weil Letzteres nicht die Rechte einer juristischen Person hatte und für die Ersteren nicht nachgewiesen war, dass das Mädchenwaisenhaus ihm unterstellt war.
Die dem Waisenhaus aus dem Borkmannschen Testament zugefallene Erbschaft beträgt zurzeit 6.950 M,
wovon nach Auszahlung von Hypothekenforderungen 5.750 M bei der hiesigen
Regierungshauptkasse hinterlegt und 2 Hypotheken über 750 M und 450 M auf die
Grundstücke Willkassen No. 126 und No. 71 eingetragen sind. Die betreffenden
Hypotheken-Dokumente befinden sich in Gewahrsam des Justizrats Koch in Lötzen, des Sachverwalters des noch lebenden Ehemanns Borkmann. Den Nießbrauch der gesamten Summe
von 6.950 M hat der Borkmann stets ungestört gehabt. Borkmann ist jetzt 82 Jahre
und lebt in Nordenort in
auskömmlichen, wenn auch bescheidenen Verhältnissen. Aus der Ehe mit der
Erblasserin sind keine Kinder vorhanden, sondern nur aus erster Ehe eine
verheiratete Tochter, deren Ehemann im Irrenhaus lebt. Diese Tochter hat zwei
Töchter von 14 und 15 Jahren, ist gesund und arbeitsfähig und lebt mit dem Vater
zusammen. Bei dessen Tode wird sie ein Vermögen von 7.050 M erben. Am 18. Mai 1903 schloss Borkmann mit dem Waisenhaus
einen Vergleich, demzufolge er „nunmehr auf die ganze Erbschaft
zugunsten des Waisenhauses unter der Bedingung (verzichtet), dass
ihm bis zu seinem Lebensende ein Kapital von 6.500 Mark mit 4
Prozent verzinst sowie die Einziehung der Zinsen von der auf dem
Grundstück Willkassen Bl. Nr. 71 eingetragenen Hypothek von 450 Mark
überlassen werden“, in: GStA PK, I. HA, Rep. 76 VII neu Sekt.
3 A Teil IV, Nr. 10, n. f.
[Schließen]Borkmann hat außerdem nur noch eine verwitwete
Schwester, die in völlig auskömmlicher Lage sich befindet.
Das Waisenhaus in Rosengarten ist nun jetzt genötigt, umfangreiche Bauten auszuführen. Die alten Gebäude sind so unzweckmäßig angelegt und so baufällig, dass der Landeshauptmann der Provinz dem Waisenhaus nicht eher wieder Fürsorgezöglinge überweisen will, als bis die Wohngebäude zum Teil neu gebaut worden sind. Das erforderliche Baugeld will der Landeshauptmann aus der Provinzialhilfskasse hergeben. Der Vaterländische Frauen-Verein in Berlin kann und will keine Mittel zum Neubau bewilligen, hat sich aber dem Waisenhausvorstand gegenüber bereit erklärt, auf die Rückzahlung der seinerzeit für das Waisenhaus bei der Gründung aufgewendeten Beträge zu verzichten und darein zu willigen, dass die Grundstücke und Gebäude im Grundbuch von seinem Namen auf den einer selbständigen Stiftung „Waisenhaus Rosengarten“ umgeschrieben werden, wenn der Vorstand des Waisenhauses zu einer selbständigen Stiftung gestalten würde.
Das Waisenhaus trug bisher einen privaten Charakter und konnte als eine Einrichtung des Vaterländischen Frauen-Vereins angesehen werden; es gab keine Statuten und auch keinen eigentlichen Vorstand. Der ursprüngliche Vorstand bestand aus der Mitstifterin, der Gräfin Lehndorff-Steinort, dem Pfarrer von Rosengarten und einem Pächter des Lehndorffschen Gutes Taberlack. Nach dem Tod der Gräfin Lehndorff im Jahre 1894 und dem Abgang des Pächters führte der Pfarrer von Rosengarten allein die Verwaltung des Waisenhauses, ein Zustand, an welchem sich bis jetzt nichts geändert hat, zumal der jetzige Majoratsherr Graf Lehndorff-Steinort kein Interesse an dem Waisenhaus bewies und in Vermögensverfall geriet, so dass die Lehndorffsche Begüterung schließlich unter die noch jetzt bestehende landschaftliche Zwangsverwaltung kam.
Um nun in die ungeordneten Verhältnisse Klarheit zu bringen und dem Waisenhaus neue Lebensfähigkeit zu verschaffen, haben die vereinigten Gemeindeorgane der Kirchengemeinde Rosengarten, darunter auch der bisherige Vertreter des Waisenhauses, Pfarrer Junkuhn in Rosengarten, beschlossen, die der Kirchengemeinde von der verstorbenen Gräfin Lehndorff-Steinort vermachten 23.000 M für eine selbständige Waisenhausstiftung unter dem Namen; „Gräflich Lehndorffsches Mädchenwaisenhaus zu Rosengarten“ zu stiften. Die über die Stiftung aufgenommene Urkunde vom 12./14. Februar cr. (Anlage B) enthält zugleich die statuarischen Bestimmungen für die Stiftung und hat nach Form und Inhalt die Zustimmung des Konsistoriums in Königsberg gefunden (Anlage A Bl. 1 ff. 20 ff.).
Demgemäß bitte ich Euer Exzellenz, die Allerhöchste Genehmigung zu der Stiftung und der Stiftungsurkunde erwirken zu wollen. Durch diese Genehmigung wird die Stiftung rechtsfähig, wird in die Lage versetzt, ein Provinzialhilfskassendarlehen aufzunehmen, wird nach der Vereinbarung mit dem Vaterländischen Frauen-Verein demnächst eingetragene Eigentümerin der Waisenhausgrundstücke und wird schließlich auch unschwer in den Besitz des Borkmannnschen Nachlasses gelangen. Die Stiftung der ursprünglich der Kirchengemeinde Rosengarten seitens der Gräfin Lehndorff vermachten 23.000 M liegt vollständig im Sinne der Erblasserin und nur auf solche Weise wird es möglich werden, ein lebensfähiges Waisen- und Erziehungshaus zu schaffen.
Die in der Angelegenheit hier entstandenen Vorgänge werden mit Bitte um Rückgabe nebst einer beglaubigten Abschrift der Stiftungsurkunde der neuen Stiftung beigefügt.
i. V. Schicken(?)Zitierhinweis