Berlin W, den 7. Juli 1898

Sehr verehrter Herr Graf!

In der Graf Lehndorffschen Schuldenregulierungssache sind nunmehr wiederum mehrere Wochen vergangen, ohne dass das in Aussicht genommene Zirkular an die Gläubiger erlassen worden ist. Ich bin zu meinem Bedauern nicht in der Lage, die Sache weiter zu führen, wenn Sie, sehr geehrter Herr Graf, mich nicht umgehend in den Stand setzen, das Zirkular abzufassen und an die Gläubiger zu versenden.

Die Verwaltung dauert jetzt zwei Jahre, ohne dass für die  Vgl. APO, Bestand 382 FA Lehndorff, Nr. 27, 33 und 34 sowie die Korrespondenz des Justizrats Dr. Loewenfeld in Berlin mit den Gläubigern 1906-1908, Nr. 38.
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Personalgläubiger
etwas Wesentliches dabei herausgekommen ist. Die Aussichten sind auch anstatt besser zu werden in der letzten Zeit immer schlechter geworden.   Carol von Lehndorff lebte anscheinend auch in den Folgejahren auf großem Fuß. Von Oktober 1903 bis August 1905 bestellte er Weine, Cognac und Zigarren im Gesamtwert von 589,36 Mark, ohne diese Rechnung zahlen zu können. Der Lieferant G. Hähling aus Königsberg reihte sich in die Gläubigerliste ein, wollte sich aber mit einer Schuldurkunde begnügen, vgl. APO, Bestand 382 FA Lehndorff, Nr.38, Bl. 19 und 22-23. Belege zu den Ausgaben des Schlosshaushalts 1891 bis 1924 bzw. zur Steinorter Gutswirtschaft 1895 in: APO, Bestand 382 FA Lehndorff, Nr. 171 und 177; Geschäftsbriefe 1883-1887 bzw. 1893 bis 1919 in Nr. 173.
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Meine Vorschläge, die Lage dadurch zu verbessern, dass die dem Grafen Lehndorff gewährte Apanage zugunsten der Gläubiger verkürzt werde
oder dass die Agnaten in gewisser Weise zurückstehen, haben Ihre Billigung nicht gefunden, ja ich erfahre jetzt zu meinem Erstaunen von Herrn Kommerzienrat Palfner, dass der Plan der Landschaft, Barmittel durch das Fällen und den Verkauf von Eichen zu erlangen, auf das Betreiben eines der Herrn Agnaten fallen gelassen worden ist.

Die Gläubiger haben im Vertrauen auf die Erklärungen der Verwaltungskommission von einem Vorgehen gegen Herrn Grafen Lehndorff-Steinort Abstand genommen; weder Herr Kommerzienrat Palfner noch ich sind in der Lage, noch länger durch Untätigkeit das in uns gesetzte Vertrauen der Gläubiger zu täuschen oder wenigstens uns einem derartigen Verdachte auszusetzen. Wir halten beide den bisherigen Gang der Angelegenheit für geeignet, die Verwaltungskommission den schärfsten Vorwürfen ausgesetzt zu sehen, und sind nicht willens, die Sache erst soweit kommen zu lassen, das Verdächtigungen ausgesprochen werden.

Ich ersuche Sie daher, sehr geehrter Herr Graf, umgehend auf den Betrieb der Angelegenheit Bedacht zu sein, andernfalls ich meinen bzw. Herrn Dr. Silbersteins Austritt aus der Kommission den Gläubigern mitteilen müsste. Herr Kommerzienrat Palfner hat mich ermächtigt, in seinem Namen zu erklären, dass auch er die Sache nicht ruhig länger mit ansehen können.

Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Dr. Marwitz
Rechtsanwalt

Zitierhinweis

Kanzlei Sello, Silberstein und Marwitz an Heinrich Graf von Lehndorff. Berlin, 7. Juli 1898. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_mzn_5bs_wcb