Juli bis Oktober 1944
Es ist der 20. Juli 1944. Wie jeden Tag fast in den letzten 6 Wochen schwinge ich
mich im Mauerwald gegen Mittag, nachdem die Arbeit des Vormittags erst einmal
vorbei und die Ruhezeit des Generalstabs herangekommen ist, auf mein Rad und
fahre nach Steinort zu Lehndorffs.
Vor 6 Wochen saßen wir nach Tisch dort noch fast sorglos und freuten uns des
herrlichen Sommers, der uns oft den bösen Krieg mit allen seinen Sorgen fast
vergessen ließ. Die letzten Wochen waren anders nach dem Zusammenbruch der
Heeresgruppe Mitte, und Ostpreußen,
dieses herrliche Stück unseres Vaterlandes, ist in unmittelbarer Gefahr, von den
russischen Massen überflutet zu werden. Tagtäglich grollt der Kanonendonner
jetzt von der nahen Front aus der Gegend von Grodno herüber. Ich erlebe in Steinort zutiefst die Sorgen und Nöte der Menschen mit, die
jeden Tag vor der Tatsache stehen können, Heimat und Vatererbe verlassen zu
müssen - die nicht wissen, ob sie jemals wieder zurückkehren können. Lehndorffs
hatten schon einige Vorsorge getroffen und allmählich einige wertvolle Sachen
nach Nach Conow zu Lehndorffs
Stiefschwiegervater.
[Schließen]Mecklenburg gebracht, auch war es ihnen Wohl ebenfalls nach Mecklenburg. Die Transporte
aus Steinort nach Kriebstein gingen erst im Dezember 1944
ab.
[Schließen]im Frühjahr gelungen, einen Möbelwagen zu bekommen, den
sie voller Gebrauchssachen wegschickten. Jetzt ist das Wegschicken sehr schwierig geworden, weil
dies als Defaitismus ausgelegt wird und man schon von scharfen Bestrafungen
gehört hat - eine verrückte Maßnahme wohl des Gauleiters Koch. Man sollte doch froh sein, wenn die
Menschen nicht alles verlieren im Ernstfall. Geeignete Hinweise auf eine
eventuelle Gefahr würden wohl auch eine Panik, die man wohl fürchtet,
ausschalten. Jedenfalls ist es fast unmöglich in diesen Tagen so ohne weiteres
etwas wegzuschicken. Da das Hauptquartier nach Zossen verlegt wird, erbot ich mich, ihnen einige Koffer
mitzunehmen, denn sie haben ja noch alle Anziehsachen und Wäsche, die doch heute
mit das Wichtigste sind, in Steinort.
Lehndorffs verloren bei allen Schwierigkeiten schon den Mut weiter zu packen,
aber ich rede unermüdlich zu, doch ja recht viel zu packen und mir mitzugeben.
So sind wir auch am heutigen Tag am Packen und wir haben nun das Wichtigste so
ziemlich in den Koffern. Heini Lehndorff ist in Königsberg und ich packe mit Mausi die letzten Sachen von ihr
zusammen. Plötzlich werde ich ans Telefon gerufen und mein Feldwebel Hofer(?) sagt mir aufgeregt, ich solle
sofort ins Lager zurückkommen, es sei was passiert - näheres gibt er nicht von
sich. Dann wieder Gegenordre, ich würde sofort von Oberstleutnant Krückeberg abgeholt und solle mit ins
Führerhauptquartier kommen. Fieberhaftes Durchdenken aller Sündenmöglichkeiten -
was nur los sein könnte! Schnell die Koffer zugemacht und runter ins Auto
gewuchtet, dabei schwere Säcke, die die Damen nicht tragen können. Die Leute
sollen es nicht merken und auch nicht die SS-Wachleute von Ribbentrop - ein sehr schwieriges
Unternehmen. Schließlich erscheint das Auto und wir brausen los in Richtung
Rastenburg. Krückeberg weiß auch
nicht was los ist. Vor dem Führerhauptquartier langer Halt - sehr schwierig rein
zu kommen. Da uns aber der Führeradjutant Below beordert hat, gelingt es schließlich. Drinnen erfahren wir
schließlich, was geschehen ist. Ein misslungenes Attentat auf den Führer, wobei
Heusinger leichter und Brandt von uns schwer verletzt sind. Ein
Wunder, dass überhaupt jemand lebendig blieb in dem Zimmer, aber einigen,
darunter dem Führer, ist überhaupt nichts geschehen. Wir sollen sofort ins
Lazarett zu Heusinger fahren. Das Rauskommen ist noch viel schwieriger, da
inzwischen für jedermann das Verlassen des Lagers gesperrt ist. Ein allmächtiger
Kriminalrat ist der einzige, der Ausnahmen gestatten kann. Erst nach langer Zeit
gelingt es ihn zu kriegen und rauszukommen. Im Lazarett in Rastenburg ein unbeschreibliches Bild - fast
alle Generale liegen noch auf dem Flur herum mit dem ersten Notverband -
dazwischen rennen Ärzte, Schwestern, Lazarettgehilfen, Soldaten herum - in der
einen Ecke liegt ein blutiger Haufen von meist Generalsuniformen. Editorische Auslassung [...]
Auf der Rückfahrt fahre ich nochmal schnell in Steinort vorbei, um Mausi Lehndorff die Ereignisse mitzuteilen.
Sie hat mir inzwischen die Koffer ins Lager gebracht und auch in Angerburg endlich die amtliche Erlaubnis zur
Ausreise bekommen. Siehe den ersten Teil des Tagebuchs.
[Schließen]Die Kinder brachte sie ja noch im
letzten Moment vor 2 Wochen weg und kam dann zurück. Wir
redeten nun sehr zu, dass sie in ihren Zustand nicht bis zum letzten Moment hier
warte.
Abends im Lager immer neue Gerüchte, von wem das Attentat ausging. General-Oberst Beck rief gegen 6 Uhr die Heeresgruppe Nord u. a. an und gab ihr den Befehl zum Zurückgehen aus dem Baltikum. Nachts soll der Führer reden. Stieff vertritt auf Befehl von Zeitzler den Chef Generalstab.
Am nächsten Morgen schälen sich allmählich die Tatsachen heraus. Stieff scheint in der Nacht verhaftet, denn er kam nicht wieder zurück aus dem Führerhauptquartier. Es sollen auch der Chef des Heeresnachrichtenwesens General Fellgiebel und der Generalquartiermeister General Wagner beteiligt sein. Mittags fahre ich kurz nach Steinort, um mein Rad abzuholen, was gestern stehen blieb. Mausi Lehndorff holt mich im Auto ab. Kurz Mittag gegessen und bald wieder weggefahren. Heini Lehndorff war auch wieder da. Ich sollte ihn das letzte Mal in diesem Leben sehen. Ich war kaum eine Stunde weg - da kamen die Leute von der Gestapo um ihn zu verhaften. Er soll an dem Attentat irgendwie beteiligt sein.
Am nächsten Tag kam ich nach Steinort und fand Mausi in Tränen - ihr Manfred
Graf von Lehndorff
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Schwiegervater
war schon gekommen. Sie schilderte mir
die Umstände der Verhaftung, die für sie schrecklich gewesen wäre, vor allem,
weil die Leute so roh und gemein waren.
Ich fuhr nun erst recht jeden Tag nach Steinort, um ihr zu helfen. Zum Überfluss
waren auch noch fast alle Leute und sämtliche Inspektoren zum Stellungsbau
weggeholt an die Grenzen. Mausi benahm sich aber fabelhaft in jeder Weise. War
sofort auf allen Gütern rumgefahren, um das Heft in die Hand zu nehmen und
Anordnungen für die beginnende Ernte zu geben. Auch ihre Haltung zu Heinis
Verhaftung war vorbildlich und gefasst, obwohl sie in schwerere Sorge war, ob
sie ihn nicht quälten oder was sonst mit ihm passieren könnte. Wir gingen
nochmals zum See runter und sprachen über alles. Sonntag war dann ihre Harriet Grafin von Lehndorff
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Schwiegermutter
da, die mir nur mit Tränen
guten Tag sagen konnte Editorische Auslassung [...]
, und ich fuhr anschließend
nach Rastenburg. Editorische Auslassung [...]
Man erfährt aber überhaupt nichts genaues über die
Sache. Am Dienstag den 25.7. kam ich wieder wie jeden der letzten Tage nach
Steinort und fand Mausi und alle
anderen in Tränen. In einer Viertelstunde, um 2, musste sie das Haus und den
Kreis verlassen haben, wie ihr am Abend 2 Gestapo-Leute aus Angerburg mitgeteilt
hatten. Ein schrecklicher Augenblick, wo ein Mensch von Haus und Hof muss, wo er
glücklich gewesen ist, woran sich alle Erinnerungen an den Mann knüpfen und wo
er alles Hab und Gut im Stich lassen muss - mit der ziemlich sicheren Aussicht,
die Heimat niemals wiederzusehen. Es blieb nur eine letzte Viertelstunde Zeit,
sich noch zu sehen. Sie hatte mir am Abend vorher gleich noch telephonieren
wollen, aber die anderen hatten das nicht gewollt, um mich nicht zu
kompromittieren. Editorische Auslassung [...]
Ich ging nicht mit an den Wagen
runter auf Mausis Bitte, weil sie nicht die Fassung verlieren wollte, damit die
Leute und die Kerls von Ribbentrop
nicht auch noch dieses Schauspiel hätten. Lächelnd, als ob nichts geschehen
wäre, fuhr sie mit ihrer Schwiegermutter ab im Wagen, zuerst nach Skandau und von da nach Preyl. Ich ging mit der Sekretärin Frl. von
Riedel noch einmal durch die
Zimmer und an den See und fuhr dann auch weg. Editorische Auslassung [...]
Mausi hatte mich gebeten, am Donnerstag noch einmal nach Steinort zu kommen und mich mit ihrem
Manfred Graf von
Lehndorff-Preyl
[Schließen]Schwiegervater zu treffen, der nochmal nach dem Rechten sehen wollte. Auch
wollte ich noch einige Akten über Steinort mitnehmen. Ich traf im Hause
niemanden mehr an, ging durch die einsamen Zimmer und fand schließlich unten die
andere Sekretärin Frl. Dettenborn, die
mir sagte, dass auch Frl. von Riedel
ausgewiesen worden wäre. Wir hatten kaum ein paar Minuten gesprochen, als ein
SS-Mann von der Ribbentrop-Wache erschien und mir sagte, der Komissar ließe mir
sagen, dass mein Aufenthalt in Steinort unerwünscht wäre und ich sofort Haus und
Dorf verlassen sollte. Ich antwortete, ich wiche der Gewalt, möchte aber wissen,
was vorläge. Darauf als Antwort, dass würde mir die Geheime Feldpolizei
eröffnen. Mit etwas gemischten Gefühlen fuhr ich los, denn nun war es ganz klar,
was ich mir schon gedacht hatte, dass ich durch mein vieles in Steinort sein
auch mit in Verdacht gekommen war. Editorische Auslassung [...]
Dessen Ehefrau Harriet, geb. Gräfin von Einsiedel, die Mutter von
Heinrich von Lehndorff, war die Tochter des sächsischen Kammerherrn
Adolf von Einsiedel und dessen
Ehefrau Karin, geb. Freiin von
Arnim. Unwahrscheinlich ist, dass es ihm gelungen sein
könnte mit den letzten Transporten aus Königsberg Inventar nach Sachsen zu bringen, denn der Besitz
und das Vermögen aller am 20. Juli 1944 Beteiligten war unmittelbar
danach durch das Reichsjustizministerum eingezogen worden, vgl. BStU,
MfS, AB Neiber Nr. 388, Bl. 108-109; BArch, R 22/1256, Bl. 341-343. Das
Ministerialblatt des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern
1942 Nr. 13: Verwaltung und Verwertung des eingezogenen Vermögens von
Reichsfeinden, RdErl. d. MdI. u. d. RFM vom 9. April 1942, in: BARch, R
43 II/1269, Bl. 32. Alle wertvolle Kunstgegenstände waren demnach
„sofort und zunächst ausschließlich dem vom Führer bestimmten
Sonderbeauftragten Direktor Dr. Posse in Dresden zu nennen“; unter seinem
Nachfolger Hermann
Voss
wurde der
Vorbehalt „auf alle irgenwie künstlerisch wertvollen oder museal
geeigneten Einzelobjekte“ wie Gemälde, Plastiken, Möbel,
Münzen, Bibliotheksbestände ausgedehnt (Bl. 20, 120-120v). Nachdem im
Oktober 1944 die Verwaltung des eingezogenen Vermögens vereinfachend der
Staatspolizei bzw. den Regierungspräsidenten übertragen worden war (Bl.
181-214v) ist auch an die Mitwirkung Kochs zu denken.
[Schließen]Anfang August traf ich nochmal den alten Graf Lehndorff, der inzwischen sogar
mal bei Heini hatte sein dürfen, was ich ganz hoffnungsvoll fand, und
dem die Verwaltung von Steinort übertragen war. Ich konnte ja nicht zu
ihm nach Steinort, passte ihn also
früh um 5 am Mauersee ab, als er zur Bahn nach Angerburg fuhr, und begleitete ihn im Dogcart bis zum Bahnhof.
Editorische Auslassung [...]
Anfang August noch jeden Tag weitere Verhaftungen. Der Chef der
Heerwesenabteilung Oberst von Freytag-Loringhoven und der Oberstleutnant Schrader derselben Abteilung erschossen
sich. Editorische Auslassung [...]
Am 1.8. wurde ich zur Geheimen Feldpolizei
bestellt. Dort eröffneten sie mir, es wäre angezeigt worden, dass ich Gepäck von
Lehndorffs bei mir hätte und ich musste genau alles angeben, was ich auch tat,
denn Leugnen oder Verschweigen hätte die Sache nur verschlimmert und keinen
Zweck gehabt. Scheinbar hatten die Leute aus Steinort es angezeigt. Es ist vorstellbar, dass Ribbentrop mit den aus Königsberg noch im Dezember 1944
abgehenden Transporten Kunstgut aus Steinort abtransportieren ließ.
Gauleiter Koch hatte sogar
noch Anfang 1945 seine Kunstsammlung aus Ostpreußen herausgebracht.
[Schließen]Wir hatten
einige Sachen durch den Kutscher unter der Firma Luftschutz für die
Mauerwaldbunker hereinbringen lassen. Mir wurde dadurch natürlich klar, dass ich auch in Gefahr war,
verhaftet zu werden Editorische Auslassung [...]
Am 8. August fuhr ich nach Zossen.
Editorische Auslassung [...]
In Zossen angekommen, rief ich die Geheime
Feldpolizei gleich an, um die inzwischen beschlagnahmten und durchsuchten Sachen
von Lehndorffs wieder frei zu bekommen, in denen natürlich nichts gefunden war,
da ja tatsächlich alles Gepäck mit Gebrauchssachen nur war. Die Geheime
Feldpolizei machte mir Hoffnung, dass ich das Gepäck frei bekäme am nächsten
Tag. Editorische Auslassung [...]
Ich wusste, wie nötig die Sachen z. T.
gebraucht wurden. Gott sei Dank waren schon einige Koffer mit den nötigsten
Sachen für das erwartete Baby von Graditz aus abgeholt worden. Am nächsten
Tag musste sich Münchhausen bei der Geheimen Feldpolizei einfinden, hier
wurde ihm eröffnet,
Auf einem separaten Blatt:
„Heini war nach Berlin transportiert worden und vor dem Tor
des Reichssicherheitshauptamtes nachts war der Begleiter ans Tor
gegangen und hatte die Tür des Transportwagens aufgelassen, worauf
Heini ausgestiegen und entkommen war. Er wurde aber nach 3 Tagen von
der Landwacht eines Ortes nicht weit von der Mecklenburgischen
Grenze - wahrscheinlich auf dem Wege nach Conow - dem Gut seines
Stiefschwiegervaters - wieder aufgegriffen. Nach der
Wiederergreifung hatte er versucht, sich die Pulsadern zu
öffnen.“
[Schließen]dass Heini Lehndorff in der vergangenen Nacht geflohen
wäre und dass das
Reichssicherheitspolizeiamt meine Festnahme verfügt hätte. Bei der Vernehmung wurde ihm unterstellt, dass er durch
seine Freundschaft zu den Lehndorffs von den Attentatsplänen gewusst habe
Ewig hackte er auf dem Gästebuch aus Steinort rum, was in dem
Lehndorffschen Gepäck gewesen war. Editorische Auslassung [...]
Er fand
besonders verdächtig, dass auch Münchhausens Ehefrau
[Schließen]Hildburg mal in Steinort
gewesen sei. Ich sollte nun angeben, wen Lehndorff alles kennt, denn ich hätte
ja alles Interesse, dass er schnell wieder eingefangen würde, um durch eine
Gegenüberstellung meine Rolle zu klären. Er wurde ausfallend und wütend, dass
ich kaum Leute angeben konnte - denn ich kannte tatsächlich nur die Menschen,
die im Krieg dort mal waren, und das waren meist die Offiziere des
Hauptquartiers. Außerdem gab ich natürlich, um Heini nicht zu schaden, nur die
Menschen an, von denen ich wusste, dass sie sowieso im Gästebuch standen. Nach dem Verhör wurde er ins Gefängnis Moabit
gebracht.
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