Durchgestrichen
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O unselige Liebe!
ich kann mich nicht enthalten, ernste Betrachtungen über mich anzustellen.  Ab diesem Satz bis zum Ende durchgestrichen. - Nach Anm. 1 gab es weitere Streichungen, die nach Schmidt-Lötzen Unwichtiges enthielten.
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Ich verhehle mir nichts.
Folgendes Bild mache ich mir von mir selbst. Ich weiß mir zur Genüge durch meine Zuvorkommenheit die Achtung der Großen und meinesgleichen zu erwerben, ich weiß meine Laune zu zügeln, meine Fehler zu verbergen, meinen guten Ruf mir zu erhalten, von den gröblichen Ausschweifungen, zu denen sich die Jugend nur zu oft hinreißen lässt, mich fernzuhalten, andererseits nimmt  Überschrieben: und was im Grunde ein Fehler ist
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das, was die Welt zärtliche Anhänglichkeit nennt,
mein Herz dann und wann gefangen (nur gebietet mir die Vernunft, mich dessen zu entschlagen). Ich wünschte mir eine Tafel, an der die Feinheit herrscht, ich liebe eine prächtige Wohnungseinrichtung, ebenso Equipagen und Kleider, kurz, ich möchte alles, was das Leben verschönt, haben wollen. Mein Herz ist gut, das erkenne ich an der Freude, die ich empfinde, wenn ich anderen einen Dienst erweisen kann. Ich freue mich über das Glück, das meinen Freunden zuteil wird, ebenso, als wiederführe es mir selbst. Mit Vergnügen ergreife ich darum die Gelegenheit, denen, die meine Hilfe brauchen, gefällig zu sein. Meine Liebe zu denen, die meine Freundschaft gewinnen, grenzt an Abgötterei. Indes ist das nur selten der Fall, da ich recht viele gute Eigenschaften entdecken muss, ehe ich heftig liebe.  Am Rand: Um meiner Ruhe willen hätte das niemals vorkommen sollen; ihr Verlust hat mich jedes Mal zur Verzweiflung gebracht.
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Kaum dreimal ist dies in meinem ganzen Leben vorgekommen.
Mein Hass kann ebenso groß sein wie meine Liebe. Mit großen Hoffnungen trat ich in die Welt. Sie sind zum Teil zuschanden geworden; es bleiben mir nur noch wenige. Ich liebe die Welt, und ich finde wieder Liebe in ihr; doch das gibt mir nicht die Ruhe der Seele, die ich suche und immer nicht finde. Mein Verstand sagt mir oft genug, dass es vollkommenere Dinge gibt, die ich suchen soll. Mit meinem Benehmen bin ich selbst nicht immer zufrieden, aber die Vernunft kämpft gegen meine Neigungen an, und ich gehe mit meinen Verfehlungen streng ins Gericht. Ich mache Anstrengungen, um meine Fesseln zu sprengen, ich sage mich von manchen Leuten los, aber meine Herzensneigung, die Freundschaft  mit Prinz Heinrich
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mit H.
bleibt bestehen. Sobald ich mich von ihm lossagen will, sind meine Bemühungen den Anstrengungen vergleichbar, die ein vom Schlaf Überwältigter macht, um aufzuwachen, und die nur dahin führen, ihn in einen noch tieferen Schlaf zu versenken.

Zitierhinweis

Tagebucheintrag von Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Berlin, 21. Mai 1753. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_jxm_whj_mdb