Am 18. Januar hatte Lehndorff in seinem Tagebuch geschrieben: „Das Verlangen, die Welt zu sehen und mich in fremden Ländern mehr zu bilden, verlässt mich keinen Augenblick. Die Unmöglichkeit, diesen Wunsch erfüllt zu sehen, bereitet mir eine schreckliche Qual und lässt mich traurig in die Zukunft blicken.“ - Die Bekanntschaft des „Chevalier Charles“, der sich am Hof aufhielt und Lehndorff für eine Reise nach England „freihalten“ wollte, ließ die Erfüllung des Wunsches näher rücken; Lehndorff lernte sogar die englische Sprache. Für die Tilgung von Schulden musste er ein „kleines Kapital“ aufnehmen, wozu er nur zögernd die Einwilligung der Familie erhielt, vgl. Schmidt-Lötzen, Nachträge, Bd. 1, S. 34 und 64 ff. - Die Reise zerschlug sich. Am 25. Februar 1756 begab sich Lehndorff stattdessen auf eine „kleine Reise nach Dresden, um meine dortigen Freunde und besonders Oginski zu besuchen.“ Am Nachmittag des 27. Februar kam er in Dresden an und besuchte die Oper. Quartier nahm er im Hotel de Pologne, wo ihn Oginski und Rzewski „auf das liebenswürdigste“ empfingen. Noch am selben Abend besuchte er die Redoute im Hotel.
28. Februar. Ich sehe mir das Grüne Gewölbe an, dann den ganzen Garten und das Haus des Grafen Brühl, seine Bildergalerie, sein türkisches Haus, seine Bibliothek, kurz alle seine Schätze. Was mir aber am bemerkenswertesten und bewundernswertesten erscheint, das ist die Gräfin Brühl selbst. Mein Gott, was ist die Frau liebenswürdig! Welche Intelligenz gehört dazu, diesen ganzen herrlichen Besitz mit allen seinen Schätzen zu erhalten, und andererseits welcher Edelsinn, um bei der von jedermann gezollten grenzenlosen Hochachtung niemals ein liebreiches und verbindliches Wesen vermissen zu lassen! Es ist die feinste Frau nicht allein Sachsens, sondern ganz Europas. Sie, die sich wie eine Königin Ehren erweisen lassen könnte, zeigt jedermann gegenüber stets die Güte einer einfachen Frau. Ich habe allen Anlass, mit meinem Empfang bei ihr zufrieden zu sein. Sie erweist mir alle möglichen Aufmerksamkeiten, und ich muss umso dankbarer dafür sein, als ich vor ihr nicht unter meinem wahren Namen erscheine, sondern unter dem eines Herrn von Steinort. Auch bin ich nicht bei Hofe vorgestellt worden, denn da ich inkognito hergekommen bin, so mochte ich mich nicht von unserem Gesandten einführen lassen. Demnach lädt mich die Gräfin zum Diner auch nur an den Tagen ein, wo ihr Gemahl nicht zu Hause ist. Ich mache bei ihr die Bekanntschaft ihrer Tochter, der Gräfin Mniszech, sowie der Schwester des Grafen Oginski, die an einen Grafen Wielhorski verheiratet ist, ferner einer Gräfin von Bellegarde, des Grafen Plessen, des Generals Mahr(?) und anderer. Es herrscht in diesem Hause eine solche Üppigkeit, dass man alles andere dagegen nur miserabel finden kann.
Nachmittags besuche ich in Begleitung Rzewskis und des Kammerherrn Grabowski das holländische Palais. Überall, wo ich hinkomme, behandelt man mich außerordentlich höflich. Abends gehe ich wieder zur Gräfin Brühl, wo ich die ganze Stadt aus Anlass eines Kinderfestes finde. Es gibt nichts Hübscheres als dieses Fest. Das ganze Palais ist erleuchtet, und die Kinder, im Ganzen 80 Paare, essen an zwölf verschiedenen Tafeln, während die anderen an einer Tafel von vierzig Gedecken speisen. Alles wird von den Bedienten des Hauses besorgt. Schon daraus kann man die Prachtliebe und den Reichtum des Ministers ersehen.
29. Februar. Ich gehe in die katholische Kirche, um den
ganzen Hof zu sehen. Dieser erscheint sehr andächtig. Es gibt nichts
Hässlicheres als das ganze königliche Haus und nichts Traurigeres als die
verkrümmte Gestalt des
Friedrich Christian
von Sachsen litt an einer Lähmung der Füße und war er
früh auf den Rollstuhl angewiesen. Auf einem Gemälde, das ihn im Kreise seiner wettinischen und
wittelsbachischen Familie zeigt, ist er im Rollstuhl sitzend
abgebildet – es entstand während seiner Flucht vor den Preußen
nach München und hängt heute im Schloss Nymphenburg. Seine Mutter soll
wiederholt versucht haben, den Prinzen zum Eintritt in den geistlichen
Stand und damit zu einem Thronverzicht zu Gunsten seiner jüngeren Brüder
zu bewegen.
[Schließen]Kronprinzen, der wunderbarerweise alle Jahre ein Kind
zeugt. Der Kronprinzessin sagt man
viel Geist nach und der übrigen königlichen Familie im allgemeinen viel Güte.
Man sieht auch überall um den
Friedrich August
II. Kurfürst von Sachsen, als August III. König von Polen
und Großherzog von Litauen
[Schließen]König zufrieden Mienen, und er
erscheint leutselig gegen jedermann.
Ich besuche die Gräfin Wielhorski, während sie sich das Haar macht, und lerne hier eine junge, leichtsinnige, aber recht liebenswürdige Gräfin Moszinska kennen. Von hier begebe ich mich zum Diner zu Herrn von Maltzahn, unserem Gesandten, wo ich den berühmten Servandoni treffe, den Dekorateur der Dresdener und Pariser Oper. Nachmittags mache ich der Gräfin Werthern, einer großen Schwätzerin, einen Besuch, auch lerne ich eine sehr liebenswürdige Gräfin Salmour kennen. Dann besuche ich mit dem Grafen Rzewski den Großen Garten und das türkische Palais, in dem alle Mätressen des verstorbenen Königs als Türkinnen gemalt sind. Das Souper nehme ich bei der Gräfin Wielhorski mit einer kleinen netten polnischen Gesellschaft ein. Es ist doch eine liebenswürdige Nation, wenn sie sich in anderen Ländern etwas verfeinert hat. Nach dem Souper maskieren wir uns, um auf den Ball zu gehen, der am Hofe den Kammerfrauen der Königin gegeben wird, wo der ganze Adel maskiert hinkommt. Ich begleite die kleine Moszinska dahin und amüsiere mich vorzüglich. Von da gehe ich auf die Redoute bei Lafont(?), wo unendlich viel Menschen sind. Im allgemeinen sehe ich überall ein heiteres Wesen herrschen, wie man es bei uns nicht findet.
Am 1. März besucht er die Bildergalerie. Es ist wahrhaftig die schönste Deutschlands, vielleicht Europas. Er besucht seinen Freund Mackenzie, Hofmeister des jungen Grafen Moszinski, dessen Bruder, „Groß-Stolnick der Krone“ und Gemahl der jungen Moszinska. Bei ihm versammelt sich am Nachmittag „die ganze polnische Gesellschaft. Ich bemerke bei dieser Gelegenheit, dass die Sachsen und die Polen sich voneinander absondern.“ Am Abend besucht er die Oper und eine Redoute.
Der 2. März beginnt mit Besuchen beim Gesandten Maltzahn und der Gräfin Brühl. Gräfin Mniszech zeigt ihm die Tabacksdosen des Grafen in dessen Kabinett. Das Diner nimmt Lehndorff beim Kronvizekanzler, der ihn mit Fürstin Lubomirska bekannt macht, „die sich gerade zum Hofball, der immer am Fastnachtsdienstag gegeben wird, ankleidete.“ In der „Raritätengalerie“ der Geladenen sah er viel Pracht und Juwelen. Während der König die Oper besucht, sieht er sich dessen Gemächer und Gemälde an, bevor er ebenfalls die Oper besucht, „besonders um das Schauspiel zu sehen, dass der Hof bietet, der im Parterre Platz genommen hat, und zwar jeder nach seiner Nummer, die er gezogen hat. Die Prinzen und Prinzessinnen werden mit den Privatleuten gleich behandelt, und nur der König und die Königin nehmen die ersten Plätze ein.“ Der König gibt dem Hofmarschall den Auftrag, Lehndorff so zu platzieren, dass er mit ihm sprechen kann.
Zu Oginski, der in die „polnischen
Wirren“ verwickelt wurde und 1771 sein Vermögen verlor,
vgl. Nachträge, Bd. 2, S. 224 f.
[Schließen]Der 3.
März beginnt mit einem Besuch der Bildergalerie, die
Lehndorff fasziniert. Dann geht es in den Zwinger und zum Diner
„zu Oginski mit
meinen polnischen Freunden“. Er spricht mit Gräfin
Werthern und Gräfin Einsiedel, „die ich durchaus
heiraten soll. Nun, man muss sehen, wie sich das macht.“ Am Abend
lässt er sich zu einem Souper mit mehr als 40 Personen aus dem niederen Adel
einladen.
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