Prinz Heinrich, der Lehndorff während seines Aufenthaltes „mit seiner Kälte beehrt hat“, reist nach Rheinsberg ab, es folgen Einladungen und Versprechungen ohne Ende. Ich kenne diese Hofsprache und lasse mich nicht davon betören. Ich habe aufgehört, von der Zukunft noch Großes zu erwarten, ich hoffe nichts mehr und will mich fortan bescheiden; das ist für die, welche in unserem Lande leben, der einzig richtige Standpunkt, wenn sie sich nicht zu Tode grämen wollen. Sowie man sich ein hohes Ziel steckt oder dem Vaterland wirklich nützlich sein will, hat man nur unnötigen Ärger zu gewärtigen. Hier hängt alles vom Glück ab. Der König geruht nicht von den jungen Leuten seines Landes Notiz zu nehmen, noch ihre Talente zu prüfen; er bildet sich ein Urteil über uns nach dem Bericht von drei oder vier Menschen, zu deren Charaktereigenschaften nicht Anstand und Ehrlichkeit gehören. So bleiben wir vergessen. Die Kenntnisse, die wir uns erwerben, tragen nur dazu bei, uns unsere Lage noch härter erscheinen zu lassen; das Ende ist die völlige Entmutigung. Ich kann mich als Beispiel anführen. Wenn je ein Mensch dem König ergeben gewesen ist, so war ich es; ich habe ihn geliebt wie meinen Vater und würde ihm alles, was ich teures besitze, geopfert haben. Aber da man mich stets schroff abgewiesen und gekränkt hat, bleibt mir nur der Respekt vor ihm, während ich ihn von ganzem Herzen lieben möchte. - Die Einladung des Prinzen von Preußen nach Oranienburg erscheint mir aufrichtiger; demnach gedenke ich in einigen Tagen dorthin zu gehen.

Zitierhinweis

Tagebucheintrag von Ernst Ahasverus Heinrich Graf von Lehndorff. Berlin, 6. Juni 1756. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_i1j_2gb_mdb