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[Schließen]Kindheitserinnerungen an Gr. Steinort
von Klara Karasch
Wer bis 1907 von Rastenburg kommend nach Gr. Steinort wollte, musste das Kirchdorf Rosengarten passieren. Am Ende des Dorfes, dort, wo die Dorfstraße sich in zwei Landwege teilte, der eine führte nach Steinort, der andere nach Gut Pilwe, lag am Wege nach Steinort das Töpfergehöft meiner Großeltern, wo ich aufgewachsen bin.
Wenn die Steinorter Begüterungen auch nicht zum Kundenkreis meines Großvaters
gehörten, weil Gutstöpfer Sensfuß dort
arbeitete, so holten sich doch die Einwohner von Steinort und Labab,
einem Vorwerk, das am Weg nach Steinort lag, ihr irdenes Geschirr aus unserer
Töpferei. Es waren hauptsächlich Frauen, die sich Schalen (Grettschiewkes),
Kannen und Blumentöpfe holten. Auch Gutsgärtner Borowski holte sich im Frühjahr einen ganzen Wagen voll
Blumentöpfe, und wenn im Herbst in einem Insthaus ein Ofen erneuert werden
musste, holte sich Töpfer Sensfuß die braunen oder auch nur „geschreegte‟
(unglasierte) Kacheln dazu von Karl Fahron (geb. 1809), verheiratet seit 1831 mit Karoline
Narreyka. Für diesen und weitere Hinweise zu den hier genannten Personen
danke ich Torsten Woitkowitz.
[Schließen]Opa, der sie noch selbst
herstellte.
Auf hochrädrigem Sandschneider fuhren Gutsverwalter Flottwell und Rendant Hindenberg oft an uns vorbei. Am Sonntag
galoppierte ein flotter Reiter, Inspektor Weichler, ins Dorf. Auf seinem Kutschbock thronte Baranowski in seiner dunkelblauen Livree,
wenn er Gäste von Rastenburg abholte
oder wieder zurückfuhr. Nahte aber ein Viererzug, so saß meist Graf „de Carol‟ darin, der mit seinen Gästen
einen Besuch im Waisenhaus machen
wollte, das seine Mutter gegründet
hatte. Auf dessen Pferden hatte Anni Freiin von Schrötter Reiten
gelernt. Wie Baranowski und Poltzien war Liß 1945 verschollen und wurde
1949 von Anni von Lorck
gesucht.
[Schließen]Im Gestüt wirkte Stutenmeister Liß.
Sowohl
Richard Franz Puschke als
auch sein Vater August waren
Lehrer in Steinort.
[Schließen]Schon seit mehreren Generationen stellten die Puschkes
die Steinorter Lehrer. Die Vorfahren des Gastwirts und
Posthalters Poltzien, der auch
Fotograf war, waren wohl schon mit den Lehndorff nach Steinort gekommen. Die
Gutsmühle, die zwischen Labab und
Steinort auf einem Berg am See
lag, wurde von Müller Blum verwaltet.
Kreutz war Förster und
alteingesessene Familien wie Sieber,
Uwis, Guss, Masuch, Schönfeld und
in Labab
Bartnik und Scheimann wohnten dort.
Im Sommer fuhr Kaufmann Uwis aus dem Dorf jede Woche einmal mit Kolonialwaren nach Steinort. Bäcker Hölbüng schickte zweimal in der Woche die „Hutzelbab‟ und später die „Semmelanna‟ mit Backwaren nach Steinort und seinen Nebengütern.
Alle Brautpaare der Grafschaft wurden in der Rosengartener Kirche getraut. Im Herbst fanden die meisten Hochzeiten statt. Ich kletterte dann auf die Gartenpforte, um den nahenden Hochzeitszug besser sehen zu können. Voran fuhr ein vierspänniger Leiterwagen, auf dem Sitzbänke angebracht waren und der mit Girlanden und Laub geschmückt war. Darauf saßen die jungen Hochzeitsgäste. Die Mädchen trugen hellfarbene Batistkleider, die Burschen dunkle Anzüge. Ins Knopfloch hatten sie rote Bänder geknüpft, die lustig im Wind flatterten. Der Platzmeister (Brautführer) hatte sich als Zeichen seiner Würde mit einer besonders langen Schleife geschmückt. Im Federwagen folgten die Brauteltern und als letzter im Zug kam der Kutschwagen mit dem Brautpaar, in dem meistens auch die beiden Kinder, die in der Kirche Blumen streuen sollten, saßen. Junge Bräute trugen weiße, ältere schwarze Hochzeitskleider, Kranz und Schleier und das Myrtensträußchen im Knopfloch des Bräutigams fehlte nie.
Auf der Hinfahrt kam der Zug fast lautlos vorüber, doch auf dem Rückweg fuhr das junge Paar in flottem Trab voran, gefolgt von den Brauteltern. Erst zum Schluss folgte der Leiterwagen mit dem Jungvolk, auf den im Dorf noch die Musikanten zugestiegen waren. Kaum hatte der Zug das Dorf verlassen, begannen alle zu rufen und zu schreien und der Kutscher knallte dazu mit seiner langen, auch mit bunten Bändern geschmückten Peitsche. Oft hatte der Wagen schon die Kanalbrücke erreicht, doch der Wind trug das laute Schreien und Juchheen immer noch zu uns herüber, denn je mehr Krach auf der Rückfahrt gemacht wurde, desto mehr Glück sollte das junge Paar haben.
Um die Jahrhundertwende weilte der Bruder des Kaisers, Prinz Heinrich, als Gast in Steinort. Meine Eltern erzählten oft, dass der Kirchenchor, dem sie auch angehörten, nach Steinort gefahren war, um den hohen Gast mit Gesang zu begrüßen.
Nachdem die Bahnstrecke Rastenburg - Angerburg erbaut war, bekam Steinort auch eine Bahnstation. Nun fuhren die Besucher von außerhalb bis zu dieser Station und wurden von dort mit dem Fuhrwerk abgeholt.
Da Opa nun kein irdenes Geschirr mehr herstellte, weil die Industrie das leichtere Blechgeschirr auf den Markt brachte und die entstehenden Kachelfabriken die Kacheln viel billiger herstellen konnten, blieb auch die Kundschaft aus Steinort aus.
Nur Sonntags, wenn die Frauen zur Kirche kamen, schauten sie aus alter Gewohnheit noch bei Oma ein, um ein wenig auszuruhen und dabei ein bisschen zu plachandern.
Zitierhinweis