Die Eiche von Steinort

Es stehet eine Eiche
an einem steingen Ort.
Viel rauhe Stürme zogen
darüber brausend fort;
und haben ihre Zweige
auch wohl im Sturm gekracht,
so hat der treue Herr Gott
die Eiche doch bewacht!

So schlug sie ihre Wurzeln
fest in den Boden ein,
und viele Jahre stand sie
am Steinort ganz allein;
und haben achtzig Winter
ihr würd'ges Haupt gebleicht,
so hat der Frühling wieder
die Blätter neu erzeugt.

Und unter ihrem Schatten
erwuchs ein junger Hain.
Es steht die alte Eiche
nun nicht mehr so allein;
von Kind und Kindeskindern
ist dicht ihr Stamm umlaubt,
sie all erkennen dankbar
die Eiche als ihr Haupt!

Sie breitet ihre Zweige
zum Segen drüber hin
und hegt für jedes Bäumchen
den väterlichen Sinn.
Die jungen Bäume beten
zum mächt'gen Herrn der Welt:
dass er die treue Eiche
zu ihrem Schutz erhält!

Auf dass dereinst die Kinder
der Enkel, so wie heut,
der hundertjähr'ge Schatten
der Eiche noch erfreut;
dass Sturm und Wetter schweige
und milde fort und fort,
der Sonne Strahl bescheine
die Eiche von Steinort!

Zitierhinweis

Die Eiche von Steinort. Steinort, 17. September 1850 . In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_vld_ck4_5bb