Google Gaia. Die Vermessung von Wäldern und Bäumen
Birgit Schneider
In den letzten zwei Jahrzehnten ist es parallel zu Entwicklungen wie GPS, Google Engine und sozialen Netzwerken zu einer umfassenden Vermessung globaler Wälder und Bäume aus der Luft und vom Boden aus gekommen. Baumdaten werden einerseits mit Fernerkundungsmethoden nicht-invasiv über die Landsat-Satelliten erhoben. Andererseits werden Baumdaten invasiv über Sensoren entnommen und mitunter über Twitter täglich gesendet. In meinem Beitrag werde ich beide Formen dieser Datenerzeugung und -verwendung hinsichtlich der kybernetischen Vorstellung einer „Google Gaia“ betrachten, die die Sorge um die Natur in Feedbackschleifen einzufangen versucht, und ich werde die Frage stellen, was eigentlich als Baum oder Wald im Netz der Wälder „zählt“.
Augenbeobachtung
Katrin von Lehmann
Ich thematisiere eine Arbeitsweise der Meteorologie, die Augenbeobachtung, die seit mehr als einem Jahrhundert an einigen tausend Observatorien weltweit durchgeführt wird. Sie wird eingesetzt, um Wettererscheinungen und Wolkenbilder zu dokumentieren. Ich bin erstaunt, im Observatorium zu erfahren, dass das menschliche Auge jedem technischen Gerät überlegen ist, in den sich ständig verändernden Wolkenformationen Muster zu erkennen. So betrachtet der Mensch selbst den Himmel und klassifiziert die Wolken.
In Anlehnung an die Vorgehensweise der Augenbeobachtung entwickle ich ein künstlerisches Verfahren, das den Übergang von Beobachtetem in ein System beleuchtet. Den Blick in den Wolkenhimmel ersetze ich durch den Blick in das Wolkentagebuch, in dem die lateinischen Bezeichnungen der Klassifizierung stehen. Was sagen sie mir? Ich übersetze sie in Zeichnungen, ohne dabei an Wolken zu denken. Um einen verdichteten Prozess zu zeigen, falte ich die so entstandenen Arbeiten jeweils nach dem gleichen Prinzip und schichte sie chronologisch.
Gedichte aus Blutzuckerwerten - Zweckentfremdung als Ermächtigung?
Lukas Diestel
Über 100'000 mal im Jahr misst ein Silikonfaden in meinem Oberarm meinen aktuellen Blutzuckerwert. Als Mensch mit Typ 1 Diabetes sind diese Werte essentiell für mein Diabetes-Management, aber auch eine unmittelbare Bewertung dessen. Zu hohe oder zu niedrige Werte sind daher Garanten für schlechte Laune. Um den Werten einen positiven Zusatznutzen zu verschaffen, habe ich die Gedichtgrube (https://falschegefuehle.de) entwickelt. Dort werden meine Werte von einer künstlichen Intelligenz zu Gedichten verarbeitet. Ich gebe Einblicke in den Entstehungsprozess und die Funktionsweise des Projektes, sowie deren Einfluss auf den Umgang mit meinem Diabetes.
Daten als Versprechen – Organisationssoziologische Perspektiven auf Datennutzung
Stefanie Büchner
Nicht nur Unternehmen, auch öffentliche Organisationen wie Stadtverwaltungen, Jugendämter und Jobcenter erkunden aktuell Möglichkeiten, die Unmenge der von ihnen erzeugten Daten neu und anders zu nutzen. Die Hoffnungen richten sich hier insbesondere darauf, neue Muster und Zusammenhänge in Daten zu erkennen, die ein datenbasiertes Entscheiden (data-driven decision-making) ermöglichen. Naturalisierende Metaphern wie das „Abschöpfen“ von Daten oder die Rede von Daten als „neuem Öl“ legen vor allem den Aufgriff und die Nutzung nahe. Nichtnutzung wird zur Verschwendung. Jenseits des Gegensatzes von Nutzung und Nichtnutzung erkundet dieser Beitrag die Spannungsfelder Datennutzung in und zwischen Organisationen. Welche Logiken bestimmen wie Daten in und zwischen Organisationen genutzt werden? Welche Rolle spielen mikropolitische Interessen? Und: Wessen Arbeit erschafft eigentlich „vorliegenden Daten“?
On the Subject of Tests: Rehearsing the Examination
Sasha Bergstrom-Katz
On the Subject of Tests is an ongoing artistic research project that explores the genealogy, materiality, and affect of twentieth-century intelligence tests, specifically those developed in the United States. Though most people will never encounter an actual intelligence test, the notion of measurable intelligence (I.Q.) is pervasive across a multitude of cultures, evident in perceptions of worth, merit, and conflations between education, class, and so-called ability.
For the workshop, I will show a section of a work-in-progress video project that takes the administration of tests as its topic by restaging the examination in a state of rehearsal. Actors cast as test administrators highlight the performative aspect of testing and the variability of the experience of being tested. So far, the film itself has brought to the surface feelings of anxiety, exhaustion, identification, pleasure, and excitement for both actors and audience members. In the presentation, I will reflect on the theoretical and practical dimensions of filming, editing and exhibiting this project.
Reflecting from the Borderlands on Existential Uncertainty and Medical Diagnoses
Lara Keuck
The “borderlands” is an analytical term that was introduced to capture the perspective of existing in-between boundaries. My contribution explores how this perspective can be applied to understand the interplay between medical diagnoses and existential uncertainty: when waiting for a diagnosis or faced with fear that one may not have fully recovered from an ailment, the promises and limitations of medicine become particularly palpable.
In resonance with the performances of Sasha Bergstrom-Katz and Lea Søvsø, this presentation asks from a philosophical point of view what we can learn from the uncertain.
Measuring Bodies with the Fingertips
Lea Søvsø
The skin is out largest sensory organ. Clothing has always been tailored to this skin. In the past 150 years, however, this clothing shell has become more and more independent from the body it surrounds. Nowadays, it seems as if our skin must adapt to the foreign shell...what alienation results from this?
As a costume designer, I work with an intuitive and experience-based Formensprache. I use touch through my fingertips as a tool to subjectively measure and shape the clothing. In order for my counterpart and I to engage in this touch at all, a dialogue of language and movement is necessary. By means of a performative fitting, I present my artistic practice and discuss its transformative effects on body perceptions.
Ordnungen gelebter Zeitlichkeit
Julian Rauter und Daniela Doutch
Tierpräparate als Agenten einer vollendeten Zukunft, ein literarisches Verzeichnis einiger Verluste und kybernetische Überlegungen zu einer Mikrozeit: Im Panel „Ordnungen gelebter Zeitlichkeit“ wird ein komplexes Geflecht aus Objekten, Texten, Kulturtechniken und Vermessungsstrategien vorgestellt, das das Leben mit Vermessung in unserer Gegenwart mit Blick auf Fragen von Zukünftigkeit diskutiert.
In ihrer gemeinsamen Vorabrecherche haben die beiden Beiträger:innen verschiedenste Fundstücke aus ihren Forschungs- und Arbeitsbereichen zusammengetragen und in eine Dramaturgie überführt, die die Fundstücke miteinander verwebt. Denn so unterschiedlich die künstlerischen, kultur- und literaturwissenschaftlichen Herangehensweisen der Beiträger:innen auch jeweils sein mögen, so sind sie doch an gemeinsamen Themenkomplexen interessiert, die von nicht-menschlichen Akteur:innen, Vermessungsstrategien, Wahrnehmungsformen von Zeitlichkeit, Artensterben und Diversitätsverlust handeln.
Im ‚fliegenden Wechsel‘ werden die beiden Beiträger:innen kurz zu den einzelnen Versatzstücken sprechen und dabei Bezug nehmen auf die „Ordnungen gelebter Zeitlichkeit“.