Wilhelm von Humboldt an Franz Bopp, 07.10.1826
|1*| Ew. Wohlgeboren sage ich meinen lebhaftesten Dank für den belehrenden Genuß, den Sie mir abermals durch die mir mitgetheilten Bogen Ihrer Handschrift verschaft haben. Ich muß, wie beim ersten Theil Sie bitten, was ich darüber zu sagen im Stande bin, nicht als etwas anzusehen, das zu einer wahren Beurtheilung gereift wäre, sondern nur als Zweifel, die ich um so freier ausdrücke, als solange Ihre Arbeit nicht vollendet ist, Sie darin Veranlassung zu ausführlicherer Darstellung einzelner Theile Ihrer Meinung finden können.
Was Ew. Wohlgeboren gegen Grimm über das Participium in tus im Deutschen sagen, hat meine vollkommene Zustimmung. Man kann dies Participium nicht als etwas ansehen, das aus dem Praeteritum der schwachen Conjugation entstanden seyn sollte. Es ist augenscheinlich älter und ursprünglicher, u. ich glaube nicht, daß sich die Endung, wie auch Ew. Wohlgeboren mir anzunehmen scheinen, erklären läßt. Man kann sie nur in den Verwandten Sprachen nachweisen. Auffallend ist es indeß allerdings, daß dies Part. in t gerade immer die schwache, das in n die starke Conjugation begleitet. Allein ich glaube, daß sich dies erklären läßt, nur zwingt meines Erachtens diese Erscheinung, da das Part. nicht aus dem Imperf. abgeleitet werden kann, das letztere aus dem erstern abzuleiten. Nimmt man beide, als unabhängig von einander an, so wird jene Erscheinung so unerklärbar, daß sie mir, wie eine Thatsache, dieser Annahme entgegen zu stehen scheint. Ich halte, und auch Ew. Wohlgeboren deuten dies an, das Part. in t ursprünglich gar nicht für ein Participium, sondern für eine Adjectiv-, wenn Sie wollen Verbaladjectivform. Die Begriffe des Participiums u. * Adjectivums sind gewiß erst spät genau geschieden worden. Dagegen scheint mir in den Germanischen Sprachen das Part. der starken Conjugation |2*| wirklich eine Form des Verbi und mithin ein wahres Participium. Allein ich finde das Charakteristische desselben nicht in der Endung, sondern nur in dem Vocalwechsel. Wenn man nun diesen, d. h. die starke Conjugation zu verlassen anfieng, so war es natürlich daß man auch jenes Participium verließ. Man hielt sich nun an die Adjectivform, die man in der Sprache vorfand, und bildete an sie das Perfectum u. die schwache Conjugation an. Dies war, wenigstens früher, auch Ew. Wohlgeboren Meinung. Dann aber kann man nicht füglich das Praeteritum, als mit dem Hülfswort thun verbunden ansehen. Sollte das aber auch so sicher seyn?
Bog. 11. S. 4. sagen Ew. Wohlgeboren, daß die starke Conjugation der 1sten Sanskritischen entspricht. Ueber diesen Punkt, inwiefern Sie nun die starke und schwache Conjugation im Sanskrit anzutreffen glauben, werden gewiß auch andre Ihrer Leser eine ausführlichere Erklärung wünschen. Ich verstehe Sie so, daß bloß das durchgängige guna die Aehnlichkeit der 1. Sanskritischen Klasse u. der starken Conjugation begründet. Allein die Vergleichung scheint mir doch gar nicht recht zu passen. Die 1ste Classe hat mehr guna als die st. C., da sie es überall hat, und den übrigen Classen fehlt es auch nicht daran. Der große u. wichtige Unterschied der Germanischen u. Indischen Conjugation ist, daß, die ersten indem beide in zwei Hauptklassen zerfallen, dieser Unterschied in der erstern durch den Vocalwechsel, in der letztern durch die Zulassung eines Bindevocals bestimmt wird. Dieser Unterschied scheint mir auf die ganze äußere Physiognomie, u. das ganze innere Wesen beider Sprachstämme einen entschiedenen Einfluß auszuüben, und ich gestehe offenherzig, daß, wie |3*| Ew. Wohlgeboren Sich über das guna und die st. C. auslassen, dieser charakteristische Unterschied, meiner Ansicht nach, verdunkelt wird, ohne daß man die Ueberzeugung gewinnt, daß er kein wahrer sey. Wenn ich Ew. Wohlgeboren Schreiben an mich mit Ihrem Aufsatz zusammennehme, so scheinen Sie gar anzunehmen, daß es ein guna giebt, welches nicht durch die Gewichtlosigkeit der Endungen entsteht, sondern über dessen Ursprung Sie Sich nicht erklären. Denn Sie sagen: „bei der 1sten Classe wird das einmal (ich möchte aber fragen, wodurch?) heran gebrachte guna durch den Wachsthum der Endungen nicht mehr in seine Schranken zurückgeführt.“ Insofern nun die 1ste Classe eine Conjugation mit nicht von den Endungen herrührendem guna ist, und die zweite Conjugation (nach Ihrer Abtheilung) eine ohne andres guna, als was in einzelnen Fällen durch die Endungen entsteht, könnte man in jener die starke, in dieser die schwache Conjugation erblicken. Aber jedermann muß fühlen, daß die 1. u. 2. Classe einen ganz anderen Charakter haben, als die st. u. schw. C., daß der ersten der Wechsel der Vocale nach Maßgabe der grammatischen Formen, der 2ten die Abwesenheit alles Vocalwechsels u. die Einförmigkeit der Bildung der schw. schwachen Conjugation abgeht. Nebenher wird auch die Sanskritische Conjugation in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit gewisser, wenn man die Eintheilung in st. u. schw. C. auf sie anwenden will. Denn die 6te, so offenbar mit der 1sten fast identische Classe wird man nun gezwungen in Eine Linie mit der ihr ganz fremden 2ten zu setzen. Ew. Wohlgeboren erklären in der 6. Cl. den unterdrückten Einfluß der Endungen aus dem eingeschobenen a. Dies sonderbare Verhältniß der 1. u. 6. Cl. gegen einander kann ich mir, auch nach Ew. Wohlgeboren Ansicht, nicht anders erklären, als daß einigen |4*| Wurzeln ursprünglich das guna beiwohnte, andern nicht, u. daß man hiernach die Abtheilung annahm. Da man aber doch allen diesen Wurzeln dieselbe Conjugationsform zutheilte, so beweist dies, dünkt mich, recht augenscheinlich, daß das guna mit der Conjugationsform gar nicht zu thun hat, u. von unserm Vocalwechsel, dem Begriff u. Wesen nach, unterschieden ist. Der Unterschied der 1. u. 6. Cl. ist wirklich keiner, den die Sprache, sondern nur einer, den die Ordnungssorgfalt der Grammatiker macht. Damit Ihre Ideen über die hier nur kurz angeregten Momente dem Leser lichtvoller und übersichtlicher werden, hielte ich es für ausnehmend gut, wenn Ew. Wohlgeboren Sich bestimmter und deutlicher sowohl über die Vergleichung der Indischen u. Germanischen Hauptconjugationsarten im Allgemeinen, als über den Punkt, ob od und wie nicht jedes guna aus der Beschaffenheit der Endungen herstammt, aussprechen wollten.
Die von Ew. Wohlgeboren angeführten Französischen flexionen je tiens, je tenois cet. haben etwas sehr Auffallendes. Allein man wird doch irre, ob wirklich es die Endungen sind, die dies bewirken, weil die Analogie nicht durchgehend ist u. man auch tiendrois mit ganz schwer gewichtiger Endung u. ebenso je crains, je craignois (nicht cregnois) je craindrois u. s. w. sagt.
Ich habe mich sehr gefreut, zu sehen, daß Ew. Wohlgeboren auch die Declination in den Kreis Ihrer Prüfung aufnehmen wollen. Sie werden mich ungemein verbinden, wenn Sie mir auch bei der Fortsetzung der Abhandlung das Vergnügen gönnen wollen, mich vor dem Druck damit bekannt zu machen. Dies wird mich nicht hindern, sie auch nach demselben noch recht eigentlich zum Gegenstand meines Studiums zu machen.
Mit der hochachtungsvollsten Freundschaftder Ihrige,
Humboldt.
Tegel, den 7. October, 1826.