Franz Bopp an Wilhelm von Humboldt, 27.02.1822
|253r| Ew Excellenzhabe ich die Ehre hiermit nebst hochderen Anmerkung einige Zusätze zu meiner Ansicht über das Sanskrita-Gerundium zu überschicken, worüber ich im Wesentlichen mit Ew Excellenz vollkommen einverstanden bin.
Es wird mir sehr angenehm seyn mich in Zukunft über diesen Gegenstand auf die Autorität Ew Excellenz berufen zu können.
In tiefster EhrerbietungEw Excellenz
Unterthäniger
F. Bopp
Berlin den 27ten Febr 1822
|253v vacat|
|Anhang|
|254r| Ew Excellenz bemerken von dem Gerundium (indeclin. particip) sehr richtig daß es von der Wurzel komme mit Ausnahme der im Particip. des 3ten Praet. pass. gebräuchlichen Veränderungerungen. |sic| Sollte man sich auf ähnliche Weise nicht in Bezug auf den Infinitiv ausdrücken können und sagen: er käme von der Wurzel durch Anhängung des accusativs des Suffixes tu, wobey eben die Wurzel dieselben Veränderungen erleide, welche im ersten Futurum gebräuchlich sind?
|254v| Die Uebereinstimmung des Infinitivs mit dem P dem ersten Futurum läge also hauptsächlich darin daß beyde jene Wurzel-Vocal Veränderung vornehm erleiden, welche von den Indischen Grammatikern guna genannt wird: d. h. i wird in ē, u in ō, {ṛ} in {ar} verwandelt. Diese dem Infin. und G 1sten Futur gemeinschaftliche Vocal-Veränderung möchte ich zu jenen Verschwendungen organischer Hülfsmittel rechnen, wovon Ew Excellenz, wenn ich mich recht erinnere, in Ihrer trefflichen Abhandlung Erwähnung gethan haben; – denn besagte Vocalveränderung drückt kein grammatisches Verhältniß aus und ist also für das Futurum wie für den Infinitiv eine unwesentliche, wie wohl standhafte, Zugabe. – Das erste Futurum erhält, wie ich glaube, seine zukünftige Bedeutung, einzig von dem Suffix {tṛ}, welches ein participium futurum bildet, dem Lateinischen in turus entsprechend, denn die 3te Person jenes 1sten Futurums scheint wohl nichts anders zu seyn |255r| als der nomin. masc. in den 3 respektiven Zahlen, so daß {dātā} (daturus) auch daturus, datura, daturum est bedeutet, wie {dātārau} (ambo daturi) zugleich für ambo, ae, o daturi, ae, a sunt, und ebenso {dātāraḥ} (daturi) für den plur.
Das Suffix t Infinitiv-Suffix tum wird von Forster zu den Kridanta-Suffixen gerechnet, dh zu denjenigen welche nomina unmittelbar aus der Wurzel bilden. Indessen stimme ich doch mit Ew Excellenz darin überein daß man wegen der durchgängigen Analogie zwischen Futur. und Infinitiv. das eine von dem anderen ableiten kann; man dürfte jedoch fragen ob man nicht mit gleichem Rechte das erste Futur., oder, was dasselbe ist, das partic. auf {tṛ} von dem Infinitiv abzu abzuleiten wäre, so wie man in der That im Lateinischen das particip. auf turus von dem Supinum abzuleiten pflegt. |255v| Merkwürdig ist es daß das Gerundium zuweilen neben einer Form worin der Wurzel-Vocal unverändert erscheint, auch eine andere mit verstärktem Wurzellaut hat, welche sich dann an den Infinitiv anschließt, z B: {ruditvā} {roditvā} {rodituṃ} {ghutitvā} {ghotitvā} {ghotituṃ}, {likhitvā} {lekhitvā}; {lekhituṃ} {kliṣṭvā} {kleśitvā} {kleśituṃ}
Zuweilen haben Infinitiv und Gerundium zwey Formen, wovon die eine beyden gemeinschaftlich ist, z B
{naś} {naṃṣṭvā} {naṣṭvā} {naṣṭuṃ} {naṣitvā} {naṣituṃ}
Der Einwurf welchen Schlegel von der zuweilen stattfindenden Verschiedenheit zwischen Infinit. und Gerundium hernimmt habe ich übrigens in meinem ConjugationsSystem selbst berührt und zu widerlegen gesucht. <p. 57.> Das Wesentliche meiner Behauptung bleibt jedoch, wie sie Ew Excellenz aufgefaßt haben, daß der Infinitiv der accusat. und das Gerund. der Instrumental. eines Verbalnomen oder abstracten Substantivs sey.
|256r/v vacat|