Akademievorlesung | 22.05.2014 18:30 Uhr
Europa in globaler Perspektive
Das Europa des 18. und 19. Jahrhunderts steht gemeinhin für einen Kontinent der Herausbildung der Nationen und der industriellen Moderne. Doch welche Teile der Geschichte verbirgt dieser Blick auf Europa als einen rasanten Erneuerer und Revolutionär ökonomischer sowie gesellschaftlicher Verhältnisse? Am zweiten Abend der Akademievorlesung „Europa in globaler Perspektive“ nehmen die Historiker Ute Frevert und Andreas Eckert die Kehrseiten einer durch die industrielle Revolution und technischen Fortschritt gekennzeichneten Epoche unter die Lupe. In ihren Vorträgen beleuchten sie die repressiven Fundamente des nationalistisch und imperialistisch geprägten Europas dieser Zeit.
Akademiemitglied Ute Frevert untersucht in ihrem Vortrag den ambivalenten Zusammenhang zwischen kriegerischen Auseinandersetzungen und der Nationenbildung in Europa. So betont sie: „Kriege wirken als Geburtshelfer und Durchlauferhitzer nationaler Bewegungen und Programme. Aber Kriege geraten ihrerseits unter nationalistischen Einfluss und werden je länger, desto mehr als Volkskriege mit entgrenzter Zerstörungsgewalt geführt.“
Daraufhin erinnert Andreas Eckert, Professor für afrikanische Geschichte, an eine andere Seite europäischer Gewalt: dem Kolonialismus. Sein Vortrag widmet sich den Komplexitäten kolonialer Herrschaftsgeschichte und fragt nach den Gründen bzw. ideologischen Legitimationsargumenten dieser Gewaltbereitschaft. Schließlich verweist er auf eine Verbindung zwischen kolonialer Gewalterfahrung und der Kriegsführung europäischer Staaten.
KRIEG UND FRIEDEN: DAS EUROPA DER NATIONALSTAAT
Vortrag: Ute Frevert
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Akademiemitglied
LABOR DER GEWALT? EUROPÄISCHE IMPERIEN UND KOLONIALE KRIEGE
Vortrag: Andreas Eckert
Humboldt-Universität zu Berlin
Moderation: Jürgen Renn
Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte
Wofür steht Europa? In den vorherrschenden Bildern und Imaginationen von Europa gelten normative Ansprüche auf Rationalität, Aufklärung, Liberalismus, Moderne, bürgerliche Gleichheit und universelle Menschenrechte als Entdeckungen europäischer Geschichte. Doch ist die Selbstverständlichkeit dieser Annahmen historisch betrachtet noch haltbar?
Die im Rahmen des Jahresthemas 2013|14 „Zukunftsort: EUROPA“ stattfindende Akademievorlesung „Europa in globaler Perspektive“ betrachtet in Doppelvorträgen transformative Epochen europäischer Geschichte. Mit ihren binnen- und außereuropäischen Sichtweisen präsentieren Akademiemitglieder und Gäste alternative Lesarten, die eine universalistische Geschichtsschreibung in Frage stellen - zugunsten einer Vielfalt der Perspektiven.
Mit freundlicher Unterstützung der Max-Planck-Gesellschaft.
Der nächste Abend der Akademievorlesung findet am 12. Juni 2014 statt.
"Das Europa des 19. Jahrhunderts ist ein Laboratorium der Moderne, in vielfacher Hinsicht. Es steht für Industrialisierung und Urbanisierung, für den Triumph von Wissenschaft und Technik. Aber es steht auch und vor allem für die Gründung von Nationalstaaten, die ihre innere Geschlossenheit oft durch die Betonung äußerer Rivalitäten und Feindschaften zu fördern suchen. Die meisten Nationalstaaten in Europa gehen aus Kriegen hervor: Kriege wirken als Geburtshelfer und Durchlauferhitzer nationaler Bewegungen und Programme. Aber Kriege geraten ihrerseits unter nationalistischen Einfluss und werden je länger, desto mehr als Volkskriege mit entgrenzter Zerstörungsgewalt geführt. Der Große Krieg, der das lange 19. Jahrhundert zu Grabe trug und dessen Beginn sich 2014 zum hundertsten Mal jährt, führt beide Aspekte sinnfällig vor Augen."
"Die Errichtung kolonialer Herrschaft war eine langwierige, ungleichmäßige Angelegenheit und durch ein komplexes Konkurrenzgeflecht geprägt, in dem nicht selten Europäer gegen Europäer und Einheimische gegen Einheimische standen. Es gab vielerorts Widerstand gegen die kolonialen Eroberer aus Europa, aber ebenso Arrangement und Kooperation. Ein zentraler Aspekt des Kolonialismus war dennoch die Gewalt, in der Regel keineswegs ein Ausdruck der Stärke, sondern der Schwäche der europäischen Kolonialherren. Denn die Europäer stellten selbst in den Siedlungskolonien nur eine verschwindend geringe Minderheit dar. Koloniale Herrschaft blieb deswegen immer prekär. Aber lässt sich allein dadurch koloniale Gewalt erklären? Welche Rolle spielten Rassismus, Herrendenken und militärische Sozialisation? Und wie stark prägten koloniale Gewalterfahrungen und -praktiken die Kriegsführung europäischer Staaten in den beiden Weltkriegen?"
Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Veranstaltungszeitraum:
22.05.2014 18:30 Uhr
Veranstaltungsort:
Akademiegebäude am Gendarmenmarkt, Einstein-Saal,
Jägerstrasse 22/23, 10117 Berlin
Kontakt
Susanne Hauer
jahresthema@bbaw.de