EINLADUNG zum
Dienstag, 14. Juli 2009, 18.30 bis 21 Uhr
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Leibniz-Saal, Markgrafenstr. 38, 10117 Berlin
Werden
Institutionen wie Familie, Arbeitsteilung oder das Inzesttabu von der
Umwelt oder durch Gene beeinflusst? Wie kann Sozialverhalten angesichts
der Bedeutung von Kultur und der biologischen Natur des Menschen
erklärt werden? Wenn Menschen nur ein Organismus wie alle anderen sind,
aber offensichtlich in ihrer Evolution durch den Faktor Kultur stärker
beeinflusst, was unterscheidet uns dann von anderen Arten?
Seit
mehr als hundert Jahren besteht ein Konflikt zwischen der Soziologie
und der Biologie um die Deutungshoheit gesellschaftlicher Prozesse.
Wechselseitige Ignoranz und ein Denken in den Gegensätzen „Natur“ und
„Kultur“ behindern oftmals einen fruchtbaren Austausch. Dabei liefert
die Evolutionstheorie durchaus Grundlagen für Modelle, die menschliches
Sozialverhalten erklären. Inwieweit diese allseits befriedigende
Antworten geben können, diskutieren die Teilnehmer des Forums nach
kurzen Einführungsvorträgen (à 15 min.).
Begrüßung
Klaus Lucas, Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
Wie viel Biologie vertragen die Sozialwissenschaften?
Peter Weingart, Professor für Soziologie und Wissenschaftsforschung, Universität Bielefeld
Der
Vortrag betrachtet die Berührungspunkte zwischen Soziologie und
Biologie. Vorgestellt werden verschiedene evolutionstheoretische
Modelle, auch aus der Zeit vor Darwin, die zur Erklärung
gesellschaftlichen und kulturellen Wandels herangezogen wurden.
Problematisiert wird, ob solche biologischen Theorien und Modelle zur
Erläuterung sozialen Verhaltens direkt anwendbar oder allenfalls im
übertragenen Sinn brauchbar sind. Anhand einiger Kritiken lässt sich
zeigen, warum die Soziologie der Anwendung der Evolutionstheorie auf
den sozialen Wandel kritisch gegenübersteht und es noch nicht zu der
„Evolutionären Synthese“ gekommen ist, wie sie die Biologie erlebt hat.
Wie viel Gesellschaft erklären die Biologen?
Peter Hammerstein, Professor für Theoretische Biologie, Humboldt-Universität zu Berlin
Staatenbildende
Insekten legen Plantagen an, verfügen über Armeen und sind in der Lage,
Bauten zu errichten, die den Vergleich eines Hochhauses mit Klimaanlage
nicht zu scheuen brauchen. Zweifellos gibt es im Tierreich hoch
entwickelte Formen sozialen Verhaltens, die von Kooperation und
Arbeitsteilung geprägt sind. Dies hat Biologen bereits in den 1970er
Jahren dazu verleitet, im Menschen so etwas wie „die andere Ameise“ zu
sehen und eine herausragende Rolle der Biologie bei der Erklärung
sozialer Phänomene zu postulieren. Aus Sicht der theoretischen Biologie
stellen sich die Beziehungen zwischen den Sozial- und
Naturwissenschaften jedoch differenzierter dar: Während die Sozialität
der Insekten mit mathematischen Modellen der genetischen Evolution
erklärt werden kann, lässt sich das Prinzip nicht direkt auf den
Menschen übertragen. Offenbar besitzt Kulturevolution eigene
Gesetzmäßigkeiten, die sich von denen der genetischen Evolution
wesentlich unterscheiden.
Was bedeutet begrenzte Rationalität? Von Optimierung zu Homo Heuristicus.
Gerd Gigerenzer, Direktor am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
Die
Verhaltensbiologie hat in vielen Fällen gezeigt, dass Tiere Probleme
wie die Suche nach einem Partner mit erstaunlich einfachen Heuristiken
lösen, die nur wenig Information berücksichtigen. Menschliches
Sozialverhalten beruht oft auf ähnlich einfachen Prozessen, von Werten,
welche sich in der Imitation der Peers begründen, bis zu politischem
Wahlverhalten, das selten auf gründlicher Kenntnis der Sachverhalte
beruht. All dies steht im Kontrast zu klassischen rationalen Theorien
des Verhaltens. Warum analysieren Menschen nicht alle Informationen?
Ich beantworte diese Frage mit den Ergebnissen der Forschung zur
begrenzten Rationalität, nach der in einer unsicheren Welt das
Ignorieren eines Teils der verfügbaren Information notwendig ist, um
gute Entscheidungen zu treffen. Weniger kann mehr sein.
Eines für alle(s): Wie viele Menschenbilder brauchen die Sozialwissenschaften?
Hartmut Esser, Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre, Universität Mannheim
Lange
Zeit standen sich die Ökonomie und Soziologie mit scheinbar
gegensätzlichen Menschenbildern gegenüber: Homo oeconomicus, der nur
seinem Interesse folgt, perfekt informiert ist und seinen Nutzen
maximiert, und homo sociologicus, der gesellschaftliche Normen
verinnerlicht hat und ihnen mehr oder weniger blindlings folgt.
Inzwischen sind beide Modelle überholt und es gab etliche Versuche,
Alternativen dazu zu entwickeln wie die Vorschläge zur „begrenzten“
Rationalität bei den Ökonomen, diverse Handlungstypen in der
Soziologie oder die Befunde in der Sozialpsychologie, dass Menschen
vereinfachende „Heuristiken“ benutzen und damit ganz gut fahren. Es
gibt aber Hinweise darauf, dass der Mensch situationsbedingt ganz
verschiedene Grade an Rationalität „wählen“ kann. Gezeigt wird, wie ein
solches Modell mit neueren Ergebnissen der Gehirnforschung zusammen
hängt und welche möglichen evolutionstheoretischen Hintergründe es hat.
Ab 20 Uhr Podiumsdiskussion
Moderation: Norbert Lossau, Ressortleiter Wissenschaft bei der WELT
Die Veranstaltung findet statt im Rahmen des Jahresthemas
2009|2010: Evolution in Natur, Technik und Kultur. Ziel der Akademie
ist es, das Thema Evolution interdisziplinär zu diskutieren, um neue,
insbesondere kulturwissenschaftliche Perspektiven aufzuzeigen. Dies
geschieht in Kooperation mit zahlreichen Partnerinstitutionen aus den
Bereichen Wissenschaft und Kultur.
Der Eintritt ist frei.
Über eine Ankündigung der Veranstaltung, Ihren Besuch und Ihre Berichterstattung freuen wir uns sehr!
Informationen und Presseanmeldungen bitte unter:
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Anita Hermannstädter
Koordinatorin Jahresthema
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