Rautenburg, den 11. April 1874
Hochgeborene Frau,Hochverehrte gnädigste Gräfin!
Mit hohem Interesse und mit warmer Teilnahme habe ich die gütige Zuschrift und
den Plan der Begründung eines großartigen adligen Provinzial-Frauen- resp.
Fräuleinstiftes in ernste Überlegung genommen, die mir umso näher lag, Taube, Otto Freiherr von, Das Buch der
Keyserlinge. An der Grenze zweier Welten. Lebenserinnerungen aus einem
Geschlecht, Berlin 1937.
[Schließen]als ich nicht nur durch vieljährige Verwaltung der
Stiftungen der eigenen Familie als auch die stets benutzte Gelegenheit
der Prüfungen solcher Stiftungen in den anderen Gegenden und Ländern,
insbesondere in den russischen Ost-Provinzen mit solchen Stiftungen
recht bekannt bin und für sie Interesse habe.
Die hohe Achtung und das Vertrauen zu Ihrem edlen Streben, gnädigste Frau Gräfin, verpflichten mich aber, neben dem Ernste der Prüfung auch zum vollen Aussprechen meiner Überlegung und Ansicht, selbst wenn sie nicht ihre verehrte Billigung finden. Daher gestatte ich mir hier manche Erwägung zu unterlegen, bei welcher ich in den Prinzipien die Abweichung finde, die mir es gestattet, auf eine Kritik im einzelnen zu verzichten.
Als treuer Protestant bin ich grundsätzlich gegen alle diese(?) Einrichtungen, halte es für Pflicht und Beruf, dass auch alte Personen, die der Unterstützung bedürfen, wo nicht körperliche Gebrechen, das unbedingt verbieten, unter Menschen mit Pflicht und Beziehungen leben, wie Luther allein ein gottgefälliges Leben anerkannt, und habe auch in der Praxis das allein bewährt gefunden.
Unsere heutigen sozialen Zustände und die Entwicklung der Gesetzgebung bis auf die neueste Zeit hat alle gesetzliche Grundlage, Repräsentation und allen Zusammenhang des Adels als solchen in der Provinz gelöst und damit das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit in der territorialen Begrenzung einer Provinz aufgehoben. Damit ist für meine Auffassung der Boden und die Bedingung für provinzielle Adelsstiftungen entzogen.
Gerade dieselbe Anschauung haben in anderen Provinzen die Familientage, die Geschlechtsvereinigungen hervorgerufen, die im Gegensatz gegen territoriale Beschränkungen und zum Ersatz den historischen Zusammenhang der Familien über die Grenzen der Provinz und des Landes hinausgehend beleben und zu gemeinsamer Unternehmung für Vorsorge für ihre Angehörigen führen sollen.
Auf diesem Standpunkte stehe ich theoretisch nicht nur, sondern in langjähriger praktischer Verwaltung der Stiftungen der eigenen Familie, und bin dadurch auch verpflichtet und verbunden, in diesem Sinn zu wirken. Auf diesem Standpunkte stehen aber auch viele andere historische Adelsfamilien der Provinz und können nicht wohl denselben für eine Provinzial-Verbindung aufgeben, der Gemeingefühl und gesetzliche Grundlage der Zusammengehörigkeit fehlt.
Sieht man in großartiger Provinzial-Stiftung aber ein Institut, das je nach der Summe des Einkaufs und der Einzahlung an diese ein unbedingtes Recht der Zeichnung von Pension und Vorteil anderer Art knüpft, so wird daraus eine Gesellschaftsvertretung von Interessenten, die in den heutigen Instituten der Renten-Kassen, Versicherungen etc. früher nicht gekannte Hilfsmittel für Eltern und Verwandten bietet, für Verwandte zu sorgen.
Es würde diese grundsätzliche Verschiedenheit der Überlegungen, verehrte Gräfin,
dazu genügen, meine Stellung zur Angelegenheit zu motivieren, Siehe den Brief vom 31.
Mai 1874 in: APO, Bestand 382, Nr. 494, Bl. 3-3v.
[Schließen]und darf ich dann hier schließen und mir vorbehalten,
bei der sehr herbeigewünschten Vorstellung auf weitere Entwicklung
einzugehen.
Zitierhinweis