Angerburg, 12. April 1891
Hochgeborene Frau,Gnädigste Frau Gräfin!
eine Gelegenheit, den Herrn Hofprediger Stoecker zu
sehen und persönlich kennenzulernen, würde gewiss allen Geistlichen der hiesigen
Diözese sehr lieb sein. Am 30. d. M. ist Grundsteinlegung der Kirche in
Possessern, bei welcher Feier
alle Geistlichen zusammenkommen. Ich könnte also dieselben persönlich einladen
und zu der qu. Versammlung in Steinort anregen. Was nun den Tag der Versammlung betrifft, so
würde vielleicht der Mittwoch nach Pfingsten bequemer sein; am Dienstag dem
letzten Junitag sind hier und da Trauungen, auch Stöcker wäre es vielleicht
lieber, wenn er nicht an einem Festtage reisen darf. Ich selber, so lieb und
wertvoll es mir sein würde zu der in Aussicht genommenen Versammlung zu kommen,
zumal ich Stoecker noch nie gehört habe, bin durch eine
General-Kirchen-Visitation in Westpreußen, zu der mich der Ev.
Oberkirchenrat beordert hat und die schon am letzten Freitag
anfing und 14 Tage währt, verhindert. Ich bitte gnädigste Frau Gräfin auf mich
allein nicht Rücksicht zu nehmen, wenn nur die anderen Geistlichen alle dazu
kommen, und setze ich voraus, dass sie mit Freude der Einladung folgen werden.
Einen großen Dienst könnte Stoecker noch unserer Kirche tun. Auch in der Nähe von
Rhein gab es einen „Stundenhalter namens Sareika‟, der agitatorische
Versammlungen abhielt und „im Bund mit Droste‟ stand, vgl. Die
evangelischen General-Kirchen- und Schulvisitationen in Ost- und
Westpreußen 1853 bis 1944, bearb. von Iselin Gundermann, hrsg. von
Walther Hubatsch, Göttingen 1970.
[Schließen]Sein Name ist in Lötzen und Rhein auf das scheußlichste von den Anhängern des
Agnostaten Droste
gemissbraucht, um den Sozialdemokraten gleich zum Austritt aus der
Kirche zu raten. Man hat nämlich das
schändliche Gerücht aufgebracht, dass Stoecker aus der Kirche ausgetreten sei,
und gerade dadurch ist es gelungen, eine große Zahl von Leuten aus der Kirche
herauszuziehen und zum Austritt zu bewegen, um sich der Drosteschen Sekte
anzuschließen. Es wäre gut, wenn Stoecker dieser Lüge entgegentreten wollte. Die
Zahl der in Lötzen und Rhein ausgetretenen ist ziemlich groß. Gott sei Dank ist
der hiesige Kreis gegen diese Versuchung standhaft geblieben, ja man hat sogar
in einzelnen Dörfern, wo Droste seinen Besuch angemeldet hatte um gegen die
Kirche zu wüten, sich seinen Besuch ernstlich verbeten.
Was nun die Gefahr der Sozialdemokratie betrifft, so fürchte ich für unsere Landbevölkerung
dieselbe nicht. Ich halte es zunächst nicht für praktisch, unsere Gemeinde zu
einem Kampf aufzufordern, solange der Feind nicht da ist. Erregt man die
Gemüter, indem man schon lange vorher von den Gefahren und Lehren der
Sozialdemokratie predigt, so streicht man in die Luft, denn hier hat man noch
keinen Sozialdemokraten gesehen; ferner werden die Leute gespannt auf den Feind,
den sie doch endlich einmal mit ihren eigenen Augen sehen und ihren eigenen
Ohren hören möchten. Sie bekommen überhaupt zuviel Interesse für diese Neuheit
und wir bereiten, ohne es zu wollen, dem Feind den Boden. Unsere Aufgabe darf
zunächst nur die sein, unseren Gemeinden die geistliche Waffenrüstung, von der
H. Paulus im Epheserbrief spricht, anlegen zu lassen, sie mit guter Lektüre
reichlich zu versorgen und sie also stich- und hiebfest zu machen. Die Rüstung
muss im Willen geschehen, ohne Geräusch. Im Konfirmandenunterricht kann man weit
mehr auf die wahnwitzigen Lehren der Sozialdemokratie eingehen als vor den
Erwachsenen in Predigten und Ansprachen. Hier haben wir auch die Herzen der
Kinder ganz in der Gewalt und können dieselben wie weiches Wachs formen.
Kommen nun wirklich zu uns die Sendboten der Sozialdemokratie und wollten Versammlungen halten, so würde ich keinen Anstand nehmen, diese Versammlungen aufzusuchen, entgegenzutreten, Gegenversammlungen zu halten, die Leute aufzufordern, die Fremdlinge auszuweisen. Ich habe die feste Überzeugung, dass sie bei uns nichts machen können. Nur auf einem einzigen Wege könnten die Sozialdemokraten hier Einzug finden, wenn sie nämlich sich den Stundenhaltern und sektiererischen Reisepredigern anschließen, die unter dem Deckmantel derselben als „Reiseprediger‟ auftreten würden. Es liegt im Sektenwesen viel Sozialdemokratisches. Der Apostoler-Prophet Tischler Stanowski belehrt die Leute, dass er im Jahre 1896 das tausendjährige Reich aufrichten werde, wo es allen Reichen schlecht gehen wird, wo er mit den Seinen zur Weltherrschaft gelangen und in allen Herrlichkeiten und Freuden leben werde. Er sei der „Gott der Rache und des Gerichts‟. Editorische Auslassung [...] Das ist doch der größte Blödsinn, aber es wird geglaubt, weil Stanowski als frommer geistlicher Reiseprediger auftritt und weil er große Verheißungen macht. Ich bin der festen Überzeugung, dass, sobald wirklich hier bei uns der Kampf gegen die Sozialdemokratie anfängt, sämtliche Sekten auf seiten der Gegner stehen. Beim Zusammenbrechen aller bestehenden Ordnungen können die Sekten nur gewinnen, die Kirche nur verlieren.
Auf Ihrem Gut Taberlack hält jeder
Instmann auf seine Kosten den Ostpreußischen Sonntagsfreund, es sind dort 26
Abonnements, was mich sehr freut. Gerade, dass jedes Familienhaupt sich solche
Sonntagspost selbst besorgt und dafür auch etwas bezahlt, ist erfreulich. Zu Kordack und Pahlke:
Angerburger Landschulen. Dokumentation über die 77 Dorfschulen im Kreis
Angerburg/Ostpreußen, Angerburg 1983, S. 283 f., 378.
[Schließen]Der Lehrer Kordack hat das zustande gebracht, was anderen Lehrern
nicht möglich ist. Bei Pahlke
in Rehsau fand ich bei der
letzten Revision die Die Preußische Lehrerzeitung war 1875 von einem Spandauer
Verleger begründet worden.
[Schließen]Spandauer
Lehrerzeitung auf dem
Schultische.
Dieses erzfortschrittliche Blatt. Ich habe ihm ganz energisch meine Meinung
gesagt, Gott befohlen!
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