Gumbinnen, 27. Dezember 1812

An des Königs Majestät.

E. K. M. stelle ich ehrfurchtsvoll anheim, den Überbringer dieses, den Grafen Lehndorff auf Steinort, vor Sich zu lassen. Schon seit dem Anfang der Flucht der wenigen französischen Soldaten, welche den Kugeln und dem Frost entkommen waren, bin ich von Männern aus allen Ständen dieser Provinz dringend aufgefordert, einen Augenzeugen, der nur sagt, was er sah, an E. K. M. abzuschicken. Da ich in der Regel täglich an Allerhöchstdero Staatskanzler per Estafette berichtete und der  Adjutant Yorcks während des Feldzuges 1812
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Major von Hiller
abgegangen war, so beruhigte ich damit die Besorgnis, dass die französischen Tagesbefehle und Ordres, welche von Armeekorps und Dingen sprechen, welche nicht mehr da sind, die Lage der Sache verdunkeln möchten. Seitdem russische Truppen aber den Teil der Provinz von Memel bis Darkehmen größtenteils besetzt haben, ist der direkte Postenlauf sistiert und der indirekte höchst unsicher geworden.  Vgl. Schultze, Lebensbild, S. 261 ff., auch zu den Verhältnissen in Ostpreußen. Demnach hatte Ostpreußen allein 1812 eine Gesamtschaden von fast 100 Millionen Mark (33.208.474 Taler) durch den Feldzug erlitten und somit 2/5 des Gesamtverlustes des Landes zu tragen.
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Ich habe daher von den Vielen, welche zu E. K. M. wollten, um von der wahren Lage der Sache hier Bericht zu erstatten, den Grafen Lehndorff auf Steinort ausgesucht. Er ist der bedeutendste Gutsbesitzer der Provinz, er war Militär, kann also militärische Ereignisse beurteilen, und er hat in dieser verhängnisvollen Zeit mir Beweise gegeben, dass er würdig ist, ein Mitglied der Familie zu sein, die sich seit Generationen durch Anhänglichkeit an E. K. M. Haus ausgezeichnet hat.
Er hat die große Szene größenteils selbst gesehen. Er kann, wie er hier und in Tilsit selbst erfahren hat, E. K. M. sagen, mit welcher Ehrfurcht Ew. Majestät Name von jedem Russen genannt wird, mit welcher Achtung der Preußische Adler und jede von Ew. Majestät gesetzte Autorität begrüßt wird, und welche Mühe sich die russischen Obern geben, eine gute Manneszucht zu halten.

Um mit einem Zuge alles dieses zu bestätigen: Der hiesige Kosaken-Oberst fand fünf eben rekonvaleszierte Soldaten vom Leibregiment hier. Als er diese auf dem Rapport fand, schickte er sie mir gestern durch seinen Adjutanten und ließ mir sagen: Er handle der Freundschaft seines Kaisers gegen Ew. Majestät gemäß, wenn er sie auf freien Fuß setze und zu meiner Disposition stelle. Er will ihre Pässe visieren, wenn ich sie nach Hause schicke. Der Graf Lehndorff wird Ew. Majestät endlich einen erst heute hier herausgekommenen Aufruf an E. K. M. Untertanen überreichen, der die durch Äußerungen französischer Machthaber hier erzeugte Besorgnis hebt.

Der Graf Lehndorff reist ganz als Privatmann, ohne dass seine Sendung hier bekannt wird. Ich habe ihm den Auftrag erteilt, dort auch jede Aufmerksamkeit zu vermeiden. Er hat nur den Auftrag, E. K. M. und Allerhöchstdero Staatskanzler zu berichten, wie hier die Lage der Sache ist, und kehrt sogleich wieder als Privatmann auf seine Güter zurück, wo er unbemerkt lebt.

v. Schön

Zitierhinweis

Theodor von Schön an Friedrich Wilhelm III. König von Preußen. Gumbinnen, 27. Dezember 1812. In: Lebenswelten, Erfahrungsräume und politische Horizonte der ostpreußischen Adelsfamilie Lehndorff vom 18. bis in das 20. Jahrhundert. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2019. URL: lebenswelten-lehndorff.bbaw.de/lehndorff_drz_ptl_5y