10. Heft - Peter Weingart: KASSANDARUFE UND KLIMAWANDEL


Seit über 20 Jahren tobt der Streit darüber, ob es einen globalen Klimawandel gibt und vor allem ob er durch den Menschen ausgelöst wird. Die Klimaforschung hatte im Verlauf der Jahre fast einen Konsens erlangt und Politik und Medien von der Ernsthaftigkeit ihrer Warnungen überzeugt. Plötzlich drohte jedoch der Konsens zu zerbrechen, das Interesse der Medien zu erlahmen und in Skepsis umzuschlagen.


Medialisierung der Wissenschaft

Die große Sommerflut hat den Klimawandel ein weiteres Mal in die Medien gespült. Bis in das Feuilleton, hinter dem sich immer irgendein kluger Kopf verbirgt, schwappten die Wellen dieses Diskurses. War sie der Vorbote des Klimawandels oder gar schon die Rache der Natur für der Menschen sündhaftes Tun? Wie es scheint, hat der Diskurs sich gegenüber früheren Ereignissen verwandter Art, zum Beispiel den ungewöhnlich heißen Sommern der neunziger Jahre, verändert. Im Jargon gesprochen: Die Klimaforschung ist noch einmal davongekommen. Um das Glück dieser Wende zum Guten besser einschätzen zu können, muss man die Vorgeschichte genauer kennen und verstehen, wie nahe die Katastrophe wirklich war. Blicken wir zunächst auf ein Phänomen, das den Kontext für die weiteren Analysen abgibt und als "Medialisierung der Wissenschaft" bezeichnet werden kann. Bekanntlich hat schon Francis Bacon die Wünschbarkeit einer Popularisierung der 'neuen Wissenschaft' und den Wert öffentlicher Zustimmung als wichtige Legitimationsressource erkannt. Unter den seither drastisch veränderten Bedingungen der Allgegenwart der modernen Medien hat sich die Neigung der Wissenschaftler eher verstärkt, deren Aufmerksamkeit zur Mehrung ihrer Forschungsmittel und damit ihres Ruhms (oder ihres Vermögens) einzusetzen. Sie gleichen damit den Politikern, nur dass dieses Verhalten in der Wissenschaft noch ambivalent betrachtet wird.

Die Medien sind eine Art 'vierte Gewalt', ihnen kommt eine wichtige Funktion im diskursiven Raum zwischen Wissenschaft und Politik zu. Sie besteht in der Verbreitung, Vermittlung und in der Konstruktion von Themen, die legitimatorisch relevant sind und damit in Wissenschaft und Politik zu Anpassungszwängen führen. Unter bestimmten Bedingungen kann die Konvergenz der legitimatorischen Funktion der Medien und der konstruktive Effekt der medienspezifischen Verarbeitung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zur Entstehung großer politisch relevanter Themenkomplexe führen. Sie sind darauf ausgerichtet, möglichst große Aufmerksamkeit zu erregen, und folgen darin der Tendenz zu einer diskursiven Überbietungsdynamik. Daraus lassen sich weit reichende Forschungsprogramme ableiten, die den Rahmen für langfristige Großprojekte liefern und aufgrund ihrer politischen Relevanz die Mobilisierung finanzieller Ressourcen im nationalen und supranationalen Maßstab ermöglichen. Mit anderen Worten: Wissenschaftler adressieren Politik und Öffentlichkeit über die Medien. Das Resultat sind vereinfachte, dramatisierte Verlautbarungen und Prognosen, die Handlungsbedarf signalisieren und, von den Medien nach ihren eigenen operativen Kriterien verstärkt, oft genug zu politisch wirkungsvollen Diskursen werden.

Der Eindruck drängt sich auf, dass die Zahl dieser Diskurse in den letzten Jahren zugenommen hat: Die prominenten Beispiele sind 'Grenzen des Wachstums', 'Waldsterben', 'anthropogener Klimawandel', 'Zerstörung der Biodiversität'. (Der sensibilisierte Beobachter erkennt am Horizont der Medienaufmerksamkeit bereits die 'Gefahr von Meteoriteneinschlägen'). Allen diesen Diskursen ist gemeinsam, dass sie 'Katastrophen' signalisieren, deren vermutliches Eintreffen es unbedingt abzuwenden gilt. Je nach Ausmaß der avisierten Katastrophe (geografisch, monetär) fallen die Reaktionen unterschiedlich aus. Der Klimawandel hat ebenso wie die Bedrohung der Biodiversität zu supranationalen Forschungskonsortien und entsprechenden politischen Vereinbarungen geführt. Das Waldsterben hat in erster Linie die Deutschen aufgeschreckt. Die Diskurse nehmen unterschiedliche Verläufe: Im Fall des Ozonlochs haben die Staaten zu einer von den Wissenschaftlern nahe gelegten Vereinbarung gefunden, die das Ende der FCKW-Produktion beinhaltete. Damit war die Kontroverse abgeschlossen. Der anthropogene Klimawandel bleibt weiterhin umstritten, und das Gleiche gilt für die Bedrohung der Biodiversität. Die Wissenschaftler sehen sich immer wieder mit abweichenden Stimmen konfrontiert, und die Politik nutzt diesen Spielraum, um unangenehme Entscheidungen aufzuschieben. Alle diese Fälle sind bereits ausführlich dokumentiert worden, zumeist in der Absicht zu zeigen, wie erfolgreich oder mit welchen Schwierigkeiten die wissenschaftlichen Warnungen in politische Entscheidungen eingeflossen sind und wie sich die Unsicherheit des involvierten Wissens dabei ausgewirkt hat.


Risiken der Kommunikation

Inzwischen verschiebt sich die Diskussion jedoch auf ein abgeleitetes Phänomen: auf die Risiken der Katastrophenkommunikation. Sowohl die Wissenschaft als auch die Medien entdecken, dass ihre Verbindung nicht intendierte Folgewirkungen für sie selbst und auch für die Gesellschaft insgesamt hat. In diesem Zusammenhang ist auf die Sage der Kassandra Bezug genommen worden. Hüttl beunruhigt (am Beispiel der Diskussion um das Waldsterben), dass Warnungen der Wissenschaft allzu leicht geglaubt werden und zu weit reichenden Maßnahmen führen, sich im Nachhinein aber als falsch erweisen könnten. Er spricht deshalb vom "negativen Kassandra-Syndrom".

Die involvierten Wissenschaftler (Klimaforscher etc.) fürchten eher den umgekehrten 'klassischen' Fehler, den die Kassandra-Sage belegt: dass die Politik sie nicht erhört.

Dieses Dilemma wird nicht für unhintergehbar gehalten, allerorten werden Versuche unternommen, einen Ausweg zu finden. Die von der Wissenschaft üblicherweise verfolgte Strategie ist die Steigerung der Überzeugungsbemühungen. Noch bessere Informierung der Öffentlichkeit, beruhend auf noch mehr und noch sorgfältigerer Forschung! Es liegt aber in der Natur des Dilemmas, dass mehr vom selben die Glaubwürdigkeit der Warnungen nicht erhöht. Ganz im Gegenteil: Die Katastrophenkommunikation hat die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zum Thema werden lassen. Die NZZ monierte schon 1998 den Bericht des Schweizer Nationalfonds zu "Klimaänderungen und Naturkatastrophen": "Offensichtlich ist es zu verlockend, vor den Medien mittels pointierter Präsentation der Befunde jene denkbaren Szenarien - auch wenn sie keineswegs wahrscheinlich sind - in den Vordergrund zu rücken; [...] dass solche Öffentlichkeitsarbeit - ähnlich wie beim einst dramatisierten Waldsterben - auf die Dauer die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft und ihrer Institutionen untergräbt, steht wohl außer Zweifel." Die Zeitung wandte sich dabei sowohl gegen die überzogenen Warnungen vor Winterstürmen und verheerenden Hochwassern, die sie nicht durch den Bericht selbst gedeckt sah, als auch gegen die Art, in der die Ergebnisse unter die Bevölkerung gebracht wurden. Die vereinbarte "enge Zusammenarbeit mit dem Fernsehen" war ihr offenbar suspekt.

In der Tat scheint gerade der Diskurs zum Klimawandel gute Gründe für Misstrauen gegenüber den Verlautbarungen der Wissenschaft zu liefern. Er ist ein Lehrstück für die Fragilität des Vertrauens in die Wissenschaft. Es waren wohlgemerkt die Physiker, die die Forschungen der Meteorologen zum Anlass nahmen, die Entwicklung zu dramatisieren. Zuerst erschien in den Physikalischen Blättern ein Aufsatz, in dem die Klimakatastrophe, die "die Erde vollständig unbewohnbar" werden lasse, vorausgesagt und sogar mit einer relativ präzisen Zeitangabe versehen wurde: "unwiderruflich in den nächsten 50 Jahren". Die Autoren offenbarten in diesem Fall auch das Interesse an ihrem Kassandraruf: Die Kernkraft sollte rasant ausgebaut werden, um die CO2-Emissionen bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe zu vermindern. Eine von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft veröffentlichte "Warnung vor drohenden weltweiten Klimaveränderungen durch den Menschen" prognostizierte das Abschmelzen der Polkappen und einen dadurch bedingten Anstieg des Meeresspiegels um fünf bis zehn Meter (AKE). Inzwischen sind derartige Einschätzungen nicht mehr zu finden, die Urteile sind sehr viel differenzierter und vorsichtiger geworden.

Für die deutsche Klimadiskussion lässt sich mit einiger Sicherheit zeigen, dass das 'Katastrophenszenario', das der Arbeitskreis Energie der Deutschen Physikalischen Gesellschaft 1986 in einer Presseverlautbarung entwarf, der Politik den entscheidenden Anstoß gegeben hat, die bis dahin praktizierte Skepsis aufzugeben. Als der AKE sich unter dem Druck der Kritik von Seiten der Meteorologen entschloss, in einer neuen Pressemitteilung die Prognosen nach unten zu korrigieren und den Begriff der 'Katastrophe' durch den moderateren der 'Klimaänderungen' zu ersetzen, hatte der Katastrophenbegriff bereits seine Wirkung entfaltet (DPG/DMG). Abgeordnete verschiedener Parteien im Bundestag und der damalige Bundesforschungsminister beriefen sich auf das Gutachten der DPG, das es ihnen erst ermöglicht habe, das Thema "in der öffentlichen Diskussion hochzukriegen" (zit. in Weingart, Engels, Pansegrau). Dieser anfängliche Erfolg sollte jedoch später seinen Preis haben.

Die Situation ist zusätzlich vertrackt, weil die Politik analogen Kommunikationsrisiken ausgesetzt ist wie die Wissenschaft. Auch sie sucht dem Kassandra-Dilemma zu entkommen. Die Legitimation politischer Entscheidungen hängt nicht nur von der Wählerzustimmung ab, sondern in vielen Fällen auch von ihrer Begründbarkeit durch gesichertes Wissen. In all den Fällen, in denen es um die Abwendung von Katastrophen geht, die zuallererst von der Wissenschaft prognostiziert werden, ist die Wissenschaft die wichtigste Legitimationsressource für Entscheidungen, die anderenfalls schwer zu rechtfertigen wären. Die Reduktion der CO2-Emission um 25 Prozent, auf die sich die Bundesregierung zur Abwendung der Klimakatastrophe festgelegt hat, erfordert unter anderem einschneidende Veränderungen im Mobilitätsverhalten der Bevölkerung (Auto/Bahn). Das Problem besteht in diesem Fall jedoch darin, dass die Legitimationsbedürftigkeit der Entscheidungen und die Unsicherheit des Wissens bzw. das Ausmaß des Nichtwissens in einem Missverhältnis stehen. Zu frühes Reagieren und zu langes Abwarten sind gleich riskant. Die ersten Reaktionen sind deshalb Abwehr und Verdrängung der Entscheidungen, es werden Zweifel an der Verlässlichkeit der wissenschaftlichen Prognosen geäußert und mehr Forschungen gefordert. Hier offenbart sich im Übrigen die strukturelle Asymmetrie zwischen Wissen und Entscheidung. Die Legitimationsrisiken politischer Entscheidungen verlangen die Glaubwürdigkeit des wissenschaftlichen Wissens, das sie begründet. Die zweite Reaktion ist deshalb, einen eindeutigen wissenschaftlichen Rat zu suchen, sicheres Wissen ohne Wenn und Aber.

Die Medien spielen in diesem Prozess eine entscheidende Rolle. Auch für die Medien gilt, dass sie einem für sie spezifischen Kommunikationsrisiko unterliegen, nämlich dem des Verlusts von Aufmerksamkeit und damit von Marktchancen. Sie sind darauf angewiesen, sich ihre Leser- bzw. Zuschauerschaft zu erhalten, machen Annahmen über deren Interessen und Aufmerksamkeitsraster und treffen auf dieser Grundlage Entscheidungen darüber, welche der verfügbaren Nachrichten es wert sind, weitergegeben zu werden und in welcher Form. Im Zweifelsfall verstärken sie ihre Anstrengungen, noch mehr, noch genauer, aber eben auf ihre Weise zu berichten, um dem Glaubwürdigkeitsdilemma zu entkommen. Die Katastrophenmeldung der Physiker über den zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels wurde vom Spiegel in das Bild des in den Fluten versinkenden Kölner Doms übersetzt, das zur Ikone der deutschen Klimadiskussion wurde. Bilder und Symbole haben gerade im Zusammenhang von nicht direkt wahrnehmbaren Phänomenen wie dem Klimawandel eine zentrale Funktion. Die Medien müssen bei deren Repräsentation komplexe Zusammenhänge und, mehr noch, Ungewissheiten in einfache Kausalzusammenhänge überführen, die im Falle antizipierter Katastrophen an archetypische Ängste anknüpfen können. Indizien und Evidenzen, die dazu bereitgestellt werden, müssen nachvollziehbar sein. Das erklärt auch, warum Wetteranomalien in der medialen Aufbereitung des Klimaproblems eine große Rolle spielen. In den USA haben die Medien die Jahrhundertdürre und die riesigen Waldbrände im Yellowstone-Nationalpark im Sommer 1988 als Anzeichen des globalen Klimawandels gedeutet und damit die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit fokussiert (Mazur, Lee). In Deutschland wird gleichfalls seit einer Reihe von Jahren regelmäßig jede Frühjahrsflut mit dem Klimawandel erklärt. Sensationalisierung und Personalisierung, die als typische Mittel der Aufmerksamkeitsbindung den Medien zugeschrieben werden, fokussieren und verstärken einzelne Aspekte der kommunizierten Inhalte. Die Mechanismen mögen im konkreten Fall unterschiedlich ausgeprägt sein, aber sie sind den Medien eigen und - für die Medien - legitim.


Skepsis und Verlust der Glaubwürdigkeit

Die eigentümliche Verbindung, die Wissenschaft, Politik und Medien in der Klimadebatte in Deutschland (wenngleich sicher nur zum Teil strategisch) eingegangen sind, kann als eine erfolgreiche Kopplung gelten. Sie beruht auf der Annahme, dass die Warnungen der Klimaforscher gerechtfertigt sind. Die Diskussion innerhalb der Wissenschaft ist durch die weit gehende Übereinstimmung gekennzeichnet, dass eine Erwärmung der Erde tatsächlich stattfindet. Ihr Ausmaß wird inzwischen allerdings weit geringer eingeschätzt als in den ersten Katastrophenmeldungen, und der Konsens wird vor allem dort von abweichenden Stimmen gestört, wo es um die menschliche Verursachung der Erwärmung geht. Gleichwohl war die Kopplung bis in die Mitte der neunziger Jahre fest: Die Klimaforschung erhielt die Mittel, die sie benötigte. Die Politik hatte den Rückhalt der Wissenschaft und der Medien, den sie für unbequeme Entscheidungen benötigte. Und die Medien hatten die Leser und die Zuhörer, die sie benötigten.

Doch plötzlich tauchten vermehrt skeptische Stimmen auf. In der deutschen Presse waren Sätze zu lesen wie: "Der Treibhauseffekt ist ein Märchen" und "Den Meteorologen ist die Katastrophe abhanden gekommen" (Die Zeit vom 25. 7. 1997). "Klimahysterie - wissenschaftliche Beweise fehlen" (Westfalen-Blatt vom 13. 8. 1996). "Ist das Katastrophenszenario bloß Panikmache?" (Das Sonntagsblatt vom 21. 11. 1997). Anlass dieser Berichterstattung war die Veröffentlichung des seinerzeit neuen Berichts des 'Intergovernmental Panel on Climate Change' (IPCC), in dem unter anderem die Prognose der Erderwärmung von ursprünglich 3 bis 8 Grad (1992) auf 1 bis 3 Grad (1995/96) zurückgenommen wurde.

Wie kam es zu dieser Art der Medienberichterstattung, die der Wissenschaft auf einmal ihre Glaubwürdigkeit absprach? Sie hätte die Selbstkorrekturen der Wissenschaft oder auch die innerwissenschaftlichen Kontroversen über den Nachweis des menschlichen Einflusses auf das Klima als Ausweis der Lernfähigkeit der Klimaforschung würdigen können. Stattdessen wurden sie zu den früheren Katastrophenmeldungen in Bezug gesetzt, die sodann im Licht der vorsichtigeren Einschätzungen als Sensationsmache im eigenen Interesse erschienen. Die FAZ deutete die Situation folgendermaßen: "'Climate Change' - der Begriff, den man dafür fächer- und sprachenübergreifend geprägt hat - öffnet den Wissenschaftlern mittlerweile weltweit die Türen zur Politik und zu den Fördermitteln. In vielen Bereichen gilt das Schlagwort mittlerweile als Zertifikat für verantwortliche und damit förderungswürdige Wissenschaft. Solche Moden, die etwa auch der Begriff 'Nachhaltigkeit' ausgelöst hat, sind gefährlich. Denn unter dem Druck vermeintlicher Aktualität verliert man leicht die Maßstäbe." In die gleiche Richtung kommentierte Die Welt: "Ängste über die Folgen des Treibhauseffektes schürt ein Bündnis aus 'besorgten Wissenschaftlern', Medienvertretern, speziellen Interessengruppen und Politikern. Sie scheinen sich alle einen großen Vorteil von diesen Ängsten zu versprechen. Die besorgten Wissenschaftler kommen endlich einmal aus ihren langweiligen Laboratorien heraus und können sich im Rampenlicht landesweiter Aufmerksamkeit sonnen. Die Medien lieben aufregende Horrormeldungen, weil sie die Öffentlichkeit faszinieren und Aufmerksamkeit und Erfolg versprechen. Politiker machen sich die so geweckte Aufmerksamkeit zunutze, finden Wähler und festigen ihre Position. Schon so manche Karriere entspross dem Stamm des Treibhauseffekts."

Diese exemplarischen Äußerungen in den Medien, die für viele andere stehen, lassen den Stimmungswechsel im Diskurs erkennen. Die Katastrophenmeldungen von einst werden auf ein Eigeninteresse der Wissenschaft attribuiert. Das Ungleichgewicht zwischen dem Konsens des Mainstream und der Minderheit der Dissidenten wird nicht berücksichtigt. Eher werden interne Kontroversen als Machtkampf und als Unterdrückung von Minderheitsmeinungen gedeutet, deren Bedeutung schon allein deshalb aufgewertet wird. Wenngleich derartige Stimmen längst nicht die Mehrheit der medialen Berichte ausmachen, haben sie doch eine erhebliche Wirkung. In diesem Schema der skeptischen Berichterstattung erscheint die Wissenschaft nicht besser als die Medien. Die Wissenschaft hat ihre Neutralität und damit die Basis für ihre Glaubwürdigkeit verloren. Das war der Preis für den ursprünglichen Erfolg der Katastrophenkommunikation. Damit droht jedoch die fragile Konstellation zwischen Klimaforschung, Klimapolitik und den Medien zu zerbrechen, die in den letzten Jahren die Wahrnehmung des Klimawandels bestimmt und die Politik des Precautionary Principle, des Prinzips der voraussehenden Vorsicht, ermöglicht hat.


Was lehrt Kassandra?

Dieselben Wissenschaftler, die dereinst die Katastrophenmeldungen verfasst haben, müssen sich angesichts dieser Entwicklung fragen, was die Ursachen des Verfalls ihrer Glaubwürdigkeit sind. Das muss ihnen besonders schwer fallen, weil der 'blinde Fleck' ihrer Selbstwahrnehmung die entscheidende Stelle verbirgt. Gewohnt, mit der argumentativen Macht des Wissens auf Politik und Medien einzuwirken, können sie nicht verstehen und noch weniger akzeptieren, dass der Diskurs zwischen Wissenschaft, Politik und den Medien eine eigene Dynamik hat. Es gibt keine Instanz in dieser Konstellation, die den Diskurs steuern könnte. So wohlgemeint es auch sein mag, so vergeblich ist es, nach Methoden zu suchen, die es schließlich doch erlauben würden, ernst zu nehmende Kassandra-Rufe von unglaubwürdigen zu unterscheiden. Auch die vielfach praktizierte Medienschelte, die den Journalisten die Schuld für die Sensationalisierung zuschreibt, führt nicht weiter. Die Beweise für den ursprünglichen Sündenfall der Klimaforscher sind allzu offenkundig. Sie sind ja gerade Ursache und Gegenstand des skeptischen Diskurses. Das Dilemma der Kassandra wäre keines, wenn es sich so einfach auflösen ließe.

Die Sommerflut des Jahres 2002 hat, wenn die wenigen Anzeichen nicht trügen, jedoch eine andere Perspektive eröffnet: die reflexive Betrachtung des Diskurses über das Verhältnis von Wetter und Klima. Die in das Feuilleton vorgedrungenen Berichte über das Wetter fallen durch eine neuartige Vorsicht auf. Die ungewöhnliche Flut wird nicht mehr umstandslos dem Klimawandel zugerechnet. Vielmehr werden die Unsicherheiten thematisiert, die die Extrapolationen ungewöhnlicher Regenfälle zu langfristigen anthropogenen Klimaveränderungen beherrschen. Ausnahmen gehören zum Wetter, erklären auch die Klimaforscher. "Verrückt ist ganz normal" (Stehr, v. Storch). Die Frage, ob der Regen im Hochsommer eine Folge der Klimaveränderungen sei, wollen die Klimaforscher so nicht gestellt sehen. "Erderwärmung sei nachgewiesen" und der Zusammenhang dieser mit "der Zunahme der 'Starkregenereignisse' auch, aber das sei noch kein Beweis dafür, dass die Regenfälle der vergangenen Tage [...] die Folgen der Klimaverschiebung seien" usw. Die Forscher wollen auch nicht "die 'eine Antwort' geben, denn die gebe es nicht", und gestehen schließlich ein, die Klimamodelle des MPI in Hamburg und des englischen Hadley-Centre seien beide mit "hoher Unsicherheit" behaftet (Müller). Das mögen noch vereinzelte Beispiele sein, aber sie weisen in eine mögliche Zukunft der Angstkommunikation der Wissenschaft. Wenn die Sicherheitserwartungen und -unterstellungen an die Wissenschaft ebenso wie deren Wissensansprüche der Einsicht weichen, dass Unsicherheit des Wissens und Nichtwissen ebenso zur Wissenschaft gehören wie gesichertes Wissen, dass die Diskussion und die Umsetzung von unsicherem Wissen in Entscheidungen unvermeidlich ist und dass sie die involvierten Entscheidungen nicht eindimensional zu legitimieren vermag, dann sind Wissenschaft, Politik und Medien in der Wissensgesellschaft angekommen. Der Unterschied zwischen Kassandra und der modernen Wissenschaft ist eben, dass Kassandra die Zukunft tatsächlich voraussehen konnte, Apollo hatte sie nur mit dem Fluch ungläubiger Zuhörer belegt. Die Wissenschaft hat dagegen nicht (oder nur selten) die Kraft, die Zukunft vorherzusagen. Die Wettervorhersagen sind allerdings zugegebenermaßen viel besser geworden.