Heft 11: FROM STATUS TO CONRACT Einführung Das Verhältnis von Wissenschaft und den "anderen Segmenten der Gesellschaft" - Politik, Wirtschaft, Medien oder (organisierten und nicht organisierten) 'Laien' - befindet sich im Umbruch: ob man die Entwicklung zu Big Science mit ihren großen und vor allem teuren Forschungsorganisationen ins Auge fasst oder eine Wissenschaftsskepsis, die mit den Folgen des technischen Fortschritts und der Abhängigkeit davon wächst, ob man Entwicklungen betrachtet, die durch die Elektronik oder solche, die durch den Shareholder-Value von Wissen entstanden sind. Es wird über neue Formen des Umgangs mit Wissen innerhalb und außerhalb traditioneller Institutionen nachgedacht; die alleinige Autorität der Wissenschaft gilt auch in Wissensfragen in vielen Bereichen nicht mehr, oder sie wird nicht mehr anerkannt (was letztlich auf das Gleiche hinausläuft). Die Forderungen nach Dialog, Partizipation, Legitimation, Transparenz, Verantwortungsbewusstsein und Demokratisierung von Wissen(schaft) oder nach einer "Forschung für die Gesellschaft" folgen der Einsicht, dass Wissen in der so genannten Wissensgesellschaft die wichtigste Ressource der Zukunft ist.
'Wissenschaft in der Gesellschaft' (im EU-Slang: 'sis' wie Science in Society), 'Demokratisierung der Wissenschaft', 'neuer Gesellschaftsvertrag' meint nicht dasselbe und auch nicht das Gleiche wie PUSH, jenes Kürzel, unter dem der Weg der Wissenschaft in die Öffentlichkeit in den letzten Jahren forciert wurde. Es geht zwar um 'Dialog', aber die - wie üblich aus dem angelsächsischen Bereich kommenden - Catchwords bezeichnen mehr, nämlich eine vielschichtige Verschiebung des Stellenwerts von Wissenschaft im gesamtgesellschaftlichen Gefüge. Dieser Prozess ist längst im Gange und lässt sich mit Popularisierung von Wissenschaft allein sicher nicht steuern. Wissenschaft war lange Zeit, ziemlich genau drei Jahrhunderte lang, weitgehend von den Vergesellschaftungsprozessen ausgeschlossen. Dass man Wissenschaft (so wenig wie Kunst) nicht demokratisch betreiben kann, ist ein Gemeinplatz, er eignet sich als Abwehr von Zumutungen, verdeckt aber auch, dass es den heutigen Verhältnissen nicht mehr gemäß ist, wenn Wissenschaftler tun, was ihnen ihr freier Forschungsdrang eingibt. Die Verantwortung der Wissenschaftler wächst, mit ihr wachsen auch die Bedenken, ob die (trotz aller Gleichberechtigungsrhetorik noch immer vorwiegend männlichen) Wissenschaftler dafür ausgerüstet sind, diese Verantwortung zu tragen. Nicht die Weisen des Landes, sondern die Probleme drängen auf Lösungen. Da nicht mehr der König, sondern der Steuerzahler den größten Teil der Grundlagenforschung finanziert, stellt sich - lauter als in Zeiten voller Kassen - die Frage nach der Legitimation dieser oder jener Forschungen und nach der Vertretung gesellschaftlicher Interessen. Politiker müssen Entscheidungen über Projekte fällen, die nicht nur ein Vermögen kosten, sondern deren Folgen auch weit in die Zukunft reichen, dafür brauchen sie die Entscheidungshilfe von Experten. Deutungsmacht und Privilegien der Wissenschaft werden schon lange als problematisch empfunden, das Prestige der Professoren sinkt, seit jeder weiß, dass sich Experten für jede gewünschte Entscheidung finden lassen und Ethik nicht funktioniert, wenn sie nicht geregelt wird. Die Wirtschaft sorgt sich um Konkurrenzfähigkeit auf dem internationalen (Wissens)Markt; die Politik muss den Spagat meistern zwischen Repräsentation gesellschaftlicher und Vertretung wirtschaftspolitischer Interessen. In einem demokratischen System müssen, sagen zum Beispiel NGOs oder Patienteninitiativen, alle Bürger/innen Zugang zu dem Wissensschatz erhalten. Sie sollen - das meint Scientific Citizenship - befähigt werden, mit Wissen verantwortungsvoll umzugehen und bei Entscheidungsprozessen über neue Forschungsfelder und weitere technische Anwendungsgebiete bzw. -folgen einbezogen werden. Diverse Foren bürgerschaftlichen Engagements verhandeln etwa auf Konsensuskonferenzen und drängen auf eine stärkere Berücksichtigung ihrer Perspektiven bei Forschung und Heilungsmethoden oder stellen selbst Wissen verständlich und kostenlos zur Verfügung. Es gibt also viele Akteure und Interessen, die von den Veränderungen betroffen sind, aber es gibt zwischen den verschiedenen Akteuren und Interessengruppen kaum einen Austausch, weder eine gemeinsame Sprache noch einen (kleinsten) gemeinsamen Nenner, um die Richtung der Umgestaltung in einem 'Dialog' zu klären oder gar einen 'neuen Gesellschaftsvertrag' auszuhandeln. Aus der Wissenschaft selbst sind unterschiedliche Stimmen zu vernehmen, es gibt kaum eine interdisziplinäre oder gar öffentliche Debatte. Die Analysen und Vorschläge werden im weitgehend geschlossenen Kreis der Wissenschaftsforscher und -politiker unter gelegentlicher Hinzuziehung von Fachfremden diskutiert und bleiben vorerst folgenlos. Inzwischen setzt sich die Auflösung der alten Ordnung hinter dem Rücken der Beteiligten durch, qua Mittelkürzungen und Verschiebungen in dem komplexen Gefüge mit unterschiedlichen Interessen und Mitspielern. | |