11. Heft - Ulrike Felt: SCIENTIFIC CITIZENSHIP

Schlaglichter einer Diskussion


Im Rahmen wissenschaftlicher Institutionen, in den unterschiedlichen nationalen Settings, aber auch auf europäischer Ebene wird mehr oder minder intensiv und emotionell über die notwendige gesellschaftliche Neupositionierung von Wissenschaft und Technik diskutiert, entsprechende Papiere werden verfasst, und mit einer aktiveren Einbindung der Öffentlichkeit in die Lösungsfindung bei wissenschaftlich-technischen Problemstellungen wird experimentiert. Erklären könnte man das Auftreten dieser Diskussionen durch das Vordringen von Wissenschaft und Technik in die intimsten Bereiche unserer Lebens- und Arbeitswelt, wo diese durch Denk- und Erklärungsmodelle, Darstellungsformen sowie durch konkrete technologische Artefakte maßgeblich gestaltend eingreifen. In der Folge sind wir immer häufiger als Individuen, aber auch als Teil von Kollektiven aufgefordert, Entscheidungen zu treffen oder zumindest Position zu beziehen, bei denen der Bezug zu wissenschaftlich-technischem Wissen eine wesentliche Rolle spielt.


Man könnte entgegenhalten, dass die Verwobenheit von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft ja nicht unbedingt eine neue und plötzlich stattfindende Entwicklung darstellt und es daher zumindest erklärungsbedürftig ist, warum man sich lange Zeit über die Rolle und Position der Öffentlichkeit wenig Gedanken gemacht hatte bzw. machen musste. Man war einfach davon ausgegangen, dass Wissenschaft relativ unhinterfragt mit Fortschritt gleichgesetzt werden kann, und es schien daher auch nicht wesentlich, was Menschen im Detail über Wissenschaft dachten bzw. darüber wussten. Die Ordnung der Dinge war aus der Perspektive von Wissenschaft und Politik klar.

Die Krisen der letzten Jahr(zehnt)e haben uns aber die Grenzen eines solchen Zugangs sehr deutlich vor Augen geführt. Das sicher gewähnte Vertrauen der Öffentlichkeit in Wissenschaft und Technik scheint, wenn nicht verschwunden, so doch ernsthaft erschüttert, und nun gilt es, für diese neue Situation eine Lösung zu finden. Und dabei steht einiges auf dem Spiel: für das politische System die beinahe selbstverständlich gewordene Verwendung wissenschaftlicher Autorität zur Legitimierung von Entscheidungen (Schlagwort: Expertokratie) und für die Wissenschaft ihr erworbener Forschungsfreiraum, über den sie lange Zeit nicht wirklich Rechenschaft ablegen musste. Während die Lösungsoptionen für diese Situation alles andere als klar zu sein scheinen, ist dennoch eine Entwicklungsrichtung auszumachen: Eine stärkere Einbindung der Öffentlichkeit - in welcher Form auch immer - wird für diese neu zu gestaltende Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit konstitutiv sein.


Seit Mitte der neunziger Jahre geistert nun durch die Diskussion rund um Public Understanding of Science der Begriff des Scientific Citizenship (bzw. der Citizen Science), welcher aus meiner Sicht treffend die Vielschichtigkeit der Diskussionen und der zur Verhandlung stehenden Beziehungszusammenhänge auf den Punkt bringt. In einer Reihe von Studien wird darauf verwiesen, in welch nachdrücklicher Weise neue Formen des Dialogs und der Beteiligung in wissenschaftlich-technischen Fragenkomplexen mit gesellschaftlicher Bedeutung von BürgerInnen eingefordert werden, aber auch wie schwer es für politische und wissenschaftliche Institutionen zu sein scheint, dies auch real umzusetzen.

Was bedeutet nun der Begriff Scientific Citizenship? Wie könnte man ihn verstehen, und wie unterscheidet er sich konzeptuell von den bislang verwendeten Begriffen wie Öffentlichkeit, KonsumentInnen, Laien etc.? Welche Eigenschaften, Rollen und Handlungsmöglichkeiten schreiben wir dieser neuen 'Figur' zu? Was soll sie leisten bzw. wo sind die Grenzen eines solchen Konzeptes?


Abschied von der Übersichtlichkeit

Bevor wir eine Diskussion über den Begriff Scientific Citizen selbst aufnehmen, scheint es wesentlich, den Kontext, in dem er angesiedelt ist, näher zu durchleuchten.

Die Klage über ein mangelndes Verständnis der Öffentlichkeit von bzw. für Wissenschaft ist im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte schon beinahe zum Allgemeinplatz verkommen. Beklagt wird einerseits das mangelnde allgemeine Interesse an Wissenschaft und Technik, welches etwa konkret am Rückgang der Studierenden in naturwissenschaftlichen Kernfächern festgemacht wird. Andererseits wird auf die als irrational klassifizierte Ablehnung 'der Öffentlichkeit' gegenüber spezifischen wissenschaftlich-technischen Innovationen verwiesen, wobei hier gerne die Positionierung zahlreicher BürgerInnen in Bezug auf gentechnisch veränderte Nahrungsmittel genannt wird. Diesen 'Mangel an Verständnis von/für Wissenschaft' versucht man dann messbar (und somit kontrollier- und überwachbar) zu machen, etwa mit Hilfe der Eurobarometer-Untersuchungen (groß angelegte vergleichende Umfragen zu Wissen und Einstellungen der Europäer gegenüber Wissenschaft und Technik). Ein solches Vorgehen wird meist legitimiert mit einem Verweis darauf, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben und eine aktive Teilnahme an ihr einer gewissen Grundkenntnis von bzw. zumindest eines Interesses für Wissenschaft bedarf. Hinter den Umfragen steht allerdings ein recht einfaches Aufklärungsideal und die Vorstellung, dass es gewissermaßen um eine wissenschaftliche Alphabetisierung des Volkes geht. Der im Englischen verwendete Ausdruck der Scientific Literacy bringt dies auf den Punkt.


Paradoxerweise haben die Ergebnisse dieser Untersuchungen die Beschränktheit ihrer eigenen Grundannahmen belegt. Trotz jahrelanger intensiver Bemühungen, Wissenschaft und Technik in diesem aufklärerischen Duktus breiteren Bevölkerungsschichten näher zu bringen (mehr Präsenz von Wissenschaft im Fernsehen, Zunahme der Berichte in den Zeitungen, Ausstellungen über Wissenschaft, Science Weeks etc.), hat sich an den Untersuchungsergebnissen selbst nichts fundamental verändert. Eine Frage drängt sich also auf: Müssen wir nicht ganz anders an das Problem herangehen?

Parallel dazu gibt es einen zweiten Diskussionsstrang, nämlich den über das abhanden gekommene und wiederherzustellende Vertrauen der Bevölkerung in Wissenschaft und Technik. Immer öfter treten Reibungen zutage; Zweifel an wissenschaftlicher Expertise werden formuliert; wie Wissenschaft eigentlich zu ihren Aussagen gelangt, wird hinterfragt, kurz: Die Autoritätsposition der Wissenschaft im gesellschaftlichen Feld muss immer wieder neu hergestellt werden und kann sich nicht mehr auf feste, langfristig etablierte Positionen berufen. In der Tat werden wir immer öfter in konkreten Situationszusammenhängen mit Nachdruck darauf verwiesen, dass es im Grunde in der Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit mehr um Vertrauen denn um Wissen per se geht. Die Haltungen, die Menschen etwa in wissenschaftlich-technischen Kontroversen einnehmen, bauen weniger auf der genauen Nachvollziehbarkeit des wissenschaftlichen oder technischen Wissens auf, sondern vielmehr auf deren Erfahrungen mit und Wahrnehmungen von involvierten Institutionen, WissenschaftlerInnen und KommunikatorInnen. Damit geht es zentral um jene Institutionen, die eine Kontrollfunktion gegenüber Wissenschaft innehaben.

Wenn diese Glaubwürdigkeit von und das Vertrauen in Wissenschaft nun nicht mehr einfach gegeben sind, wie kann es hergestellt werden? Wie gehen wir damit um, dass die fest geglaubten Ordnungen, geschaffen durch die unhinterfragte Autorität von Wissenschaft, sich nun in wenig übersichtliche und sehr bewegliche Konstellationen auflösen? Wie gelingt es, das Verhältnis zwischen Wissenschaft und den VertreterInnen der Gesellschaft neu zu gestalten und zu einer stabileren Übereinkunft zu gelangen? Und welche neuen Rollen werden dabei die unterschiedlichen Öffentlichkeiten spielen?


Momentaufnahme eines unübersichtlichen Geländes

Für die Beschreibung des veränderten gesellschaftlichen Kontextes von Wissenschaft und Technik scheint es wesentlich, zumindest drei Perspektiven zu berücksichtigen. CZum einen geht es darum, hervorzuheben, dass Wissenschaft eben nicht nur - wie dies in der bisherigen Diskussion dominant der Fall war - Wissen erzeugt, sondern eben auch Unsicherheiten. Wie etwa Ulrich Beck und Nico Stehr hervorgehoben haben, werden durch wissenschaftliches Wissen zwar erweiterte Handlungsmöglichkeiten geschaffen, komplexere Entscheidungszusammenhänge hervorgebracht und neue Deutungsmuster eröffnet, gleichzeitig entstehen aber gerade dadurch auch neue Gefahren und Risiken, neue Unsicherheiten. Wissenschaft ist es lange gelungen, sich aus den Konsequenzen ihres Wissens quasi 'herauszuhalten', indem sie 'einfach' eine Trennlinie zwischen Erkenntnisproduktion und Einsatz dieser Erkenntnis im gesellschaftlichen Kontext gezogen hat. Diese Grenzlinie kann aber nur nachhaltig existieren, wenn sie auch von den gesellschaftlichen Akteuren außerhalb des Wissenschaftssystems anerkannt wird - was in dieser umfassenden Weise seit einigen Jahren nicht mehr der Fall zu sein scheint.

Die durch das Wissen entstehenden Unsicherheiten sind daher gewissermaßen als hergestellt zu betrachten: Ihre Wahrnehmung entsteht nämlich erst in der Auseinandersetzung mit technowissenschaftlich bedingten gesellschaftlichen Wandlungsprozessen, und sie geht paradoxerweise mit einem Wachstum von Wissen einher. Erst das Wissen hat es uns ermöglicht, diese Unsicherheiten auszumachen. Daher können wir sie auch nicht einfach durch eine erweiterte und verbesserte Verteilung von Wissen beseitigen, sondern sind vielmehr aufgefordert, andere Strategien des Umgehens mit ihnen - sowohl individuell als auch kollektiv - zu entwickeln. Konsequenz davon ist, dass Probleme immer mehr in Form von verschiedenen Szenarien bearbeitet werden müssen, in denen gleichzeitig unterschiedliche Arten von Lösungsoptionen und Konsequenzen in einer neuen Unübersichtlichkeit gegeneinander abgewogen werden müssen.

• Aber das eben Beschriebene wäre nur ein Blickwinkel auf dieses zunehmend unübersichtliche Terrain. Denn wissenschaftliches Wissen ist nicht die einzige Form des Wissens, das im öffentlichen Raum existiert und zum Einsatz gelangt. Folge der neuen Unsicherheiten ist nämlich auch die Infragestellung von Grenzen, insbesondere jener zwischen wissenschaftlichem Wissen und anderen Formen des Wissens, die den öffentlichen Raum besetzen und strukturieren. Lange erworbene Positionen in der Wissenshierarchie werden niedergerissen, oder zumindest zerfließt die Grenze zwischen dem, was wir als Expertenwissen bezeichnen würden, und verschiedenen Formen von Laienwissen - es kommt zu dem, was ich als 'Erweiterung des Expertenraumes' bezeichnen möchte. Neue Akteure und Akteursgruppen spielen daher in wissenschaftlich-technischen Auseinandersetzungen eine zentrale Rolle und fordern für sich, legitimerweise auch 'im Namen der Wissenschaft' sprechen zu können. Das bedeutet gleichzeitig, dass wir die Grenzen eingeübter gesellschaftlicher, sozialer und politischer Rituale erreicht haben - etwa das der 'einfachen' Expertenpolitik; Gesellschaft muss in diesem Sinne in ihrer Beziehung zu Wissenschaft neu gedacht werden. Es geht also bei der Frage nach der Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit immer auch um die Frage, wie Menschen ihr eigenes Wissen gegenüber wissenschaftlichem Wissen positionieren oder welches Wissen sie für ihre Sinngebung heranziehen.

Zweifel und Misstrauen sind nämlich unter anderem in den Widersprüchlichkeiten zwischen wissenschaftlichem Wissen und eigenen Wissensformen und Erfahrungen zu begründen. Menschen würden - so etwa die zentrale These des britischen Wissenschaftsforschers Brian Wynne - nur dann bereit sein, wissenschaftliches Wissen zu 'verstehen', wenn sie sich auch mit den zugrunde liegenden Prämissen identifizieren können und so ihre eigene soziale Identität nicht infrage gestellt wird. Wissenschaft wird also gewissermaßen 'erfahren', durch soziale Bindungen, eingebettet in Strukturen und in Bezug auf die eigene Position.

• Die dritte Perspektive, die nochmals die Unübersichtlichkeit und die Spannungsgeladenheit der Situation zum Ausdruck bringt, ist das bereits angesprochene Verhältnis zwischen der globalen wissenschaftlichen Entwicklung, die eng verschränkt mit dem ökonomischen Bereich vor sich geht, und der lokalen Ebene, auf der Menschen Wissenschaft und Technik begegnen. Denn während es Wissenschaft gelungen ist, ein internationales Netzwerk an Erkenntnisproduktion zu etablieren, findet die Kommunikation dieser Wissenschaft in lokalen Kontexten statt. Dort müssen Menschen Wissenschaft erfahren, eine Sprache finden, um das, was sie wahrnehmen, zu beschreiben, die gewonnenen Erfahrungen interpretieren und in bestehende Wissenskontexte einordnen zu können. All dies findet in einem völlig neuen Spannungsverhältnis statt, zwischen globalen Entwicklungen einerseits und ihren lokalen Umsetzungs- und Handlungsebenen andererseits, was wiederum innovative Antwortstrategien einfordert.


Fehlen uns die Worte?

Wenn nun der lokale Kontext eine solch wesentliche Rolle spielt, wie sieht es dann mit der Sprache und den Begriffen aus, in denen wir das Problem der Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit fassbar und kommunizierbar machen können? Wie kommt es, dass das Thema in einem nationalen Kontext zu einem prominenten Thema wird, während in anderen diese Frage gar nicht gestellt wird? Dies scheint mir ein wesentlicher Punkt, da gerade in der Reflexion über die Beziehung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit die Übernahme der englischen Begrifflichkeiten sehr dominant ist, obwohl wir uns der Bedeutungsunterschiede in den jeweiligen Sprachen gleichzeitig bewusst sind.

Bereits der Begriff Wissenschaft ist über die verschiedenen Sprach- und Kulturkreise hinweg nicht eindeutig definiert und sicherlich weder formal noch in seinen inhaltlichen Nuancierungen dem englischen Begriff Science gleichzusetzen. Daher ist es auch klar, dass in der anglo-amerikanischen Diskussion tatsächlich nur die Naturwissenschaften im Fokus des Interesses stehen, im deutschsprachigen Raum dies aber zum Teil anders gesehen wird. Das Memorandum des Deutschen Stifterverbandes zu 'Public Understanding of Science and Humanities' hat diese Problematik zwar aufgegriffen, aber aus meiner Sicht nicht wirklich gelöst. Die unterlassene Kreation eines eigenen deutschsprachigen Begriffes wird dadurch begründet, dass der Begriff Understanding kaum ins Deutsche zu übersetzen sei, weil er gleichzeitig Verständigung, Verständnis und Verstand bedeutet.* Aber schon im Englischen liegt die Mehrdeutigkeit dieses Begriffes verankert. Die Frage ist, in welcher der Auslegungen wohl das Wort 'verstehen' hier zum Einsatz gelangt. Ist es im Sinne eines rationalen Erfassens, des Begreifens von wissenschaftlichen Zusammenhängen gemeint, oder wird hier eigentlich eher Verständnis, Nachsicht für Wissenschaft eingefordert? Man könnte sich auch die Frage stellen, warum wir im deutschen Sprachraum dafür keine eigenen Begriffe schaffen, die Problematik in ihrer Verwurzelung nicht wirklich erfassen und somit auch die Bedeutung der lokalen/kulturellen Unterschiede (auch im Umgang mit Wissenschaft) nicht klar genug herausarbeiten. Wie steht diese Feststellung in Zusammenhang mit der Tatsache, dass der deutsche Sprachraum erst extrem spät begonnen hat - und dies ist eine Gemeinsamkeit von Deutschland und Österreich -, sich überhaupt mit diesem kritischen Themenfeld auseinander zu setzen? Oder hat es vielleicht auch damit zu tun, dass das Nachdenken noch der Vorstellung verhaftet ist, es müsse ein Defizit an wissenschaftlichem Wissen auf Seiten der Öffentlichkeit behoben werden - was der aufklärungsorientierten ersten Phase der britischen Public-Understanding-of-Science-Bewegung entspricht, die dort längst ad acta gelegt wurde?


Eine neue Figur betritt die Bühne: der Scientific Citizen

Wenn man die Öffentlichkeit nicht mehr so einfach als breite Masse konzeptualisieren kann, wenn man nicht mehr selbstverständlich von ihrer Zustimmung für wissenschaftlich-technische Entwicklungen ausgehen kann, wenn diese nun eine differenziert wahrzunehmende Stimme einfordert, mit welchem Begriff lässt sich dann diese neue Rolle fassen? In der Tat ist in den letzten Jahren eine Differenzierung und Verschiebung in der Benennung der Rolle der Öffentlichkeit auszumachen. Neue Bezeichnungen wie NutzerInnen, KonsumentInnen oder BürgerInnen beginnen den Begriff der Öffentlichkeit zu ersetzen.

Die ersten beiden Begriffe - NutzerInnen und KonsumentInnen - verweisen auf eine Blickrichtung, bei der, zugespitzt formuliert, eine eher zweckorientierte Beziehung zu Individuen oder spezifischen Gruppen im Zentrum steht: Wissenschaft muss so aufbereitet werden, dass Menschen bereit sind, dieses Wissen zu nutzen oder zu konsumieren. Das bedeutet zwar, dass die Öffentlichkeit in diesem Sinne wahrgenommen wird, aber es findet im engeren Sinne keine Aushandlung mit ihr statt, sondern Erfolg wird schlicht an der Akzeptanz gemessen.

Das Konzept des Scientific Citizen ist nun ein wesentlich aktiveres Konzept, das die Idee von Rechten und Pflichten in sich birgt: also das Recht, über Wissenschaft und Technik informiert zu werden, mitzureden und auch mitzuentscheiden, aber gewissermaßen auch die Pflicht, sich zu informieren, sich auseinander zu setzen, Verantwortung mitzutragen, sich als Teil eines Kollektivs auch in dessen Interesse zu positionieren. Bürger handeln in diesem Sinne nie nur für sich alleine, sondern immer auch im Sinne einer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, deren Mitglieder sie sind. Vor allem in den Dokumenten zu Wissenschaft und Gesellschaft der EU tritt diese Figur fast durchgehend auf und ersetzt den Begriff Öffentlichkeit. Welche neuen Handlungsräume man dieser neuen Figur zuordnet und was damit auch ein Scientific Citizenship alles umfassen würde, bleibt allerdings weitgehend unklar.

Während der Einsatz dieses Konzeptes positiv begrüßt und kaum hinterfragt wird, möchte ich zumindest auf ein kritisches Detail hinweisen. Das Konzept wird nicht nur im Sinne einer freien Wahl des Bürgers/der Bürgerin eingesetzt, sondern es wird vor allem auch die Verantwortung hervorgehoben, die er/sie hat, nicht durch unüberlegte Ablehnung wissenschaftlich-technischen Fortschritts das Entwicklungspotenzial und somit den Wohlstand der Gesellschaft zu behindern. Damit wird bisweilen unter neuer Sprachregelung Ähnliches abverlangt, nämlich die als Fortschritt definierten wissenschaftlich-technischen Innovationen weitgehend unhinterfragt zu unterstützen. Es geht also beim konkreten Einsatz all dieser Konzepte immer darum, zu erkennen, wem wir das Wort erteilen, wie viele Freiheitsgrade wir zulassen und wen wir zum Schweigen gebracht haben, bzw. welche der Öffentlichkeiten unsichtbar geblieben sind oder gemacht wurden.


Schlussakt ohne Vorhang

Eine Konklusion zu schreiben, während die Entwicklung im Fluss ist, würde in sich selbst einen Widerspruch generieren, daher möchte ich die angestellten Überlegungen mit einigen noch nicht fertigen Gedanken ausklingen lassen. Welche Möglichkeiten der Gestaltung und Umsetzung des Konzeptes von Scientific Citizenship haben wir, aber auch, welchen Grenzen werden wir begegnen?

Beginnen wir mit dem, worum es nicht gehen kann, um einem oft geäußerten Einwand von Seiten der Wissenschaft zu begegnen. Es geht nicht um eine Präsenz von Öffentlichkeit im wissenschaftlichen Tagesgeschehen, es geht nicht um ein Über-die-Schulter-der-WissenschaftlerInnen-Schauen, nicht um ein Abstimmen bei Entscheidungen über wissenschaftliche Weichenstellungen. Und dennoch stellt sich die Frage, wie eine solche 'Präsenz' der Gesellschaft im Labor hergestellt werden kann, ohne dabei für wissenschaftliche Erkenntnisproduktion zum Stolperstein zu werden. Denn das Nachdenken über Wissenschaft kann wohl nicht erst dann beginnen, wenn sie das wissenschaftliche Feld verlassen hat. Die vermehrte Bedeutung von Ethikbeiräten oder -kommissionen in Zonen der Erkenntnisproduktion, die als gesellschaftlich sensibel gelten, wurde als eine Möglichkeit gesehen. Während dies sicherlich einen wesentlichen Verhandlungsraum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit darstellt, gilt es doch zu bedenken, dass es sich zumeist ebenfalls um Expertengremien (WissenschaftlerInnen aus den Bereichen Philosophie, Theologie etc.) handelt und man somit keineswegs dem Anspruch einer breiteren Partizipation der BürgerInnen gerecht wird.

In diesem Sinne könnte man sagen, dass es ebenso sehr um die Schaffung einer Public Science geht wie um die Etablierung von Scientific Citizenship. Dies entspricht einem immer wieder formulierten Wunsch nach Symmetrisierung, nämlich dass es nicht nur um ein Public Understanding of Science gehen kann, sondern ebenfalls um ein Scientists Understanding of the Public. Hier gilt es aber auch ein potenzielles Missverständnis zu beheben. Es geht nicht um ein Aberkennen der Bedeutung und des Stellenwertes von Wissenschaft in unserer Gesellschaft, nicht um eine Schmälerung der Innovationsleistungen, die aus diesem Bereich kommen, sondern um die Zuerkennung einer eigenständigen Erkenntnisfähigkeit von BürgerInnen auch bei sehr komplexen Zusammenhängen. Es geht darum, die Kommunikation von und über Wissenschaft zwischen Wissenschaftlerinnen und Bürgern nicht zu einem Akt der Überzeugung, Zähmung und Beugung Letzterer verkommen zu lassen, sondern ganz im Gegenteil darum, den von BürgerInnen in Aushandlungsverfahren mit Wissenschaft erarbeiteten Positionen eine Stimme zu geben, im Sinne einer vielleicht aufwändigen, doch extrem wichtigen und stabilisierend wirkenden neuen Form der 'wissenschaftlichen Demokratie', die den Herausforderungen einer voranschreitenden Wissensgesellschaft gerecht wird.

Gehen wir von der Fiktion aus, es bestünde Einigkeit, man wollte eine verstärkte aktive Integration der BürgerInnen in wissenschaftlich-technische Fragenkomplexe implementieren, dann dürfte man durch die Schaffung eines solchen neuen Begriffes wie Scientific Citizenship nicht gleichzeitig der Illusion erliegen, eine neue feste, universelle Kategorie gefunden zu haben, die sich auch institutionell fixieren lässt und damit wieder zur Routine wird. Vielmehr soll durch das Festmachen der Diskussion an den Begriffen 'Bürger' und 'Bürger sein' darauf verwiesen werden, dass es sich um flexible, lernende, sich positionierende, sich verändernde Entitäten handelt und ihre Verhältnisse zu Wissenschaft und Politik immer wieder neu gestaltet und verhandelt werden müssen. Sich auf dieses Abenteuer einzulassen wäre dann als integraler Teil des Lernens im Umgang mit Unsicherheiten zu verstehen.