Heft 14 - Peer Pasternack: GELEGENTLICHE SPURWECHSEL

Über Personalimporte und -exporte der Wissenschaft


Im Allgemeinen gilt es nicht als begrüßenswert, wenn sich Menschen beruflich einer Sache zuwenden, für die sie unzulänglich qualifiziert sind. Doch kennt auch diese Regel eine Ausnahme: Der horizontale Elitenaustausch zwischen gänzlich verschiedenen Sektoren - von der Wissenschaft in die Politik und von dort in die Wirtschaft etwa - erreicht eine hohe Zustimmungsrate. Die öffentliche Generalvermutung lautet, dass es befruchtend wirken könne, sektorfremd geprägtes Personal aufzunehmen (auch wenn dann im konkreten Fall die Befruchtung mitunter als enervierend wahrgenommen wird).


Wanderungsimporte der Wissenschaft

Übersichtlich sind die Varianten des Eintritts in die Wissenschaft von außen - oder, wie man in der Wissenschaft gern sagt, 'aus der Praxis'. Es gibt hier vier Weichen, die den Spurwechsel ermöglichen.

So inkorporiert das deutsche Hochschulsystem, seitdem es das Präsidialmodell gibt, zuweilen externes Personal für die eigenen Führungspositionen. Im Unterschied zur traditionellen Rektoratsverfassung müssen Kandidaten und Kandidatinnen für das Präsidentenamt weder Professoren noch Angehörige der jeweiligen Hochschule sein. Sie sollen vielmehr Erfahrungen in der Führung von Großorganisationen besitzen. In der Tat mutet es merkwürdig an, wovon die Leitungsqualität rektoratsgeführter Hochschulen abhängt: von zufälligen Führungstalenten der - in dieser Hinsicht - Amateure im Rektoratskollegium. Gleichwohl gelingt es auch denjenigen Hochschulen, die in ihren Satzungen das Rektorat durch ein Präsidium ersetzt haben, immer wieder, das Öffnungsmodell Hochschulpräsidium zu unterlaufen. Gewählt werden mit Vorliebe dann doch Professoren der eigenen Hochschule, gegebenfalls Professoren von anderen Hochschulen, und erst wenn es gar nicht anders geht, kommt ein sowohl auswärtiger wie nichtprofessoraler Kandidat in die engere Wahl.

Die zweite Weiche zur personellen Verlebendigung der Wissenschaft von außen ist die Honorarprofessur. Sie wird, neben auswärtigen Gelehrten, mitunter auch verdienten Politikern, Politikerinnen oder Wirtschaftsführern verliehen. Die solcherart Berufenen bleiben im Übrigen, was sie vorher waren, bedienen mithin die Hochschule als Nebenstrecke: Das ist gleichsam 'Wissenschaft als Neben-Beruf'. Intellektuelle Umwälzungen haben sich aus solchen Engagements noch nicht ergeben, doch ist das auch nicht Sinn der Sache. Vielmehr erhoffen sich die berufenden Hochschulen Impulse für die Ausbildung ihrer Studierenden, Imagegewinn durch prominente Namen und bessere Kontakte in außerhochschulische Bereiche. Stichworte wie Sponsoring, Fundraising oder Public-Private-Partnership wirken hier elektrisierend. Da es nichts kostet, kann wenig dagegen eingewandt werden.

Drittens gilt für die Berufung auf Professuren an Fachhochschulen eine Regelvoraussetzung, die zur permanenten Frischluftzufuhr führen soll: Die Kandidaten und Kandidatinnen müssen aus der so genannten Berufspraxis kommen. Gemeint ist damit: nicht aus der Wissenschaft. Derart soll gesichert werden, dass die FH-Ausbildungen praxisorientiert sind und bleiben. Hier lässt sich über zweierlei streiten. Erstens: Reicht die Herkunft der Professor(inn)en aus einer minimal drei Jahre lang frequentierten außerwissenschaftlichen Praxis bei anschließendem 25-jährigen Lehraufenthalt an der Hochschule auf Dauer aus, um ein praxisorientiertes Studium zu sichern? Und zweitens: Ist das dem alten Fachschulwesen entlehnte Bildungsprinzip tatsächlich zeitgemäß, bei dem instrumentelles Wissen ohne Reflexion vermittelt, Folgebereitschaft gegenüber dem Bekannten und Gegebenen erzeugt und dies dann als 'Praxisorientierung' nobilitiert wird?

Immerhin: Wer heute studiert, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit morgen - im Berufsleben - unter Druck komplizierte Sachverhalte entscheiden und in komplexen, risikobehafteten Situationen sicher handeln müssen. Dafür muss sie oder er in der Lage sein, Wesentliches von Unwesentlichem trennen, Ursache-Wirkungs-Bündel selektieren, gesellschaftliche Kontextualisierungen und Handlungsfolgenabschätzungen vornehmen, Problemlösungsanordnungen organisieren, Handlungsoptionen auswählen und Prozesse steuern zu können. Man möchte jedenfalls in keiner Stadt leben, in der im Elektrizitätswerk der Schichtleiter diese Dinge nicht beherrscht. Die dafür nötige Souveränität erfordert, dass Studierende sich neben den äußeren auch der inneren Bedingungen ihres Handelns bewusst werden. Eine bloße Praxisorientierung allein vermag diese Souveränität nicht zu vermitteln: Erst die bewusst hergestellte Distanz zum profanen Alltag befähigt optimal zur Bewältigung dieses Alltags. Hier hat sich Humboldt in ganz anderer Weise erledigt, als dies üblicherweise angenommen wird. Nicht die Humboldtsche Universitätsidee ist zu verabschieden, sondern deren elitistische Begrenzung auf wenige.

Vermutlich werden also auch die Fachhochschulen dahin kommen müssen, ausgewogener als heute sowohl wissenschaftsinterne wie -externe Kandidaten und Kandidatinnen zu berufen. Dem Anliegen, mehr Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Sektoren zu schaffen, wird das nicht direkt schaden. Denn solange Durchlässigkeit nur in eine erneute soziotopische Abgeschlossenheit führt, in der die Berufsfeldwechsler ausschließlich auf andere Berufsfeldwechsler gleicher Herkunft stoßen, bleiben die synergetischen Wirkungen der Durchlässigkeit doch recht begrenzt.

Die vierte Variante schließlich, externes Personal in die Wissenschaft zu importieren, wird an Universitäten gepflegt. Diese berufen in natur-, ingenieur- oder wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereichen mitunter reputierliche Leute aus der Industrie. Dabei gibt es regelmäßig nur ein Problem: das des Gefälles zwischen Industriegehalt und Professorenbesoldung. Diesbezüglich keimt zwar unterdessen eine anrührende Hoffnung in zahlreichen Hochschulleitungen. Im Zuge der Flexibilisierung von Hochschulhaushalten und neuer Besoldungsvarianten wird die Erwartung geäußert, es ließe sich künftig bei angestrebten Berufungen aus der Industrie mit den dort gebräuchlichen Gehältern konkurrieren. Denn die Hochschulen müssten die Möglichkeit erhalten, frei über Besoldungs- oder Gehaltshöhen zu verhandeln.

Darin steckt implizit eine staunenswerte Annahme: die, es werde aushaltbar sein, dass wegen einer einzigen Industrieberufung je nachdem zwischen zwei und zehn andere Berufungen nicht stattfinden können. Denn das Geld für die Letzteren würde für Erstere draufgegangen sein. Abgesehen von der betrüblichen Naivität dieser impliziten Annahme ist daran vor allem bemerkenswert, dass dies hochschulpolitisch unter dem Titel der 'leistungsorientierten Besoldung' verhandelt wird. Tatsächlich aber trügen solche Berufungen mit Zusagen wirtschaftsähnlicher Gehälter vornehmlich einem Umstand Rechnung, der vollständig leistungsunabhängig ist: Ohne dass die einen klüger und leistungsfähiger als die anderen sein müssen, werden in außerakademischen Verwendungen von beispielsweise Germanistinnen oder Musikwissenschaftlern signifikant geringere Gehälter gezahlt als in Spitzenpositionen der Wirtschaft. Fazit: Es wird wohl auch künftig nötig bleiben, sich auf solche Kandidaten aus der Wirtschaft zu beschränken, die andere als finanzielle Motive mit einer Hochschultätigkeit liebäugeln lassen.


Wanderungsexporte der Wissenschaft

Nicht ganz so übersichtlich liegen die Dinge beim umgekehrten Wechsel aus der Wissenschaft in ein anderes Feld. Die Weichen für einen Spurwechsel lassen sich hier nur selten per Hand umlegen, und mancher erfolgreiche Absprung aus dem akademischen Bereich beruht auf Schaltfehlern im Stellwerk der Subsysteme. Denn unter allen denkbaren Wanderungsfällen handelt es sich beim Wechsel aus der Wissenschaft in einen beliebigen anderen Bereich um einen Spezialfall. Der drückt sich in einer paradoxen Situation aus. Auf der einen Seite gelten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen spätestens nach der Habilitation als vollständig fehlqualifiziert für sämtliche außerwissenschaftliche Einsatzfelder, soweit dort mittlere Positionen zur Debatte stehen. Auf der anderen Seite aber wird ihnen, wenn es um außerwissenschaftliche Top-Entscheiderpositionen geht, jeder Job zugetraut. Für beides gibt es Gründe.

Der normale Karriereweg im deutschen Wissenschaftssystem zielt auf die Professur. Zugleich gilt dieser Weg als berufliche Sackgasse für den Fall, dass das Ziel verfehlt wird. Nun sollen aber Professoren und Professorinnen vieles zugleich sein: exzellent in der Forschung wie in der Lehre, begeistert in der akademischen Selbstverwaltung, dynamisch im Netzwerkmanagement und bei der Drittmitteleinwerbung, hinreichend fintenreich gegenüber der Hochschulverwaltung, gelassen und kompetent in der Mitarbeiterführung, dazu souveräne Instrumentalisten auf allen alten und neuen Medien, kognitive Innovateure wie auch unablässige Erzeuger öffentlicher Resonanz und nimmermüde Übersetzer wissenschaftlicher Fragestellungen auf gesellschaftliche Relevanzbedürfnisse hin. Mithin: Die Hochschullehrerrolle zeichnet sich durch erhebliche Komplexität aus.

Dass in einer beruflichen Sackgasse landet oder landen soll, wer sich zirka 20 Jahre lang auf eine derart rollenkomplexe Tätigkeit vorbereitet hat, ist nicht spontan plausibel. Es ist insbesondere nicht plausibel, wenn dies im Lichte der heutigen berufsweltlichen Anforderungen und der entsprechenden Debatten über die nötigen individuellen Qualifikationsprofile betrachtet wird. Was wird da nicht alles gefordert: kritisches Denken, innovative Neugier, vernetztes und Mehrebenendenken, Methodenkompetenz, Polyzentrismus, Risikobereitschaft und Innovationsneigung, Fremdsprachigkeit und individuelle Zeitmanagement-Fertigkeiten, Mobilität, lebenslanges Lernen, Fähigkeit zum Berufswechsel, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Konfliktmanagementkompetenz, Multitasking, Zielorientiertheit, Entscheidungsstärke und Stressstabilität - also durchgehend Elemente, die der Professorenrolle sämtlich nicht fremd sind. Und dennoch gilt der Weg zur Professur als berufliche Sackgasse für den Fall, dass das Ziel verfehlt wird. Wie das?

Es hängt mit gesellschaftlich virulenten Vorurteilen zusammen. Eine arbeitslose Privatdozentin als Vermittlungsfall überfordert die Fantasie der Arbeitsvermittlungsanstalt, auch wenn die jetzt Agentur heißt. Ein Professor hingegen zehrt vom überkommenen Sozialprestige seines Standes. Zwar hat sich, seit der Hochschulexpansion in den siebziger Jahren und seitdem es Fachhochschulen gibt, das Professoriat zur Massenbewegung entwickelt. 39 000 Professoren und Professorinnen gibt es heute in Deutschland. Doch hält sich jenseits der Hochschulmauern hartnäckig der Glaube, ein Professor sei zwingend nicht nur überdurchschnittlich begütert, sondern zudem ganz besonders klug.

Nun ist das auch nicht immer falsch. Nehmen wir den nicht gar so seltenen Fall des Wechsels aus der Wissenschaft in die Politik. Ein wenig vergröbert lässt es sich so sagen: Ein Wissenschaftler bzw. eine Wissenschaftlerin ist entweder mit Zahlen (Naturwissenschaften) oder mit Texten (Sozial- und Geisteswissenschaften) vertraut. In der Politik geht es um Haushalte (Zahlen) und Visionen (Texte). Über eine von zwei Basisqualifikationen verfügt der Wissenschaftler also mindestens. Er kann rechnen oder räsonieren, und mancher kann auch beides. Jetzt müssen lediglich zwei weitere Elemente hinzukommen: ein Angebot aus der Politik und ein persönliches Interesse bei der oder dem Angefragten.


Muss die Politik extern Personal suchen, war ihre eigene Nachschubproduktion unzulänglich. Zur Strafe muss sie nun Ausschau halten nach mutmaßlich verwendbaren Personen außerhalb der üblichen Rekrutierungsnetze, die aber mit großer Wahrscheinlichkeit Probleme machen werden. Denn typischerweise sind sie habituell fremd und werden Einpassungsschwierigkeiten haben. Sie verhalten sich anfangs entweder zu zurückhaltend oder zu forsch, also auf jeden Fall unangemessen. Überdies müssen sie so zentrale Dinge wie den Unterschied zwischen einem Regierungsdirektor und einem Ministerialdirigenten erst einmal erlernen. Damit nicht genug. Aus all ihrer Unbedarftheit erwächst ihnen auch noch ein aufmerksamkeitsökonomischer Vorteil: Wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Originalität des erfrischend politikeruntypischen Verhaltens ziehen sie die größere Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Insgesamt sind das alles Erfahrungen, welche die Politik nach Möglichkeit gern vermeidet. Mitunter jedoch geht es nicht anders.

Ergeht nun aber nicht nur ein Angebot für ein politisches Amt, sondern wird dieses von dem oder der Angefragten auch angenommen, dann ist das in Deutschland eigentlich ein recht unwahrscheinlicher Fall - zumindest für Nicht-Naturwissenschaftler, und diese stellen die Mehrzahl der Wechsler in die Politik. Es ist ein recht unwahrscheinlicher Fall, weil die Wissenschaften von der Gesellschaft sich in etwa so zur Politik verhalten wie die akademische Medizin zur Krankheit. Nicht nur, dass kein Mensch Medizin studiert, um anschließend krank zu werden. Es gibt auch zwei Arten, sich den Krankheiten zu nähern: analytisch, wie zum Beispiel die Pathologie, oder interventionsorientiert, wie etwa die Chirurgie. Erstere verwendet die Hälfte ihrer Zeit darauf, solche Fälle zu ergründen, bei denen es ohnehin zu spät ist, dann aber genau angeben zu können, warum es zu spät war (vergleichbar zum Beispiel alle historisch-hermeneutischen Disziplinen). Die Chirurgie hingegen sorgt dafür, dass etwas, das eigentlich nicht mehr ging, irgendwie doch wieder geht (vergleichbar zum Beispiel Sozialpädagogik oder Volkswirtschaftslehre).

Das Wissen um die systematisch wie vom Gegenstand bedingte Begrenztheit des eigenen Bemühens ist hier immer präsent (außer bei den Theologen, deren Professoren sich wohl deshalb nie in der Politik wiederfinden: Ihre Generalhypothese Gott, die geringstmögliche Falsifikationsfähigkeit mit größtmöglicher Erklärungskraft verbindet, ist eine universalistische Firewall gegen die Versuchungen der Politik als Beruf).

Wer nun aber sich in die Politik begibt, muss das Bewusstsein der eigenen Begrenztheit am besten abschalten. Denn ab sofort muss er oder sie so tun, als könnte man die Welt genau so verändern, wie man die Welt im Kopf entwirft. Etwaige Skepsis darf nicht nach außen dringen. Politische Pressemitteilungen aus dem Geist des Zweifels würden alsbald Gegenstand von Zeitungsglossen statt Quellen für Aufmacherthemen. Vor diesem Hintergrund können die Motive für ein persönliches Interesse am Wechsel aus der Wissenschaft in die Politik recht unterschiedlich sein.

Das unspektakulärste und am häufigsten behauptete Motiv ist der Wunsch, man wolle an Veränderungen unmittelbar mitwirken. Dieser Wunsch ist von hoher moralischer Qualität, dokumentiert Verantwortung für das Gemeinwesen und kann in heiklen politischen Situationen Opferbereitschaft bezeugen. All das ist gegebenenfalls empirisch dementiert, wenn die Mitwirkung an den Veränderungen dann doch keine hinreichenden Veränderungen bewirkt, daraus aber kein Amtsverzicht folgt.

Mancher hingegen hat wissenschaftlich alles erreicht, was ihm zu Gebote stand, und empfindet darob nunmehr ein gewisses Unausgefülltsein. Dies mag ein anderes Motiv sein, sich politischen Avancen nicht zu verschließen. Es kann sich verbinden mit einer Unzufriedenheit, die sich im Leiden an Beratungsunterzucker äußert: Zu wissen, dass man mehr weiß als die Politiker, und dennoch von diesen nicht oder nicht genügend gefragt, zu Gutachten gebeten und in Enquete-Kommissionen berufen zu werden - dies kann den Drang, selbst entscheiden zu wollen, wessen Expertise verzichtbar ist, übermächtig werden lassen.

Zwei rationale Motive, ein politisches Amt zu übernehmen, können unter dem Titel 'Politik als Besuch' rubriziert werden. Da gibt es zum einen das quasi-ethnologische Interesse an einem Feldaufenthalt. Es findet seine Begründung darin, dass sich tribalistische Strukturen jeglicher Art der teilnehmenden Beobachtung doch authentischer erschließen als der allein quellen- und dokumentenvermittelten Kenntnisnahme. Zum anderen kann das politische Amt als die Chance zu einer Art Praktikum gesehen werden. Dabei ist es der Stabilisierung des individuellen Selbstkonzepts dienlich, dass man nicht wie sonstige Praktikanten zum Kopieren oder Kaffeekochen geschickt wird, sondern in Kabinettssitzungen oder auf Auslandsreisen. Diese Variante dient dem Erfahrungsgewinn, in der Folge der intellektuellen Kapitalakkumulation, also der Kompetenzsteigerung zur Verbesserung der eigenen professionellen Position im wissenschaftlichen Feld, in das man hernach wieder zurückkehrt.

Schließlich kann der Wechsel aus der Wissenschaft in die Politik auch schlichtem Mangel an Alternativen geschuldet sein. Hier war etwa in den letzten zwei Jahren die (inzwischen wieder unwirksame) Zwölf-Jahres-Begrenzung für wissenschaftliche Arbeitsverhältnisse nach dem Studienabschluss recht wirksam: Sie hat manchem außerwissenschaftlichen Bereich das eine oder andere analytische Talent beschert. Vor dem Hintergrund von Hartz IV ist das im Übrigen eine Variante, die allen Privatdozenten und -dozentinnen als latent zu haltende Exit-Option (mit etwaiger Wiedereintritts-Komponente) anzuraten ist. Manche Berufung lässt ja dem Vernehmen nach länger als zwölf Monate auf sich warten. Bevor dieses Warten im gelegentlich zu absolvierenden Status der Erwerbslosigkeit die künftig hochkritische Ein-Jahres-Schwelle überschreitet und die neuen Zumutbarkeitsregeln den Eintritt in die Dequalifizierungsspirale bewirken, empfiehlt es sich, wenigstens ein Landtagsmandat zu erringen. Bei Rückbewerbungen in die Wissenschaft gilt man dann als so genannter Praxisbewerber. In manchen Fächern kann das die Berufungsaussichten verbessern.


Wanderungshemmnisse

Zumindest im Grundsätzlichen erfährt der Wechsel von High Potentials und Entscheidern zwischen unterschiedlichen professionellen Feldern hohe gesellschaftliche Akzeptanz. Dies steht indes im Kontrast zur Lebensrealität. Tatsächlich kommen derartige Wechsel zwischen Politik, Wissenschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Verbänden eher selten vor. Vollständig außerhalb als Empfänger sektorfremd sozialisierten Personals bleiben die Führungsbereiche von Justiz, Schulverwaltung, Militär, Polizei, Geheimdiensten und Kirchen. So verhält es sich jedenfalls in Deutschland. In anderen Ländern dagegen erscheint die Fähigkeit, Feldwechsler zu integrieren, häufig sehr viel ausgeprägter. Wie erklären sich diese Unterschiede?

Eine erste These: "Verschiedene Professionalisierungsweisen entscheiden darüber, wie durchlässig oder abgeschottet die Grenzen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Subsystemen sind." Auf der einen Seite stehen Länder, in denen die Elitenproduktion qua weitgehend vereinheitlichter Ausbildungswege in intellektuell wie habituell vereinheitlichende Zurichtungen mündet. Daher unterscheiden sich dort die einzelnen Sektoren in Organisation und Personaldisposition nicht allzu gravierend voneinander. Seiteneinsteiger sind mithin leicht integrierbar. Auf der anderen Seite stehen extrem abgeschottete Bereiche wie die Bundeswehr, die deutsche Schulverwaltung oder der katholische Klerus (wenn man hier von der theologischen Universitätsprofessur als Reifungsphase künftiger Bischöfe absieht). Deren Professionalisierungswege zeichnen sich durch eine sehr hohe Formalisierung aus. Seiteneinsteiger wären selbst dann, wenn es gewollt würde, nicht integrierbar: Sie haben die je spezifischen professionellen Codes und Routinen nicht internalisiert. Im Übrigen aber wird in diesen Bereichen eine Flexibilisierung der Professionalisierungswege auch gar nicht gewollt (weshalb etwa aktuell die Widerstände gegen gestufte Studiengänge bei Juristen, Theologen und Pädagogen besonders stark sind - während unter den Medizinern langsam eine Gelassenheit Oberhand gewinnt, die darauf vertraut, dass ein dreijähriger Bachelor-Abschluss nicht zum Arztberuf befähigen kann, zu anderen Verwendungen aber durchaus).

Eine zweite These zur Erklärung des begrenzten Wechselgeschehens verortet die Ursachen noch eine Schicht tiefer in den gesellschaftlichen Diskursformationen: "In Deutschland herrscht ein verbreiteter Bildungspessimismus; dieser bedingt verengte Beruflichkeitsorientierungen deutscher Hochschulausbildung; diese wiederum setzen sich dann in der gegenseitigen Abschottung der Berufsfelder fort."

Deutsche Hochschulpolitik hängt so traditionell wie unerschütterlich dem Qualifikationsbedarfsansatz an. Bildungsbedarfsprognosen genießen den Nimbus, die Rationalität politischer Entscheidungen steigern zu können. Keine der zahlreichen Scheiternserfahrungen mit solchen Prognosen vermochte bislang daran etwas zu ändern. Die Hamburger Wissenschaftsbehörde sah sich unlängst sogar in der Lage, den städtischen Zukunftsbedarf an Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern auszurechnen, woran sich nun die entsprechenden Ausbildungskapazitäten der Universität Hamburg anpassen sollen. Eine solche verengte Beruflichkeitsorientierung zu überwinden wird nur durch eine grundsätzliche Einstellungsänderung zu Qualifikation und Bildung möglich sein.

Immerhin: Überall dort, wo es historisch tiefer verwurzelte demokratische Traditionen gibt als in Deutschland, findet sich eine gänzlich andere Grundeinstellung zu Bildung und Bildungszugang. In Frankreich, Großbritannien oder Skandinavien, aber auch in den USA gilt Bildung als etwas, das prinzipiell keine Fehlinvestition sein kann. Denn es versetzt in jedem Falle die Einzelnen in die Lage, ihr Leben unabhängiger und chancenreicher zu gestalten als mit geringerer Bildung. Ganz anders das in Deutschland verbreitete Verständnis. Hier ist Bildungszugang etwas, das 'gewährt' wird (wie jüngst wieder mit der Kultusministerkonferenz-Empfehlung dokumentiert, den Übergang ins Masterstudium von zusätzlichen Bedingungen neben einem Bachelor-Abschluss abhängig zu machen). Grundlage der Gewährung ist ein vermeintlicher Qualifikationsbedarf der Arbeitsmärkte. Die politische Erfahrung wie die empirische Forschung lehren anderes. Daher sollte mittlerweile allgemein akzeptiert sein, dass hier ein gewisser Gleichmut so angebracht wie nötig ist: Qualifikationen und Qualifikationsnachfrage bewegen sich fortwährend in Schaukelbewegungen aufeinander zu. Politische Steuerung gibt es in diesem Bereich allein als Fehlsteuerung.

Nun sind freilich auch Hochschulangebote in den Vereinigten Staaten und den anderen genannten Ländern nicht allein am Prinzip der Persönlichkeitsbildung orientiert. Sie folgen eher dem Humanressourcenansatz, sind zum Teil mit sehr strikten Konkurrenzstrukturen gekoppelt und von der Idee sozialen Chancenausgleichs nur ausnahmsweise geprägt. Doch verbindet sich das immerhin mit einem grundsätzlichen Bildungsoptimismus. In Deutschland dagegen wird permanent über zu geringe Begabungen geklagt - statt sich deren massenhafter Freilegung zu widmen. Wo derart pessimistisch einer Bevölkerung eingeredet wird, sie sei nur beschränkt bildungsfähig, darf der geringe Umfang des Wechsels der Funktionseliten zwischen verschiedenen Berufsfeldern am Ende als das kleinere Problem gelten.