Heft 18: RAT UND TAT

Einführung und Dokumentation


Guter Rat ist teuer und zumeist verwirrend vielfältig. Wie erkenne ich aber den guten Ratschlag: wie also zwischen den diversen Expertisen, zwischen Gutachten und Gegen-Gutachten entscheiden? Denn schlechter Rat ist noch teurer, weil zudem schädlich. Es sind nicht immer die häufig arg gescholtenen Politiker, welche die Midasmütze tragen (unter der sie die Eselsohren verbergen), sondern nicht minder oft die Berater, und nicht nur die privaten Beraterfirmen, sondern ebenso die wissenschaftlichen Ratgeber der Politik. Die aktuelle Diskussion um 'Junk Science' - sozusagen wissenschaftlichen Unrat - legt davon ein beredtes Zeugnis ab. Es stellt sich mithin zwangsläufig die Frage nach der wissenschaftlichen Qualität der Beratung und Berater. Ein grundlegendes Qualitätsmerkmal der Politikberatung besteht darin, zwischen sicherem Wissen, unsicherem Wissen und Nichtwissen unterscheiden zu können, um die Rahmenbedingungen prognostischer Aussagen einzuschätzen. Von zentraler Bedeutung sind ebenso die Operationalisierbarkeit des Wissens und die praktische Umsetzung der Erkenntnisse bis in die Ressortberatung hinein. Dabei spielen die Wissenschaftsinstitutionen eine herausragende Rolle, und auch die noch immer nicht gelöste Frage einer Nationalen Akademie der Wissenschaften sollte nicht zuletzt unter diesem Blickwinkel sorgfältig bedacht werden.

Alexander von Humboldt wusste: "Könige kennen schon aus Bequemlichkeit in jeder Wissenschaft immer nur einen Namen, den ersten!" Der heutige politische Beratungsdiskurs findet dagegen in einem wesentlich unübersichtlicheren Rahmen statt, nämlich im Spannungsfeld von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft. Er sollte offen und öffentlich geführt werden. Die öffentlichen Stimmen in Gestalt der Medien sind indes nicht gut beraten (um an die eigenen wissenschaftsjournalistischen Ohren zu fassen), wenn sie nur auf spektakuläre Themen setzen, statt für solide Aufklärung und Wissensvermittlung zu sorgen. Nicht zuletzt durch die neuen Medien, vor allem durch das Internet, sind herkömmliche Kommunikationsstrukturen aufgebrochen und neue geschaffen worden; sie bieten die Möglichkeit anderer gesellschaftlicher Vernetzungen - ein Phänomen, das etwa das Konzept der 'Governance' zu beschreiben versucht. Auch der Entwurf der 'gesellschaftlichen Selbstberatung' nimmt diesen Gedanken auf und entwickelt ihn weiter. Wer berät wen? Die Komplexität der hochtechnisierten, von der Globalisierung erfassten Gesellschaften, die immer weniger durchschaut werden kann, produziert zunehmend Ratlosigkeit und Ängste und generiert einen rasch anwachsenden Beratungsbedarf, und zwar in allen Sektoren der Gesellschaft, den öffentlichen wie privaten (vom Therapeuten bis zum Ernährungsberater). Die Geschichte kennt seit der Antike eine Vielzahl von gescheiten, aber auch gescheiterten Politikberatern (obwohl nicht alle so dramatisch scheitern wie Seneca mit seinem Zögling Nero), aber das platonische Ideal, dass der Philosoph als 'Freund der Weisheit' eigentlich herrschen solle, findet sich selbst bei Machiavelli in Il Principe, wenn er schreibt: "Ein Fürst, der nicht weise ist, kann auch niemals weise beraten werden." Heute jedoch sind idealiter alle Bürger beteiligt als Ratsuchende oder Ratende, was die Weisheitsforderung generalisiert und die Dinge keineswegs leichter macht. Beraten, erraten und verraten sind nur durch eine Vorsilbe voneinander getrennt, in ihrer Bedeutung und Wirkung liegen sie indes himmelweit auseinander; wie es das Unglück will, ist’s in der Praxis nicht immer leicht, diese Unterscheidungen angemessen zu treffen, sodass das Publikum den wissenschaftlichen Rat, der diesen Namen verdient, mitunter nicht zu erkennen vermag. Es gibt also Gründe genug, die Tat des Rates und den Rat zur Tat genauer unter die Lupe zu nehmen.