Heft 19: WISSEN SCHAFFT PUBLIKUM Einführung und Dokumentation Vorbei sind die Zeiten der Geheimwissenschaft, in denen Alchymisten mit arkanen Praktiken Gold gewinnen wollten - zeitgemäße Entsprechungen könnte der Chronist allenfalls in jenen abgeschlossenenen Forschungsabteilungen vermuten, wo der Kampf um die gewinnträchtige Patentanmeldung geführt wird; vorbei sind aber auch jene Zeiten, in denen die Öffentlichkeit der Wissenschaft nur durch die Scientific Community selbst hergestellt wurde, weil die Allgemeinheit die wissenschaftliche und forschende Tätigkeit nur mit mäßigem Interesse wahrnahm. Heute bildet die Gesellschaft als ganze die Öffentlichkeit, und sie erwartet nicht wenig von der Wissenschaft: Die Politik will Beratung; die Medien wollen mindestens eine 'gute' (oder skandalträchtige) Story; die Bevölkerung erhofft sich Aufklärung und Orientierung, aber vor allem eine Optimierung der Lebensverhältnisse; und alle wollen wissen, wofür das Geld ausgegeben wird, von dem man ja erwartet, dass es gut investiert werde. Denn nur ein entwickelter Wissenschaftsstandort ist bekanntlich strategisch auch ein guter Wirtschaftsstandort.
Noch nie haben Wissenschaft und Technik im Alltag der Menschen eine vergleichbar wichtige Rolle gespielt wie in der Gegenwart: Im Großen produzieren sie Ängste ebenso wie Hoffnungen, und der wissenschaftliche Fortschritt findet seinen zwiespältigen Ausdruck wohl am augenfälligsten in der Debatte um die Lebenswissenschaften. Aber auch im Kleinen prägen Wissenschaft und Technik das normale Alltagshandeln durch Handy, MP3-Player, Internet und Verwandtes. In der Geschichte gab es immer wieder Phasen der allgemeinen Begeisterung für die Wissenschaft: Seit der Aufklärung erfreuten sich publikumswirksame wissenschaftliche Demonstrationen stets aufs Neue großer Beliebtheit; ebenso rasch wuchs die Auflagenzahl von Enzyklopädien und populärwissenschaftlichen Zeitschriften - die zum Beispiel unter Titeln wie 'physikalische' oder 'chemische Belustigungen' erschienen; später organisierten sich in wissenschaftlichen Vereinen die bildungshungrigen Bürger in Massen, und in Museen und Weltausstellungen wurden mit beeindruckendem Erfolg Exponate des Wissens vorgeführt. Heute ist das Verhältnis des Publikums zur Wissenschaft eher gespalten. Nie sind so viele Menschen so selbstverständlich mit Hightech umgegangen. Doch das Interesse an der tatsächlichen, also zumeist 'trockenen' Wissenschaft hält sich in Grenzen. Umso mehr fasziniert das Spektakuläre - sei’s positiv, sei’s negativ: Helden und Schurken als Leitfiguren von Wissenschaftsinszenierungen okkupieren die öffentliche Aufmerksamkeit. Oder um es mit Peter Weingart zu sagen: "Einstein und Frankenstein sind die Ikonen der Wissenschaft, Seite an Seite" (in: Die Wissenschaft der Öffentlichkeit, S. 9). Ein Bonmot lautet: Der Wissenschaftler weiß immer mehr über immer weniger, bis er alles über nichts weiß, der Journalist weiß immer weniger über immer mehr, bis er nichts über alles weiß. Diesem drohenden Vermittlungsdilemma zwischen zu vager Allgemeinheit und unverständlichem Spezialisten-Code gilt es zu entgehen. Und gefordert sind hier der Wissenschaftsjournalist ebenso wie der Wissenschaftler selbst. Dabei sollten beide bedenken, was bereits Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie seinen Zeitgenossen einschärfte: "Kein Skribent [...] muß seine Leser oder Zuhörer so gar unwissend annehmen; er darf auch gar wohl manchmal denken: was sie nicht wissen, das mögen sie fragen!" Oder googeln, möchte man für heute hinzufügen. Das Internet bietet die Möglichkeit, sich auf eigene Faust Wissen zu verschaffen. Allerdings birgt es auch die Gefahr, in der Datenflut zu ertrinken, ohne dass der Wissensdurst gelöscht wird. Und auch die Qualität der dargebotenen Informationen vermag der Suchende häufig nur schwer zu beurteilen. Das Internet macht also die 'klassischen' medialen Praktiken nicht überflüssig, sondern ganz im Gegenteil: Kompetente wissenschaftliche Orientierungsleistungen gewinnen zunehmend an Bedeutsamkeit. Das vermeintlich Vergangene hat seine Zukunft noch vor sich. | |