Heft 19 - Ulrich Johannes Schneider: DAS UNIVERSALLEXIKON VON JOHANN HEINRICH ZEDLER ODER DIE WIKIPEDIA DES 18. JAHRHUNDERTS Ein Lexikon oder eine allgemeinbildende Enzyklopädie ist kein Werk für die Ewigkeit. Es steht als gedrucktes Werk mit einem Lesepublikum in engster Verbindung. Das gilt vor allem für das 18. Jahrhundert, als europaweit ein Lesepublikum entstand. Es gab Lexika, die dem einfachen Landmann die gehobene Sprache beibringen wollten, wie beispielsweise ein unter dem Pseudonym Belemnon veröffentlichtes Curiöses Bauern-Lexikon aus dem Jahre 1728, und es gab Enzyklopädien für den Adel mit praktischem Wissen etwa über das Reiten. Für ein städtisch-bürgerliches Publikum waren die Konversationslexika gedacht, die seit Beginn des 18. Jahrhunderts der Erläuterung von Zeitungsberichten dienten und rasch zu umfassenden Informationswerken wurden. Der Leipziger Verleger Johann Friedrich Gleditsch erneuerte sein erfolgreiches und erstmals so genanntes Conversations-Lexikon ab 1706 fast alle zwei Jahre.
Das Universal-Lexicon des Leipziger Verlegers Johann Heinrich Zedler ist im Grunde nichts anderes als ein ins Gigantische getriebenes Konversationslexikon. Mit seinen ca. 284 000 Artikeln und 276 000 Verweisungen besetzt es mit Stichwörtern und Druckseiten einen bibliothekarischen Raum, der lange nicht übertroffen wurde: ein Mammutunternehmen. Erstellt in denkbar kürzester Zeit zwischen 1732 und 1750, wird das Alphabet der deutschen Sprache in nur 18 Jahren erschöpft. Zu den deutschen Wörtern muss man eine Reihe von lateinischen rechnen und ganz wenige, die auf Griechisch oder Hebräisch eingestreut sind. Die Macher des Lexikons sind bis heute weitgehend unbekannt, und es lassen sich insgesamt keine erschöpfenden Zuordnungen von bestimmten Artikeln zu bestimmten Autoren etablieren - ganz im Gegensatz zur französischen Encyclopédie, die 1751 zu erscheinen begann, als das Universal-Lexicon vollendet war. Das Kompilieren wurde schon im 17. Jahrhundert, als das Abschreiben mangels Urheberrecht weitgehend ungestraft florierte, als echte Arbeit angesehen. Jean Leclerc notierte 1694 beim Redigieren und Verbessern einer Ausgabe des Dictionnaire Historique des Louis Moréri: "Auch wenn es nicht sehr viele Bücher gibt, die an Nützlichkeit die Lexika übertreffen, so gibt es auch kaum Werke, die so geduldige und beständige Arbeit erfordern, wie eben diese Lexika." Sicher sollte man betonen, dass diese Anstrengung sich auf ein 'historisches Lexikon' bezog, das heißt auf ein Werk, das vor allem Namen enthielt: Namen von Personen, von Geschlechtern, von Ländern, Orten, Bergen und Flüssen. Wir denken in Bezug auf Enzyklopädien noch viel zu stark in Begriffen der verwissenschaftlichten Welt, und wir denken zu oft, es ginge um die Qualifizierung der Wahrheit. Der Buchmarkt der Aufklärung jedoch kann uns darüber belehren, dass wir so nur einen geringen Teil der enzyklopädischen Produktion in den Blick bekommen, und schon gar nicht das Wissen im Universal-Lexicon. Denn hier machen die rein wissenschaftlichen Artikel, für die es akademische Disziplinen und Universitätsfächer gab, nur ein Drittel der Gesamtmenge aus: 120 139 Lemmata sind Personen gewidmet, 72 461 geografischen Gegebenheiten. Diese Zahlen gehören zu den konkreten Ergebnissen eines gerade abgeschlossenen Forschungsprojekts, das die sachliche Erschließung des Universal-Lexicon durchgeführt hat (www.zedler-lexikon.de). Aneignung der Enzyklopädie Das historische Wissen kann nicht erfunden werden, es entsteht aus der Recherche. Es ist daher nicht verwunderlich und aus mehreren Zeugnissen klar, dass das Universal-Lexicon Texte anderer Lexika und vieler bereits publizierter Werke aufgenommen hat. Die Lexikonmacher waren sich der Pflicht zum permanenten Plagiat bewusst und haben die unermüdliche Arbeit des Artikelklaus sogar im Lexikon selber ironisiert, indem sie den Artikel "Nachdruck derer Bücher", der eine scharfe Kritik des Abschreibens enthält, selber aus einem anderen Werk abschrieben, wie Nicola Kaminski vor wenigen Jahren gezeigt hat. Was Zedlers Universal-Lexicon aber auch enthielt, waren Texte, die nicht abgeschrieben oder von Kompilatoren zusammengestellt waren, sondern die vielmehr so aufgenommen wurden, wie sie eingesandt waren. Sowohl der Verleger Johann Heinrich Zedler wie auch der spätere langjährige Redakteur Karl Günter Ludovici haben nämlich in Vorreden und in Werbeanzeigen, die parallel zum Unternehmen des Universal-Lexicon erschienen, dafür geworben, fremde Einsendungen abzudrucken. Und das geschah in der Tat. Da es kein Archiv zu diesem Lexikon gibt und da wir bis jetzt nicht und vermutlich noch für längere Zeit nicht in der glücklichen Lage sind, in die Robert Darnton kam, als er das Archiv der französischen Encyclopédie auffand und daraus ein neues Bild des intellektuellen und zugleich buchhändlerisch erfolgreichen französischsprachigen Unternehmens entwerfen konnte, müssen wir uns im Falle des Universal-Lexicon mit dem Text begnügen. Weil dieser unüberschaubare Ausmaße hat, lässt sich nicht rasch nachprüfen, welche Artikel aufgrund von Einsendungen aufgenommen wurden. Zu vermuten ist beispielsweise, dass der extrem lange Artikel über die sehr kleine Stadt 'Wurzen' in der Nähe von Leipzig von einem mit dieser Stadt verbundenen Historiker stammen muss. Besonders aber Personenartikel enthalten Material, das nicht bereits veröffentlicht war - erkennen kann man das allerdings nur, wenn man in die Artikel hineinliest. Wenn man so beispielsweise auf den Artikel über "Samuel Schmettau, Reichsgraf" gelangt, findet man ein solches 'Ego-Dokument', wie man das wohl in der Geschichtswissenschaft nennt. Der Artikel umfasst 28 Spalten und endet mit dem kaiserlichen Grafen-"Diplom", das in voller Länge zitiert wird. Kurz zuvor heißt es in einer Passage, welche die Beförderung in den Reichsgrafenstand wie die Erfüllung aller nur denkbaren Wünsche beschreibt: "Ihro Kaiserliche Majestät [...] haben Höchst-Dieselben [...] dem Feldmarschalln Grafen von Schmettau eigenhändig das Diploma [...] nebst einem beygelegten kostbaren Geschencke von einem goldenen reich mit Brillanten besetzten Etui mit mathematischen Instrumenten übergeben, und Dero beständigen höchsten Gnade zu versichern geruhet." Es kam, wie es kommen musste: Kaum waren die Türen des Lexikons geöffnet, fielen Selbstdarsteller aller Arten in die Textwüste ein und vergrößerten sie. Nicht anders als heute in der 'Wikipedia' stand das Universal-Lexicon durch seine Offenheit in der Gefahr, zur Selbstvergrößerungsplattform zu werden. Aber was heißt hier Gefahr? Die ganz offensichtlich von Familienmitgliedern oder von dem Reichsgrafen Schmettau selbst stammenden Details der Erzählung und beigebrachten Dokumente bezeugen nicht weniger eine historische Wahrheit als spätere, eher nüchterne historische Darstellungen von "Leben und Meinungen", die dann nicht mehr so einfach von "Heldentaten" sprechen. Im Universal-Lexicon selber war beobachtbar, wie Geschichte geschrieben wird, wie sich bestimmte Personen in der Geschichte nach vorne schreiben. Feldmarschall Samuel Schmettau hat 28 Schlachten und 32 Belagerungen mitgemacht, er wurde dank dieser Verdienste Abgesandter des Preußenkönigs Friedrich II. am kaiserlichen Hof in Wien. Später wurde von Schmettau zum Kurator der Akademie der Wissenschaften zu Berlin gemacht - das konnte freilich im Universal-Lexicon nicht mehr stehen, wohl aber ist es heute in der 'Wikipedia' nachzulesen. Der Schlachtenruhm vergeht nur langsam. Wo der Pfeffer wächst Die Öffnung zum Publikum geschah freilich nicht nur durch Lizenzierung der Leser als Schreiber. Publikumsnähe war eine Grundsatzentscheidung. Sie fiel nicht gleich anfangs im Lexikon; aber spätestens mit der Übernahme der Redaktion durch Karl Günter Ludovici ab Band 18 (1738) wurde das Lexikon gegenüber der Gesellschaft, in der es und für die es entstand, durchlässig. Ludovici setzte durch, dass auch lebende Personen aufgenommen werden durften - wie beispielsweise dann von Schmettau -, aber Ludovici war eben deshalb so glücklich, diese Entscheidung mitten im Buchstaben L verkünden zu dürfen, weil dieser Coup noch die Einrückung eines Artikels über ihn selbst erlaubte. Mit der Berücksichtigung lebender Personen hat das Vollständige Universal-Lexicon vollends den Charakter der Konversationslexika angenommen und sich auf Aktualität und Anwendungsnähe verpflichtet. Im Universal-Lexicon wird die Anwendungsnähe vor allem darin deutlich, dass etwa die 3207 Artikel über Pflanzen und die 1634 Artikel über Tiere meist mit einem Rezept enden, mit einer Zubereitungsart. Horst Dreitzel hat einmal vermutet, der 'Zedler' biete die größte Kochrezeptesammlung des 18. Jahrhunderts. Die Arbeiten stehen noch aus, die den Inhalt des Universal-Lexicon mit zeitgenössischen ökonomischen Enzyklopädien etwa von Zincke oder Savary vergleichen; unzweifelhaft wird die inhaltliche Deckung sehr groß sein. Greifen wir zum Pfeffer, den das Universal-Lexicon schon in Band 4 erstmals anfasst: "Brasilien-Pfeffer, Pfeffer aus Brasilien, oder aus Guinea, Indianischer Pfeffer, Calecutischer Pfeffer, Runder indianischer Pfeffer, Spanischer Pfeffer, Schoten-Pfeffer, Teutscher-Pfeffer" usw. Von dieser Wunderpflanze heißt es, sie sei besser nicht roh zu essen, "maßen man sich den Gaumen und den Hals, wie mit Feuer, davon verbrennet". Verbrannt hat sich in einem gewissen Sinn auch der Autor dieses Eintrags, weil er offensichtlich kein Zutrauen hatte, dass der Buchstabe P erreicht würde, und sich beeilte, schon 1732 beim Buchstaben 'B' unter dem Stichwort 'Brasilien-Pfeffer' das ganze Wissen über die feurige Schote loszuwerden. Das Lexikon aber gelangte 1741 tatsächlich zum Buchstaben P, und im Band 27 finden wir zehn Spalten über den 'Pfeffer', "eine kleine Frucht, von der es allerlei Sorten gibt, von welchen in den Apotheken vornehmlich drei angetroffen werden, als nämlich schwarzer, weißer und langer Pfeffer". Ein vergleichender Blick bietet sich an auf die französische Encyclopédie Diderots, die sieben Spalten auf den Pfeffer ('Poivre') verwendet und sich dabei auf eine gedruckte Geschichte exotischer Pflanzen verlässt. Die Artikel in der Encyclopédie sind mit "D. J." gezeichnet und stammen also von Louis de Jaucourt, dem fleißigsten Mitarbeiter dieses französischen Lexikons, überdies selber Mediziner. Die Pfeffer-Artikel der Encyclopédie sind rein wissenschaftlich: Dem Leser wird mitgeteilt, dass sich schwarzer und weißer Pfeffer insoweit unterscheide, als sich roter und weißer Wein unterscheide, dass aber der sogenannte lange Pfeffer eine ganz andere Pflanze sei. Der Leser darf dieses Wissen zur Kenntnis nehmen und damit sein abstraktes Wissen im Bereich der Botanik würzen. Anders im Universal-Lexicon, dort spielen die pflanzenkundlichen Unterscheidungen nur eine geringe Rolle. Dafür gibt es jede Menge praktische Tipps. Beispielsweise solle "der kluge Hausvater" Pfeffer nicht gemahlen kaufen, da betrügerische Händler zerriebenes Brot daruntergemischt haben könnten, und für kritische Pfeffergourmets wird der Wassertest empfohlen: In warmem Wasser schwimmen die guten Körner oben. Über eine Mischung aus schwarzem Pfeffer, Ingwer, Nelken, Koriander, Muskat und Anis heißt es: "Diese Specereyen werden nur zum Essen gebrauchet; doch könnte man sie auch wohl, als eine Artzney nehmen. z. E. die Blehungen zu vertreiben, das Haupt zu stärcken, den Schleim und andere Feuchtigkeiten zu zertheilen, und Niesen zu verursachen". Zum langen Pfeffer lesen wir: "Er eröffnet, zertheilet die Winde, und erwecket Lust zum Beischlafe." Die Informationen purzeln durcheinander, es wird aus Werken über amerikanische Pflanzen zitiert, die Zubereitung des Pfeffers in Indien erwähnt, die Theorien über Ähnlichkeit oder Unterschied der Pfeffersorten wiedergegeben, und immer wieder auf ganz praktische Dinge geachtet: "Cholerischen und eifrigen Leuten ist er schädlich; und den Frauen, so gerne wollen fruchtbar werden, dienet vieler Pfeffer auch nicht: denn wenn er offte genommen und gebrauchet wird, verzehret er den Geburtssaamen, entzündet das Geblüte, und verhindert die Empfängnis." Gewährsmann für diese These ist hier Claudius Deodatus aus dem Jahr 1628. Für andere Rezepte, beispielsweise eine Mischung aus Branntwein und Pfeffer gegen Zahnweh oder eine Mischung von Eiweiß und Pfeffer gegen Kopfschmerzen, werden auch anonyme Gewährsleute angeführt ("ein gewisser Patiente"). Bauern und Gutsherren lernen aus dem Universal-Lexicon, dass Pfeffer gegen Würmer hilft, aber auch Schweine tötet, wenn man ihnen das Pulver auf die Zunge gibt. Nach spaltenlangen Pfefferanwendungsrezepten endet der Artikel mit einer kurzen Etymologie und einer Schilderung des Pfefferanbaus in Indien. Die Macht zu fragen Vielleicht zeigt nichts deutlicher als die Tatsache, dass im Universal-Lexicon ganz häufig verschiedene Einträge mit demselben Lemma beginnen, dass es sich hier um ein modernes Werk handelt. Zedlers Redakteure gehen von der Sprache aus und behandeln jedes einzelne Wort als Sinneinheit, also auch gleichlautende Wörter als unterschiedliche Sinneinheiten. "Ablösen, Einlösen [...] heißt in denen Rechten, wenn ich durch Bezahlung der Schuld ein zur Sicherheit dem Gläubiger gegebenes Pfand freimache. Ablösen heißt bei den Barbieren, wenn sie einem Menschen ein erstorbenes oder schadhaftes Glied abnehmen oder absondern. Ablösen heißt bei denen Handwerksleuten, wenn ein Arbeiter mit dem andern, der sich bereits müde gearbeitet hat, abgewechselt wird, damit die Arbeit desto hurtiger fortgesetzt werde. Ablösen heißt bei denen Jägern, wenn sie etwas von einem wilden Tiere abschneiden. Ablösen, Relever, wird bei der Miliz von denen Wachten gesagt, wann einer abgehet von der Post und ein ander an dessen Stelle hintritt." Das Verfahren ist aus den geografischen und biografischen, ja ganz allgemein den historischen Lexika entlehnt, wo es häufig Namensgleichheit von Personen, Orten und Gegenden gibt, die nichts miteinander gemein haben. Wenn nun im Universal-Lexicon die Sprache selbst als ein historisches Ding behandelt wird, gehorcht das einer ähnlichen pragmatischen Logik. Eben mit dieser Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Weisen des Wissens aber ist dieses Wörterbuch tatsächlich einzigartig. Indem es mehrere Verwendungsweisen nebeneinanderstellt, zeigt es an, dass Sprache ein Aussagezusammenhang ist, eine Konvention von Benennungen und eingeübten Wendungen. Man geht davon aus, dass die Mehrdeutigkeit der Sprache einen unbewältigbaren Reichtum darstellt, den man nur beschreiben, nicht aber reglementieren kann. Die gewiss akademisch gebildeten Autoren zielen auf ein nicht studiertes Publikum, adressieren eine Leserschaft auch jenseits der Gruppe der aktiv Lesekundigen. Der Artikel über 'Aequivocation' sagt es kurz und deutlich: Die Eigenschaft der Sprache, nicht als strenges Benennungssystem zu taugen, kann sogar zur absichtlichen Verunklarung eingesetzt werden: "Die Jesuiten verteidigen die Aequivocationes und geben dieselbe vor eine Klugheit aus. Nur andere halten dafür, dass die Zusage mich in einem solchen Verstande binde, als ich geglaubt, dass in solchem der andere, zu dem ich geredet, denselben gehabt hätte. Doch wer nicht Macht zu fragen, dem bin ich nicht schuldig, öffentlich zu antworten." Die doppelte Zunge kann also ein jesuitischer Trick sein oder eine hermeneutische Grunderfahrung. Sehr deutlich wird im Universal-Lexicon anerkannt, dass Sprache zum Lügen und Betrügen benutzt werden kann. Der Lexikoneintrag fügt aber ganz am Schluss hinzu: Wer nicht fragt, bleibt der Betrogene, dem wird öffentlich nicht geantwortet. Dieses Lexikon diktiert keine Wahrheit, es definiert keine Lehre, es unterscheidet nicht den eigentlichen vom uneigentlichen Gebrauch, es erzieht nicht - oder wenigstens doch nur selten - zur angemessenen Ausdrucksweise, vielmehr beobachtet und protokolliert es Sprachverwendung im zeitgenössischen Zusammenhang. Es ist ganz und gar der Frage verpflichtet "Was heißt das genau?", und bezieht diese Frage immer wieder neu auf einzelne Wörter. Dieses Lexikon exerziert die 'Macht zu fragen' und privilegiert ganz selbstverständlich die Perspektive der zeitgenössischen Sprecher, denen alles, was in Wissenschaft und Ökonomie, in Politik und Geschichte, in Religion und Jurisprudenz, in Medizin und Literatur an Begriffen und Wendungen eingeführt, etabliert und gewissermaßen festgeschrieben ist, überhaupt erst vermittelt werden muss. In dieser Beziehung ist Zedlers Universal-Lexicon von der Anlage her der 'Wikipedia' verwandt: Es geht hier wie da um die Vermittlung von Wissen aus potenziell unendlich vielen Bereichen, um die Beschreibung von Begriffsverwendungen und Terminologien, nicht um Lehre, System oder Wahrheit. Es ist diese erstaunliche Zurückhaltung der Autoren, der Redakteure und Kompilatoren, die sowohl in dem Universal-Lexicon wie in der 'Wikipedia' eher anonym sein wollen, als sich eine traditionelle Autorenidentität zuzulegen, die für diese Besonderheit bürgt. Zedler hatte gewissermaßen das Pech, nur eine Auflage produziert zu haben, während die 'Wikipedia' sich täglich erneuert und überarbeitet wird. Aber für die kurze Zeit seiner Prominenz war das Universal-Lexicon so aktuell, wie es keine Terminologie und kein System je sein konnten und wie es heute nur die 'Wikipedia' ist. Denn im strengen Sinne betrifft die Aktualität im Wissen eben das, was im Sprechen der Menschen vorkommt.
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