Heft 22: AKADEMIE - TRADITION MIT ZUKUNFT?

Einführung und Dokumentation
 

"Die Ordnung der menschlichen Dinge schritt so vorwärts:
zunächst gab es die Wälder, dann die Hütten, darauf die Dörfer,
später die Städte und schließlich die Akademien."
Giambattista Vico

Die Akademie als Ort und als Hort des Wissens kann auf eine beeindruckend alte Tradition verweisen: Betrachten wir die lange Geschichte, so begann sie vor etwa 2400 Jahren mit Platon, betrachten wir die längere Geschichte (die bekanntlich kürzer ist als die lange), so begann sie vor 300 Jahren mit Leibniz. Diese eine von den vielen längeren Geschichten, die man von einer die Zeiten überdauernden Wissenschaftseinrichtung erzählen könnte, wird im vorliegenden Heft näher in den Blick genommen. Wie bereits der Gründungsakt der Brandenburgischen Societät der Wissenschaften von einem Universalgelehrten eingeleitet wurde, war auch der weitere Weg dieser Akademie durch herausragende Wissenschaftler geprägt, wie etwa durch Maupertuis und Schleiermacher, vor allem aber durch die Humboldt-Brüder. Doch bereits Janus, jene alte italische Türschwellen-Gottheit des Eingangs und des Übergangs, des Anfangs und des Endes, der wir die Namensgebung des Januars etymologisch verdanken, sah nicht nur nach rückwärts und in die Vergangenheit, sondern auch nach vorn und in die Zukunft. Und wenn wir (zugestanden etwas offensiv verallgemeinernd) die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften als repräsentativ nehmen für all die Wissenschaftsakademien, die auch Arbeitsakademien sind, also selbst Forschung betreiben, stellt sich natürlich die Frage nach der aktuellen Rolle einer Wissenschaftsakademie im gesellschaftlichen Kontext, in Konkurrenz oder in Allianz mit anderen öffentlichen und privaten Wissenschaftsinstitutionen - von der Universität bis zu den Think Tanks. Oder anders gefragt: Sind Akademien ein Auslaufmodell oder ein Projekt für die Zukunft? "Man klagt über wissenschaftliche Akademien, daß sie nicht frisch genug ins Leben eingreifen; das liegt aber nicht an ihnen, sondern an der Art, die Wissenschaften zu behandeln, überhaupt." Diese Äußerung Goethes bringt den alten Vorwurf auf den prägnanten Begriff (oder vielmehr: setzt ihn ins anschauliche Bild), wie er gegenüber der Wissenschaft im Allgemeinen und den Akademien im Besonderen immer wieder erhoben wurde, dass sie sich zu sehr vom "Leben", also der gesellschaftlichen Wirklichkeit entfernt hätten. Nun hat sich gerade, was die Vermittlung und Öffentlichkeit von Wissenschaften und deren Ergebnissen angeht, seit Goethe sehr viel getan - und nicht nur in den Akademien (vgl. GEGENWORTE, Heft 19: Wissen schafft Publikum). Vor allem neue Techniken und Medien bieten Möglichkeiten der Bildung und Vermittlung von Wissen, die auch den Entwurf einer 'virtuellen Akademie' einschließen. Ebenso sind Politikberatung und Gesellschaftsberatung, die ins "Leben eingreifen", nicht erst seit Gründung der Nationalen Akademie der Wissenschaften und der Gründung der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (beide im Jahre 2008) als eine Kernaufgabe angenommen worden (vgl. gegenworte, Heft 18: Rat und Tat). Heute schmücken sich zunehmend absonderliche Einrichtungen mit dem Prädikat 'Akademie' - man kann es niemandem verwehren, etwa eine 'Akademie für artgerechte Kleintierernährung' zu gründen -, und eine Vielzahl von privaten Firmen bieten ihre angeblich wissenschaftlich fundierten praktischen Dienste der Politik und uns allen an. In dieser Lage gewinnen erprobte Standards und Qualität von Wissenschaft zunehmend an Bedeutung, und es gilt zu wissen, wer wissenschaftlich kompetenten Rat erteilen kann. Eben hier liegen die Fähigkeiten der Akademien (freilich neben anderen Wissenschaftsinstitutionen), denn sie können sich dabei auf ihre Wissenschaftstradition stützen, der sie ja schließlich nicht zuletzt ihre Reputation verdanken. Eine richtig verstandene Tradition verharrt eben nicht in der Vergangenheit, sondern bildet ein Fundament für die Zukunft. Und diese hat es verdient, mithilfe einer Wissenschaft gestaltet zu werden, die sich jenseits aller Modeströmungen bewährt. Heutzutage sind wissenschaftlich-technische Eingriffe "ins Leben" fast schon alltäglich - mit einer Tragweite, die sich Goethe nicht hätte träumen lassen. Deshalb sollte, wer ins Leben eingreift, ernsthaft versuchen zu wissen, was er tut.