Heft 29: Skandale und kein Ende? Einführung und Dokumentation Wissenschaft baut auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Skandale sollten hier also nichts zu suchen haben – aber Wissenschaftler forschen nicht nur um der Wahrheit willen; es geht nicht immer nur um die lautere »reine Erkenntnis«, um »nichts als die Wahrheit«. Gier nach Ruhm, Geltungssucht, Gewinn- und Machtstreben oder auch die bloße Angst vorm Scheitern motivieren mitunter mehr als das Erkenntnisinteresse per se. Stellt sich beim Forschen nicht oder nicht rasch genug der erhoffte Erfolg ein, so hilft mancher mit unlauteren Mitteln mehr oder minder stark nach: Das Fälschen oder ›Schönen‹ von Da- ten, das Plagiieren und die Aneignung der Forschungsarbeit oder der Ideen anderer sind nicht erst ein Problem der Internet-Epoche. Die Geschichte legt ein beredtes Zeugnis ab von Fälschung und Betrug in den Wissenschaften (siehe hierzu Gegenworte 2/1998). Im digitalen Zeitalter indes erfährt Forschung eine folgenreiche globale Transparenz – so durchleuchten anonyme digitale Empörungsschwärme wissenschaftliches (Qualifikations)- Schrifttum vor allem von Personen des öffentlichen Lebens mit akribischer Sorgfalt und zerren gar sogenannte ›Eigenplagiate‹ vors Netztribunal. Wissenschaft und Forschung stehen unter wachsendem Legitimationsdruck gegenüber Öffentlichkeit und Politik. Im Kampf um das ›knappe Gut‹ Aufmerksamkeit und um Forschungsgelder bedienen sich Wissenschaftsinstitutionen und einzelne Wissenschaftler zunehmend der Tricks von Werbespezialisten; oder sie überlassen den Medienprofis gleich die Öffentlichkeitsarbeit und die ›Vermarktung‹ ihrer Wissenschafts- und Forschungsergebnisse. Strategien einer überzogenen ›Eventisierung‹ der Wissenschaften laufen indes Gefahr, sich der Räson dieser Medien zu stark anzupassen. Vom Event zum Skandal ist es so weit nicht: Wird die Grenze zur Skandalisierung überschritten, droht die Wissenschaft ihre Reputation zu beschädigen. Betrug und Fälschung begleiten die Wissenschaft seit ihren Anfängen. Nicht immer kam es dabei zum Skandal. Jedes Wissenschaftssystem, jedes wissenschaftliche Medium (Pergamentrolle, Buch, Internet) bringt seine eigenen Betrüger hervor, eröffnet stets neue Möglichkeiten von Lug und Trug, schafft jedoch auch adäquate Gegen- mittel: »Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch« (Hölderlin). Plagiieren fällt heutzutage leichter als je zuvor – »alles kopieren, nichts kapieren«, lautete ein studentisches Graffito –, allerdings steigt gleichzeitig das Risiko, beim Täuschen entdeckt zu werden, denn auch die Qualität der Plagiatssoftware verbessert sich zunehmend. Zu hoffen wäre, dass Entlarvungssoftware und digitale Jagdgesellschaften zur Erneuerung des wissenschaftlichen Ethos beitragen. Schließlich gehört es zur guten wissenschaftlichen Tradition, das Urheberrecht zu respektieren und die Leistungen von Autoren und Forschern anzuerkennen (um vom juristischen Aspekt nicht zu reden). Sei’s als Skandalisierung von Regelverstößen, sei’s als Strategie zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit: Hier zeigt sich auch immer ein Kampf um Normen, Macht und Einfluss, um Deutungshoheit und Interpretationsvorherrschaft. Wer bestimmt, was skandalisierungsfähig ist? Idealiter sind Skandalisierungen in der Wissenschaft höchst fehl am Platz, denn hier sollten das bessere Argument zählen, die sachliche Diskussion, Debatte und Diskurs sine ira et studio. Realiter sind allerdings auch die Wissenschaft und die Wissenschaftler Teil des gesellschaftlichen Ganzen und halten sich nicht in einem Refugium hehrer Ideale auf. So seufzt denn der Chronist: Nach dem Skandal ist vor dem Skandal ... Wolfert von Rahden | |