Heft 29 - Angela Spahr: Geister der Aufklärung. Von Magnetismus und Magie

 

Eine Wiener Affäre

Im Frühjahr 1777 erschütterte ein Skandal die Wiener Gesellschaft. Der Hofrat und Sekretär der Kaiserin, Joseph Anton Paradis, und seine Gattin sahen sich gezwungen, ihre Tochter Maria Theresia Paradis aus den Fängen und der »Klinik« des Doktors Franz Anton Mesmer zu befreien. Der hatte sich geweigert, das junge Mädchen herauszugeben, und es war zu Handgreiflichkeiten gekommen, in deren Verlauf mehrere Damen ohnmächtig zu Boden sanken und einige Herren ihre Perücken verloren. Die Konfliktparteien einigten sich schließlich, dennoch beherrschte der Vorfall wochenlang die Wiener Abendgesellschaften. Gemunkelt wurde von anstößigen Praktiken des Arztes, von gemeinschaftlichen Behandlungen, die Damen und Herren außer sich geraten ließen, und von unschicklichen Berührungen der Patienten. Der Vorfall hätte kaum eine derartige Resonanz gefunden, wären die Beteiligten nicht lokale Berühmtheiten gewesen. Das junge Mädchen aus guter Familie war die Patentochter der Kaiserin, zudem erfreute sie sich als Pianistin großer Aufmerksamkeit, obgleich sie seit ihrem dritten Lebensjahr blind war. Diese Blindheit zu heilen hatte Mesmer versprochen, das Wunder aber nicht bewirken können. Auch er war kein Unbekannter, durch die Heirat der vielleicht reichsten Witwe Wiens gelangte der Doktor der Rechte und der Medizin in die höchsten gesellschaftlichen Kreise der Stadt. In seinem Haus verkehrten und musizierten Künstler von Rang wie Leopold Mozart und sein Sohn Amadeus.

Der Skandal zwang Mesmer schließlich zum Aufbruch nach Paris. Dort wurde er, ungeachtet der Wiener Affäre, als Zelebrität begrüßt und binnen kürzester Zeit von Patienten aller Gesellschaftsschichten aufgesucht. Sein Ruhm war ihm vorausgeeilt, Berichte über spektakuläre Heilungen kursierten. Zudem war die Neugier auf die Behandlungsweisen des Doktors groß, denn »Wissenschaft« stand hoch im Kurs. Die Pariser versammelten sich bei wissenschaftlichen Vorträgen und Experimenten, die in Schulen und Museen öffentlich dargeboten wurden, und sie drängten sich in der Akademie der Wissenschaften, um die Versuche Lavoisiers zu sehen. Neueste »wissenschaftliche« Ideen verbreiteten sich rasch durch Bücher, Journale und Diskussionen in Cafés und Salons. Vorgeführt und bestaunt wurden auch alle möglichen Apparate und Erfindungen, angetrieben von so geheimnisvollen Kräften wie dem Magnetismus oder der Elektrizität.

 

Der »thierische Magnetismus«

Mesmer nannte seine neue Wissenschaft »thierischen Magnetismus«. Die Kernaussage behauptet ein »alles durchdringendes Fluidum«, welches die Materie wie ein Strom durchfließt und verbindet. So erklärt sich die Einwirkung der Planeten auf menschliche Körper, die Mesmer in seiner Dissertation behandelte, aber auch das Phänomen »Krankheit«, das er als Resultat einer Stockung des Fluidums auffasst. Der Körper kann analog zum Magneten verstanden werden: Zwischen den Polen fließt ein Strom, der Erkrankungen auslöst, wenn Hindernisse ihn aufhalten. Das »Mesmerisieren« kann den Fluss wieder in Gang bringen, entweder durch den Einsatz äußerlicher Magneten oder durch das heilende Überströmen des Fluidums vom berufenen Mediziner. Der Heilung voraus geht eine Krise, die sich in Zuckungen, Schreien oder Zusammenbrüchen äußert.

Mesmer praktizierte mit großem Erfolg in Paris und konnte bald mithilfe von Gönnern eine eigene »Klinik« eröffnen. Das Gebäude wurde sorgfältig und prächtig eingerichtet, denn auch die Umgebung spielte beim Mesmerisieren eine Rolle. Im Zentrum der großen Behandlungssäle standen die eigentlichen Attraktionen, die »Baquets«. Dabei handelte es sich um eigens von Mesmer entworfene fassähnliche Holzbottiche, die magnetisierte Eisenspäne, Sand und zerstoßenes Glas enthielten und mit ebenfalls magnetisiertem Wasser gefüllt waren. Aus den Deckeln dieser Gefäße ragten im rechten Winkel abgeknickte Eisenstäbe. Um ein Baquet nahmen mehrere Patienten Platz und richteten die Eisenstäbe auf das jeweils erkrankte Körperteil. Ein Behandlungsraum stand für die zahlreichen mittellosen Kranken zur Verfügung, was zu langen Warteschlangen geführt haben soll. Die eigentlichen Säle waren allerdings der zahlungskräftigen Klientel vorbehalten, ein Orchester sorgte dort für heilende musikalische Begleitung. Hatten die Patienten Platz genommen und einen Eisenstab auf sich gerichtet, reichten sie einander die Hände, um den Fluss des Fluidums untereinander herzustellen. Absolute Stille im Wechsel mit ausgesuchter Musik setzten die im Halbdunkel Sitzenden intensiven Stimmungen und Erregungen aus. Mesmers eigener Auftritt schließlich, seine leisen Ansprachen oder Berührungen lösten dann die erwünschten Krisen in Form von Ohnmachten oder Krämpfen aus.

Der Andrang an die Baquets war groß, ein Platz dort wurde gebucht wie eine Loge in der Oper. Der hohe Unterhaltungswert und einige aufsehenerregende Heilerfolge der Klinik sorgten für so großen Erfolg in Paris, dass sich der »Mesmerismus« schnell über ganz Frankreich ausbreitete und in vielen Städten mesmeristische Gesellschaften gegründet wurden. Trotz der Popularität seiner Sache und der monetären Gewinne lag eine unüberwindliche und schmerzliche Schwierigkeit für Mesmer darin, dass er seine Erfolge und seine Methode nicht nachvollziehbar erklären konnte. Die Theorie kam skeptischen Zeitgenossen unklar und verworren vor, zumal sich das ominöse Fluidum nicht nachweisen ließ. Den Vorwurf der Scharlatanerie konnte Mesmer nicht abschütteln. Heutige Versuche, ihn von diesem Verdacht freizusprechen, sehen in ihm einen Vorfahren der Psychologie, der mithilfe von Hypnosetechniken und analysierenden Gesprächen zu den Tiefenschichten der Psyche vordrang. Diese Rettung, die Magnete, Bottiche und Musik eher als Teil einer grandiosen Inszenierung begreift, wahrt jedoch nicht die Interessen des Geretteten. Denn für Mesmer waren die Apparaturen wesentlicher Bestandteil seiner Methode und der Ausweis für die Naturwissenschaftlichkeit seines Unternehmens. Der »thierische Magnetismus« musste ein naturwissenschaftliches Unterfangen sein, um sich vom Handwerk der zahllosen Geistheiler oder Exorzisten abzuheben, wie beispielsweise dem berühmten Pater Johann Gassner, der im Süden Deutschlands Teufel austrieb und Kranke heilte. Mesmers unbedingter Wille zur Wissenschaft – aus heutiger Sicht ein deutlicher Hinweis auf seine Redlichkeit – führte zu zahlreichen Gesuchen bei der Académie Française mit der Aufforderung, seine medizinische Praxis und seine Heilerfolge zu begutachten. Doch der wissenschaftliche Erfolg blieb ihm verwehrt, nicht nur die französische Ärzteschaft reagierte neidisch und ablehnend auf den Konkurrenten, auch die Akademie erkannte den »thierischen Magnetismus« nicht als wissenschaftliche Methode an. Mesmers Kontakte in die höchsten Kreise bewirkten 1784 die Einsetzung einer königlichen Kommission, die von niemand Geringerem als Benjamin Franklin geleitet wurde und der namhafte Wissenschaftler der Akademie wie Lavoisier und Bailly angehörten. Sie kam zu einem negativen Ergebnis. Nach theoretischen Prüfungen und praktischen Experimenten lautete das Urteil, dass das Fluidum nicht nachweisbar sei, der Magnetismus nichts bewirke und beobachtete Wirkungen auf Einbildungen der Patienten beruhten.

 

Der Großkophta

Zur selben Zeit am selben Ort kam es zu einem aufsehenerregenden Skandal, der den berühmtesten Scharlatan des 18. Jahrhunderts zu Fall brachte. Giuseppe Balsamo alias »Graf Cagliostro« wurde zwar erst 1791 in Rom durch die Inquisition verurteilt, den zweifelhaften Ruhm, der die Behörden auf seine Spur brachte, verdankte er aber der Pariser Halsband-Affäre von 1785. In der aus heutiger Sicht eher opernhaft anmutenden Affäre wollten Zeitgenossen wie Goethe und Mirabeau das Heraufdämmern der Französischen Revolution erkannt haben, denn sie warf ein Licht auf die mangelnde Moral und Verschwendungssucht des Hofes. In ihrem Zentrum stand der Kardinal Rohan, in dessen nahem Umfeld sich sowohl Cagliostro bewegte als auch eine Betrügerin, die sich »Gräfin Jeanne de la Motte« nannte. Die falsche Gräfin gab sich als Vertraute Marie Antoinettes aus und überredete den Kardinal, der Königin ein wertvolles Geschenk zu machen. Sie arrangierte ein obskures nächtliches Zusammentreffen mit »Marie Antoinette« – einem schauspielerisch offenbar überzeugenden Double –, um dem Kirchenmann die mögliche Gunst der (völlig ahnungslosen) Königin vorzugaukeln. Ein Diamantenkollier der Hofjuweliere Boehme und Bassange im Wert von nahezu 1 600 000 Livres wurde angezahlt und verschwand anschließend spurlos. Als die Angelegenheit aufflog, beschuldigte die de la Motte den unbeteiligten Cagliostro. Der wurde zunächst arretiert und, als sich seine Unschuld herausstellte, aus dem Land gewiesen. Cagliostro verließ die Bastille als berühmter Mann, denn es waren zahlreiche Pamphlete zu seiner Rechtfertigung erschienen. Zudem hatten Zeitungen in ganz Europa ihre Auflage mit ausführlichen Berichten über die skandalösen Pariser Vorgänge gesteigert.

Die Anklage in der Halsband-Affäre entbehrte nicht jeder Logik, hatte doch der Umgang mit Edelsteinen zu Cagliostros Spezialitäten gehört, als er in seinen wenig ruhmvollen Anfängen unter wechselnden Namen durch Europa zog, jede Stadt rasch hinter sich lassend, wenn Verdacht aufkeimte. In seinem Gepäck befanden sich diverse Wässerchen und Pulver, Arzneimittel von der Tinktur gegen Zahnweh bis hin zum lebensverlängernden Elexier. Zudem gab er Kenntnisse der Alchemie vor, für die magische Prozedur einer Diamantenvermehrung zum Beispiel mussten erst einmal reale Diamanten speziell behandelt und an geheimnisvollen Orten vergraben werden, um dann verdoppelt aufzutauchen – oder eben nicht. Das Repertoire unterschied sich nicht wesentlich von dem anderer ambulanter Scharlatane, nur Cagliostros wohl beeindruckende Persönlichkeit garantierte ihm ein ausreichendes Einkommen.

Cagliostros Wirken lässt sich heute schwer nachvollziehen, weil eine Vielzahl überlieferter Legenden kaum mehr nachzuprüfen sind. Der Durchbruch zu größeren Erfolgen gelang ihm vermutlich, als er den Anschluss an eine Bewegung erreichte, die sich in den höchsten Gesellschaftskreisen großer Beliebtheit erfreute. In London 1777 wird er in eine Loge aufgenommen und beginnt mit vielfältigen freimaurerischen Aktivitäten. Zu dieser Zeit war die Freimaurerei unter Adligen und Großbürgern in Mode, bot also – Künstler, Intellektuelle und tatsächliche Maurer ausgenommen – ein überwiegend zahlungskräftiges Klientel. Freimaurerlogen kombinierten auf erstaunliche Weise neue, fortschrittlichste Gedanken mit der alten Tradition der Arkanwissenschaft. Unter den freimaurerischen Losungsworten fanden sich auch »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«, und die Bruderschaft in der Loge setzte die Standesschranken außer Kraft. Andererseits reklamierte man ein »geheimes Wissen«, das in einer hierarchischen Ordnung weitergegeben und durch »Prüfungen« erworben werden musste. Damit setzte die Bewegung die Geschichte arkaner Wissenschaften wie der Alchemie und Astrologie fort. Für die Popularität und Verbreitung der Logen waren, so darf vermutet werden, auch die bizarren Rituale verantwortlich, die dem Ganzen einen fantastischen Rahmen gaben. Einen guten Eindruck vermittelt heute noch Mozarts »Zauberflöte«, deren Figur des »Sarastro« Cagliostro nachempfunden sein soll.

Dem Zeitgeist folgend verlagerte sich der Schwerpunkt der Freimaurerei gegen Mitte des 18. Jahrhunderts zugunsten des Okkulten: Während ursprünglich die aufklärerischen Ideen überwogen, öffnete sich die Bewegung immer mehr esoterischen Inhalten. So existierte um 1780 eine verwirrende Menge geheimer Bünde mit unterschiedlichsten Zwecken, die von der sittlich-moralischen Bildung ihrer Mitglieder bis zu Versuchen der alchemistischen Herstellung von Gold und Lebenselexieren reichte. Der Magier Cagliostro passte gut in diese Entwicklung und konnte deshalb erfolgreich eine eigene Loge kreieren. Eine wichtige Zutat war seine geheimnisvolle, umsichtig gesponnene Lebensgeschichte, denn vorgeblich waren seine Eltern der vormalige Großmeister des Malteserordens und eine arabische Prinzessin. Diese Herkunft begründete gleichsam sein orientalisches Geheimwissen, denn auf Reisen durch die arabische Welt wollte er in seiner Jugend in zahlreiche Kulte eingeweiht worden sein. Cagliostro gründet seine Loge nach »ägyptischem Ritus« und nutzte dabei die Neugier auf alles Orientalische ebenso wie die Ahnungslosigkeit der allermeisten Europäer. Als oberster Meister trug er den fantasievollen Titel des »Großkophta« und erfand einen speziellen Ritus, indem er Teile der biblischen Mystik mit den Mythen um Isis und Osiris kombinierte, großzügige eklektizistische Anleihen bei allen möglichen esoterischen Richtungen vornahm und das Ganze mit den erprobten Zutaten von Rauschmitteln und Hypnose verband. In der »ägyptischen Loge« wurden Kuren zum Erhalt der ewigen Jugend durchgeführt, in Séancen Kontakte zum Totenreich hergestellt, hypnotisierte Medien über die Zukunft befragt. Cagliostro verstand es, die Zeitgenossen von seinem reichen Wissen zu überzeugen, das ihn auch zur Verwendung dienstbarer Geister befähigte, die ihm vom Totenreich herüberkommend zur Hand gingen.

 

Der Geisterseher

Im vorrevolutionären Paris wurden Mesmer und Cagliostro geradezu verehrt, von beiden Männern wurden Porträts und Büsten in großen Mengen verkauft. Die Faszination der Zeitgenossen lässt sich heute schwer verstehen, sind wir doch gewohnt, diese Epoche eher mit Namen wie Rousseau, Kant oder sogar Robespierre zu verbinden. Auch das Urteil eines zeitgenössischen Spötters, Cagliostro habe zu Recht Narren als Narren behandelt, hilft nicht weiter. Eher gibt Friedrich Schillers unvollendete Erzählung Der Geisterseher Aufschluss, schon weil sie – heute fast vergessen – sein zu Lebzeiten erfolgreichster Text war. Die Erzählung erschien in Fortsetzungen zwischen 1787 und 1789 in der Zeitschrift Thalia und erreichte drei Buchausgaben. Schiller lässt seinen adligen Helden in eine Krise laufen, aus der er ihn wohl nicht mehr befreien konnte, denn er beendete die Geschichte trotz ihrer Popularität nicht. Der Prinz war in Venedig in freimaurerische Kreise geraten, und dieser Umgang hatte seine Grundsätze und seinen Glauben untergraben und ihn in Verwirrung gestürzt. Der zuvor eher harmlos unschuldige Prinz beginnt einen ausschweifenden Lebenswandel, macht Schulden, und die Leser ahnten, dass er so zur leichten Beute für eine Cagliostro ähnliche Figur werden könnte. Die okkulte Szenerie konstruiert der Autor raffiniert, der spannenden und unheimlichen Schilderung einer Geisterbeschwörung folgt die Entlarvung des Betrügers. Schiller lässt dazu jedoch einen scheinbar ›echten‹ Magier auftreten, der den Schwindel aufdeckt. Ob dieser Mann tatsächlich über außergewöhnliche Kräfte verfügt oder ob es sich um einen noch geschickter agierenden Betrüger handelt, bleibt offen.

In vergleichbarer Lage befanden sich vermutlich die Zeitgenossen Schillers. Die Aufklärung hatte das Vertrauen in die Kirche erschüttert und das gesamte Weltbild infrage gestellt. Nun sollten überlieferte Ideen und Werte durch Produkte und Resultate der Vernunft, der »Wissenschaft« ersetzt werden. Zunächst aber schuf die Aufklärung ein Vakuum, denn was war Wissenschaft und was Humbug? Die Unterscheidung fiel schwer, da viele sich berufen fühlten zu schreiben, zu forschen, zu erfinden, und dabei kam alles mögliche Brauchbare, aber auch alles mögliche Unbrauchbare heraus. Sowohl Mesmer als auch Cagliostro legten großen Wert auf die »Wissenschaftlichkeit« ihres Tuns. Wie Schillers Figuren fehlten den Zeitgenossen die Kriterien, die Spreu vom Weizen zu trennen – zumal mit Magnetismus und Elektrizität zwei Phänomene in aller Munde waren, die sich dem mechanistischen Weltbild entzogen und scheinbar auf eine eher mystische Weltdeutung hinwiesen. Auch der Mensch selbst schien vielen doch keine Maschine zu sein – kein »Bratenwender«, wie sich Lichtenberg ausdrückte – und verlangte nach anderen Erklärungen. So konnten die obskursten »Theorien« wie die Physiognomik des Schweizer Pfarrers Johann Caspar Lavater zu einer ernsthaft diskutierten Angelegenheit werden. Goethe charakterisierte seinen Freund Lavater als erstaunliche Einheit von »höchstem Menschenverstand« und »krassestem Aberglauben«.1 Und nicht nur Schiller, auch Goethe, Kant, Wieland, Mendelssohn, viele nachdenkliche Zeitgenossen widmeten sich wissenschaftlich skurrilen Phänomenen wie dem Geistersehen. Halb Europa las Emanuel Swedenborg, allerdings weniger seine naturwissenschaftlichen Studien, die der Gelehrte – der in Uppsala, London und Paris studierte – veröffentlicht hatte, sondern die späteren esoterischen Schriften. Infolge eines Erweckungserlebnisses schrieb Swedenborg nach dem Diktat engelhafter Wesen für eine »neue Religion«. Seine Theorie über gute und böse Geister wurde breit rezipiert und diskutiert. Selbst Kant meinte, sich durch die von ihm als »Unsinn« bezeichneten Bände arbeiten zu müssen. Und er verfasste einen kritischen Kommentar, statt die »Sprache der Engel« einfach zu ignorieren. Vermutlich treffen Christoph Martin Wielands Worte diese widersprüchliche Epoche:

»Wir sind bei der allgemeinen Aufklärung unserer Zeit ›zu viel‹ Philosophen, um Geistererscheinungen ›zu glauben‹ und wir sind mit all unserer Aufklärung nicht Philosophen genug, um sie ›nicht zu glauben‹.«2

 

Literatur

R. Darnton: Der Mesmerismus und das Ende der Aufklärung in Frankreich. München/Wien 1983

Th. Freller: Cagliostro. Die dunkle Seite der Aufklärung. Erfurt 2001

J. Kalka: Phantome der Aufklärung. Von Geistern, Schwindlern und dem Perpetuum Mobile. Berlin 2006

K. H. Kiefer:»Die famose Hexen-Epoche«. Sichtbares und Unsichtbares in der Aufklärung. München 2004 Fr. Schiller: Der Geisterseher […] (1787–1789). Frankfurt am Main 1978

G. Wolters (Hg.): Franz Anton Mesmer und der Mesmerismus. Wissenschaft, Scharlatanerie, Poesie. Konstanz 1988

 

1 Johann Wolfgang Goethe an Charlotte von Stein am 6. 4. 1782

2 Christoph Martin Wieland: »Betrachtung über den Standpunkt, worinn wir uns in Absicht auf Erzählungen und Nachrichten von Geistererscheinungen befinden«, in: Teutscher Merkur, H. 1 (1781), S. 226–239, hier S. 238 (zitiert nach Kiefer 2004)