Heft 4 - Ulrich: Kopf einziehen! Warum tun sich deutsche Wissenschaftler mit den Vorwürfen der Tierschützer so schwer? Für amerikanische Forscher sind die Zustände in Deutschland mitunter unfaßbar. Da traut sich ein Hirnforscher nur noch unter Polizeischutz auf die Straße, weil er die Arbeitsweise des Gehirns an Affen erforscht. Andere Wissenschaftler werden öffentlich als Tierquäler denunziert; aufPlakatwänden, in Zeitungsanzeigen und an Straßenständen werden ihre Telefonnummern preisgegeben, und militante Tierschützer rufen unverhohlen zu Telefon- und anderem Terror auf. Den Forschern selbst fällt unterdessen meist nichts Besseres ein, als den Kopf einzuziehen, sich in der Wagenburg der Fachkollegen zu verschanzen und zu hoffen, der Volkszorn möge an ihnen vorüberziehen und einen anderen treffen.
Wer die Arbeitsbedingungen anderswo gewohnt ist, kann sich über eine solche Atmosphäre nur wundern. Nikos Logothetis etwa, der nach langjähriger Tätigkeit in Boston nach Tübingen wechselte, um einer der Direktoren des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik zu werden, war über die Verhältnisse in Deutschland geradezu schockiert. Nicht daß es in den USA keine Tierschützer gäbe. Doch anders als hierzulande beeinträchtigt die Auseinandersetzung mit ihnen keineswegs den laufenden Forschungsbetrieb. Und wer dort in der Hirnforschung reüssiert, dem ist - Primatenversuche hin oder her allemal gesellschaftliche Anerkennung sicher. In Deutschland dagegen muß sich selbst ein weithin anerkannter Forscher wie Wolf Singer darauf gefaßt machen, bei öffentlichen Ehrungen ausgebuht zu werden. Was läuft hier eigentlich schief? Warum hängt deutschen Wissenschaftlern so schnell der Ruch des Unmenschen an und warum fällt es ihnen so schwer, wirksam gegen die öffentliche Stimmungsmache anzugehen? Man mag versucht sein, die angespannten Verhältnisse in Deutschland mit einer spezifisch deutschen Gemütslage zu erklären: Einer Art moralischem Gutmenschentum, das die Kompensation des tiefsitzenden, kollektiv-deutschen schlechten Gewissens darstellt und das dazu führt, daß der Kampf gegen Atomkraft, Gentechnik und Tierversuche mit fast religiösem Eifer geführt wird. Das kann soweit gehen, daß der Tierschützer, der keiner Fliege etwas zuleide tut, sich unverhüllt zur Mordlust gegenüber dem Forscher bekennt - und sich dabei moralisch noch im Recht fühlt. Mit solchen Zeitgenossen ist in der Tat schwer zu diskutieren. Doch ist dieser militante Moralismus bei weitem nicht die Regel, sondern allenfalls die auffällige Ausnahme. Das Gros der Bevölkerung denkt sehr viel verständiger, als manche Wissenschaftler mit ihren Klagen über die angebliche 'Technikfeindlichkeit' immer wieder insinuieren. Erst kürzlich zeigte eine Umfrage des AllensbachInstitutes, daß die Deutschen der Wissenschaft allgemein sehr positiv gegenüberstehen. Professoren genießen hohes Ansehen, gelten als ehrlich und vertrauenswürdig, und die Freiheit der Forschung wird als durchaus schützenswertes Gut erkannt, auch wenn dies nicht notgedrungen heißt, daß die Befragten auch über großes wissenschaftliches Verständnis verfügen. Mit diesem deutschen Durchschnittsbürger und der -bürgerin, so legt die AllensbachUmfrage nahe, ließe sich sehr wohl diskutieren - wenn man es denn versuchte. Doch Persönlichkeiten wie Wolf Singer, die sich öffentlich der Auseinandersetzung stellen, sind rar. Die meisten Wissenschaftler verstecken sich lieber hinter ihren Fachgesellschaften oder den Wissenschaftsorganisationen, die immer mal wieder die mangelnde Forschungsfreiheit beklagen und sich vor allem dann protestierend zum Thema zu Wort melden, wenn Politiker neue Regelungen in Sachen Tierschutz erwägen. Daß die Wissenschaftler auf diese Weise meist gegen etwas reagieren, anstatt für eigene zukunftsweisende Ideen zu werben, drängt sie in die wenig strahlende Rolle des ewigen Nörglers und Miesepeters. Ähnlich ist es in konkreten Streitfällen, wenn irgendwo ein neues Tierversuchslabor eingerichtet oder ein Experiment genehmigt werden soll: Kaum je sucht ein beteiligter Forscher von sich aus die offensive Diskussion. Solcherart 'Meinungsmache' überläßt man meist den Tierschutzverbänden, die dies auch weidlich ausnutzen. Bricht dann die öffentliche Empörung los, stecken die gescholtenen Wissenschaftler zunächst den Kopf in den Sand und hoffen, der Sturm möge vorüberziehen. Einer Auseinandersetzung stellen sie sich im allgemeinen erst, wenn das Klima bereits so aufgeheizt ist, daß eine Konfrontation unvermeidbar wird. Daß dies die denkbar schlechteste Ausgangsposition für eine emotional aufgeladene Debatte ist, versteht sich von selbst. Statt im Vorfeld Vertrauen zu erzeugen, reagiert man unter Druck und rechtfertigt sich aus der Defensive - besondere Sympathien lassen sich so kaum gewinnen. Warum stecken viele deutsche Wissenschaftler in dieser Klemme? Zwei Erklärungen bieten sich an: Entweder scheuen sie die offensive Debatte, weil sie sich ihrer Sache selbst nicht ganz sicher sind oder weil sie ihren Standpunkt für derart richtig und selbstverständlich halten, daß es ihnen würdelos erscheint, ihn öffentlich zu rechtfertigen. Unsicherheit oder Überheblichkeit - zwei Faktoren, die sich durchaus auf unglückliche Weise gegenseitig verstärken können. Für beide Haltungen gibt es gute Gründe. Zum einen: Auch Wissenschaftler sind nur Menschen. Und so manchen mag wohl zuweilen in seinem Labor die Sentimentalität ankommen, wenn ein Versuchstier vom Leben zum Tod befördert wird. Vielleicht regt sich da klammheimlich ein gewisser Skrupel, der freilich nicht eingestanden werden darf und um so selbstsicherer überspielt wird. Zum anderen: Die Forscher fühlen sich meist sowohl moralisch als auch juristisch im Recht. Schließlich arbeitet man ja zum Wohle der Menschheit. Daß sich etwaige praktische Auswirkungen möglicherweise erst in Jahrzehnten zeigen und Forschungsergebnisse durchaus auch beängstigende Nebenwirkungen haben können, wird dabei gerne verdrängt. Der Widerstand der (doch eigentlich zu beglückenden) Laien wird in diesem Weltbild zwar als ärgerliche und unverständliche Störung registriert - aber ansonsten nicht weiter ernst genommen. Zudem hat die Wissenschaft im Streit um Tierversuche in den meisten Fällen auch das Recht auf ihrer Seite. Die grundgesetzlich verbriefte Freiheit von Forschung und Lehre wiegt allemal schwerer als der Tierschutz und bei gerichtlichen Auseinandersetzungen ziehen Tierversuchsgegner fast stets den Kürzeren. Wozu also sein gutes Recht noch öffentlich rechtfertigen? So verständlich solche Überlegungen im individuellen Falle auch sein mögen, so fatal ist doch ihre gesellschaftliche Wirkung. Man muß nicht erst das Argument bemühen, daß die Laien als Steuerzahler letzten Endes die Forschung finanzieren und von daher ein Anrecht darauf haben, daß Wissenschaftler ihre Arbeit darstellen, erklären und rechtfertigen. Schwerer wiegt die Einsicht, daß Wissenschaft nur auf einem positiven gesellschaftlichen Nährboden gedeihen kann und auf die Akzeptanz einer Mehrheit der Bürger angewiesen ist. Wer aus Unsicherheit oder Selbstüberschätzung meint, sich in den Elfenbeinturm zurückziehen und auch gegen den Willen der Bürger arbeiten zu können, wird möglicherweise am Ende schmerzhaft eines Besseren belehrt, wie die Erfahrungen aus der Atom- und der Gentechnik-Debatte lehren. Da sitzen die einstigen Kernenergie-Gegner plötzlich in der Regierung und verhandeln über Restlaufzeiten. Da wird gegen gentechnisch veränderte Pflanzen in Europa unversehens ein de-factoMoratorium verhängt und große Lebensmittelkonzerne proben den Rückzug aus dem Gen-Food-Markt. Was den Tierschutz angeht, ist es (noch) nicht so weit. Die von vielen Neurologen, Biologen und Medizinern befürchtete Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz wird wohl so schnell nicht kommen - dennoch zeigen Fälle wie der des Hirnforschers und Singer-Schülers Andreas Kreiter in Bremen, wie sehr der Widerstand von Tierschützern jetzt schon die Forschung behindern kann. Und es sieht nicht so aus, als ob sich der Trend abschwächt, Tiere mehr und mehr als schützenswerte Mitgeschöpfe zu betrachten. Wie kann die Wissenschaft der gefühlsmäßigen Abneigung vieler Menschen gegenüber Tierexperimenten begegnen? Sprachlosigkeit und Vogel-Strauß-Politik werden das Problem auf Dauer nicht lösen. Sicher, das öffentliche Argumentieren für Tierversuche ist nervenzehrend und bringt wenig Popularität. Außerdem ist das Thema heikel und verlangt nach detaillierter Betrachtung jedes Einzelfalles. Ob ein Tier im Dienste der Wissenschaft gequält oder getötet werden soll, darf und muß immer wieder hinterfragt werden. Auch die Forscher müssen sich auf diese Abwägung immer wieder von neuem einlassen, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren wollen. Zugegeben, gemütlich ist das nicht. Aber wie wäre es denn, wenn der Protest von Tierschützern in diesem Lichte nicht nur als ärgerlicher Störfaktor gesehen würde, sondern als Gelegenheit, die eigenen moralischen Maßstäbe einmal wieder zu überprüfen und zu schärfen? Vielleicht ließen sie sich dann auch dem Publikum besser vermitteln. | |