Heft 5: EDITORIAL von Dieter Simon Ende 1999 wurden die Wissenschaft und ihre Diener besonders häufig gefragt, was das neue Jahrhundert bringen werde. Gerard Toulouse, Physiker und Kognitionswissenschaftler an der Pariser Ecole Normale Superieure erklärte das 21. Jahrhundert kurzerhand zum 'Jahrhundert der Evaluation'. Er meinte das positiv, obwohl seine Bemerkung, der Evaluationsboom sei auf den Umstand zurückzuführen, dass ethische und ökonomische Urteile in der Wissenschaft wachsende Bedeutung erhielten, dies nicht ohne weiteres erkennen ließ. Denn so zweifellos eine ökonomische Bewertung geeignet ist, ein Werturteil über ein Forschungsprojekt oder irgendein anderes wissenschaftliches Unternehmen zu liefern, so zweifelhaft erscheinen solche Urteile häufig vor Tribunalen, die der Ökonomie fern stehen. Und das ethische Werturteil entbehrt bekanntlich häufig der akzeptabel generalisierbarea. Substanz und gehört außerdem (wie Politik oder Metaphysik) zu jenen Seiten menschlichen Denkens, an deren Eliminierung aus dem Erkenntnisprozess die Wissenschaft seit dem 18. Jahrhundert gearbeitet hat.
Danach kann es dem Wissenschaftsfreund eigentlich nicht gut in den Ohren klingen, wenn jetzt der Einzug von Ökonomie und Ethik in die Wissenschaft begrüßt wird. Andererseits: Die Frage, was Forschung kostet, ist angesichts der ständigen Zunahme der Zahl hungriger Mäuler auf dieser Erde nicht unangebracht, und die Frage, ob das, was erforscht wurde, uns zu wissen frommt, nützt und bekommt, ist ebenfalls dringlich. Schließlich plagen uns seit geraumer Zeit selbst gebastelte Katastrophen einerseits und akademische Betrüger andererseits, so dass von Wissenschaftsmanagern und Wissenschaftspolitikern in den letzten Jahren kaum ein Substantiv häufiger zu hören war als: (sachliche und sittliche) 'Exzellenz'. Alle Wissenschaftsminister wünschen sich, dass ihre Hochschulen 'exzellent' sind, dass dort 'exzellente' Forscher mit 'exzellenten' Ergebnissen vor 'exzellenten' Studierenden brillieren. Wenn sich nichts von alledem vorzeigen lässt, kann immer noch irgendeine Abteilung in der Universität oder eine vergammelte Baracke auf dem Campus zum 'Center ofExcellence' erklärt werden, in der Hoffnung, die von einem solchen Herd ausgehende Ansteckung werde sich auf das ganze System ausbreiten. Was 'exzellent' ist, lässt sich leicht feststellen. Das Wort kommt, wie wir Gebildeten wissen, von excellere, das heißt: hervorragen, so dass man nur noch Umschau halten muss nach den Menschen oder Sachen, die hervorragen, um zu wissen, woran man ist. 'Hervorragend' stellt, nicht anders als 'nicht hervorragende ein Urteil über Qualität dar, die man ihrerseits durch Bewertung, d.h. Evaluation ermittelt. Weil das so ist, entwickelte sich in den letzten Jahren ein Evaluierungsgewerbe, das seine eigenen Spezialisten hervorgebracht hat, die ihrerseits ganze Bibliotheken mit Abhandlungen über Sinn und Zweck, Methoden und Erfahrungen, Kriterien und Indikatoren der Evaluationswelt gefüllt haben. Dieser Welt nachzuspüren und sie zu beschreiben, schien uns ein relativ aufwendiges und zugleich langweiliges Unternehmen zu sein. Wir haben es vorgezogen, den Wissenschaftlern zuzuhören, die von der Evaluitis befallen sind oder von ihr überfallen werden, ihren Umgang mit diesem Phänomen und ihre Interpretation seiner Bedeutung zu studieren und ihre Äußerungen, die sich gelegentlich deutlich von ihren beruflichen Bekundungen zur Sache unterscheiden, zu notieren. Anders als sonst bei den gegenworten üblich, schreiben deswegen in diesem Heft (fast) nur Wissenschaftler. Auch sonst gibt es einige Abweichungen, die vielleicht auffallen. Die Rubriken gelegentlich zu variieren, ist nicht in erster Linie ein Zugeständnis an die Erfordernisse des jeweiligen Inhalts. Bewährte Konzepte dürfen prinzipiell nicht solange beibehalten werden, bis sie, für jeden sichtbar, ihren Esprit eingebüßt haben. Wir folgen daher der Vorstellung, dass im Laufe der Zeit ein gewisser Rubrikenpool entsteht, aus dem der aktuelle Inhalt schöpfen und sich sein passendes Kleid schneidern darf. Das Problem der Rechtschreibung bleibt quälend. Der Beobachtung von Theodor Ickler in seiner Rezension der zehnbändigen Neuausgabe des Duden (FAZ vom 7. 4. 2000), dass "das ganze Unternehmen endgültig um jede Spur von Rechtfertigung gebracht" worden sei, haben wir von unserer Seite nichts hinzuzufügen. Da die Nachrichtenagenturen für den Herbst bereits weitere Korrekturen "neuschreiblicher Unzuträglichkeiten" (Ickler) angekündigt haben und tatsächlich zurzeit mehr über die Rücknahme koste n als über die Richtigkeit einer solchen Maßnahme diskutiert wird, bemühen wir uns um eine 'mittlere' (will heißen: schwankende und willkürbehaftete) Linie. Eines Tages werden sich die Nebel schon lichten. Zur Qualitätsdiskussion lässt sich zusammenfassend wohl sagen, dass die Skepsis überwiegt. Die Ankündigung einer bevorstehenden Evaluation, die Einleitung und die Durchführung eines entsprechenden Verfahrens gelten für viele als die eigentlichen Gewinne eines Bewertungsvorgangs, während die Ergebnisse, Feststellungen und Empfehlungen sich nicht der gleichen Wertschätzung erfreuen. Sie werden nicht selten als subjektiv, vorurteilsgefärbt und ideologisch erlebt, während das Verfahren als solches als ein die Selbstreflektion mobilisierender, Organisation und Strategien der wissenschaftlichen Arbeit fördernder Faktor erscheint. Das schlechte Abschneiden des Evaluationsurteils wird allerdings auch auf die Un möglichkeit zurückgeführt, den Durchschnitt überragende, geniale Ansätze zu erkennen, das Individuelle und damit Einzigartige im breiten Strom der normierten Alltäglichkeit als Sensation zu entdecken, dem Besonderen den ihm zukommenden, hervorragenden (!) Platz frei zu machen. Schließlich spielt auch die Frage nach der Evaluation der Evaluatoren eine Rolle. Der Stufenbau der Evaluation: vom Einzelnen über die Gruppe, deren Direktor/Professor zur Fakultät/Sektion, zur Universität bzw. zum Forschungsinstitut und endlich hin zum System wird durchaus begrüßt. Aber die Frage nach der Endkontrolle der Letztkontrolleure bleibt ein melancholischer Schmerz. Die Evaluation der wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR und den Umstand, dass dieser Maßnahme die Gesamtevaluation der weiland BRD - trotz entsprechender Ankündigung - nicht nachgefolgt ist, sowie die Missstände und berechtigten Klagen bei einzelnen Evaluationsprozessen hier und dort haben wir nicht erneut aufgegriffen. Wir wollten schließlich kein Jammerheft verfassen. Schweren Herzens haben wir auf den Vergleich mit anderen evaluierenden Ländern verzichtet. Aber wenn man den Kontext nicht anbieten kann, schien uns die Lieferung komparativer Aussagen schlechthin zu wenig seriös, um unseren Lesern angeboten zu werden. | |