Heft 6 - Werner Creutziger: DAS ALTE HAUS DER SPRACHE "Geben Sie Gedankenfreiheit!" Wir leben, heißt es, in derWissensgesellschaft. Schiller schickte im "Don Carlos" den Ruf nach Gedankenfreiheit in die Welt, und das geschah zu der Zeit, fast aufs Jahr genau, da Kant die Aufklärung definierte. Wir verstehen Gedankenfreiheit gewöhnlich als die Möglichkeit, Gedanken nicht nur zu haben, sondern sie auch ohne Gefahr zu äußern. Unser Verständnis geht also über den engen Wortsinn hinaus, wir berücksichtigen (vielleicht unbewusst) die Einsicht, dass zwar der Einzelne frei ist zum Denken selbst in Lagen, in denen er zu sonst nichts frei ist, dass aber gesellschaftlich, geschichtlich schon das Gedanken-Haben seine Qualität wesentlich von der Möglichkeit und der Qualität der Verständigung erhält. Damit Aufklärung als Ausgang aus der Unmündigkeit gelingt, auch 'Wissensgesellschaft' möglich wird, muss Verständigung gelingen: in der Weise, dass sie Gedanken entbindet, das Denken schärft, den Vorstellungsraum weitet. Die Menschheit weiß heute viel und verständigt sich schlecht.
Fetisch Fortschritt
Jahrzehntelang haben die Laien den Wissenschaften gläubig vertraut. Das geschah vor allem deshalb, weil die Mehrheit das wissenschaftliche Forschen als Voraussetzung des materiellen Fortschritts, etwa des technischen und medizinischen, wahrnahm. Fortschritt ist (wobei der Sinn unglücklich eingeengt wird) zur Formel für das geworden, was wir nutzen möchten in dem natürlichen Drang, die Mühsal unserer Existenz zu erleichtern und ihre Unsicherheit zu mindern. Der Fortschritt genießt den Bonus der Rationalität - was funktionieren soll, muss stimmen. Von den Wellen der Fortschrittsseligkeit wurden einige Wissenschaftszweige (man sollte beachten, dass es wenige sind) emporgehoben. Allmählich aber fällt auch einem breiteren Publikum auf, wie viel der Fortschritt von seinen Früchten selbst verzehrt und wie ungleich er Interessen bedient. Es wachsen die Zweifel. Da nun der Respekt vor den Wissenschaften überwiegend ein abgeleiteter war, verliert mit der Entgötzung des Fortschritts auch der Wissenschaftsbetrieb viel vom Rückhalt in der öffentlichen Meinung. Die Gesellschaft gewinnt damit die Freiheit, sich über das Wissen, das Forschen, die Nutzung von Wissen und Forschung, die Mündigkeit, die Selbstbestimmung der Gesellschaft und natürlich auch über den Fortschritt neu zu verständigen. Der Mittel finden wir genug im "alten Haus der Sprache", wie es Karl Kraus nannte.Werden sie genutzt? Kognitiver Absolutismus
Ich höre Wissenschaftler darüber klagen, dass in das Machen dessen, was die Wissenschaft technisch ermöglicht, zu sehr die Politiker hineinreden; man solle das doch den Fachleuten überlassen. Da wird nicht die Katze aus dem Sack gelassen - sie ist längst heraus. Wir, die Laien, das Publikum, sind selber schuld, wenn wir noch glauben, es sei ernst gemeint, was uns aus dem Wissenschaftsbetrieb habituell versichert wird: Die Wissenschaft biete nur an, sie zeige die gewonnenen Möglichkeiten; die Entscheidung liege bei der Gesellschaft. Wenn wir im schönen Gefühl der uns zugesprochenen Souveränität - wie sonst, wenn nicht über die von uns mit Vollmacht versehenen Politiker? - zu einem Angebot tatsächlich 'nein' oder 'so nicht' sagen, reagieren Sprecher des Wissenschaftsbetriebs zornig. Die Politiker dienen als Prügelknaben - nicht grundlos erhofft man am ehesten von ihnen, dass sie zurückweichen. Fachleute heißen so, weil sie ein Fach beherrschen. James D. Watson zum Beispiel ist unbestreitbar ein Fachmann auf dem Felde der Genetik, ein großer Entdecker. Mich überläuft es eiskalt bei dem Gedanken, dass er deshalb Vollmacht hätte, frei von 'politischem Hineinreden' Evolution zu spielen.Watsons Wünsche sind etwas anderes als die Doppelhelix. Will ausgerechnet die 'Wissensgesellschaft' die Gedankenfreiheit exklusiv verstehen, will sie die Laien, die Mehrheit, schließlich auch andere Wissenschaftler entmündigen, indem sie Fachleuten die Entscheidung auch dort überlässt, wohin ihr Fach gar nicht reicht? Ihr Fach endet ja, sobald man ausführt, was sie als Forscher ermöglichen. Es ist das eine, etwas zu finden, woraus umstürzende Möglichkeiten der Wirklichkeitsgestaltung folgen können. Es ist ein anderes, in aller Komplexität die Wirklichkeit zu kennen, der die neue Möglichkeit eingepflanzt zu werden gedacht ist, und zu beurteilen, wie diese Wirklichkeit und in ihr unser Leben sich verändern werden, wenn man jene Möglichkeit verwirklicht. Die Kompetenz für das Leben liegt bei denen, die leben. Und auf denen, die heute leben, liegt die Verantwortung für die nächsten Generationen. Damit die Lebenden die Kompetenz wahrnehmen, müssen sie als Gesamtes ihren Willen finden und benennen. Man kennt den Gemeinwillen noch nicht, wenn man den Mehrheitswillen so kennt, wie er bekundet wird. Die Frage, ob ' Volkes Stimme', wie das Sprichwort sagt, "Gottes Stimme' sei, können wir nicht beantworten, weil alle Geschichte der Volksmehrheit auch Geschichte der Manipulation ihres Bewusstseins ist, folglich ihrer Stimme. Die Erfahrung zeigt den Willen der Starken, die Geister abhängig zu machen, und sie verrät Mangel an Widerstand bei der Mehrheit. Aus der offenkundigen Manipulierbarkeit der Mehrheit ließe sich leicht der Auftrag an Eliten ableiten, die Mehrheit von der Verantwortung, der Selbstbestimmung zu entlasten. 'Es den Fachleuten überlassem setzt aber voraus, dass 'es' und 'Fach' mindestens definiert werden. Wem wäre dies zu 'überlassen'?Wo sind die Uber-Fachleute, die berechtigt wären, den Fachleuten die Felder zuzuweisen, auf denen sie bestimmen sollen - mit den Grenzen, den Kriterien und dem Grad der Bestimmung? Unsere 'Wissensgesellschaft' scheint mir davon geprägt zu sein, dass sie Wissenschaft fast gleichsetzt mit dem Erforschen der Grundlagen für "Schlüsseltechnologien oder gar mit den 'Schlüsseltechnologien' selbst. Das wäre weniger bedenklich, wenn nicht gerade auf diesem Feld heute eine aufdringliche Selbstsicherheit, Selbstgewissheit, Selbstherrlichkeit der Fachleute herrschte, ein kognitiver Absolutismus, der sich als kultureller Rückschritt offenbart, wenn wir ihn etwa mit dem befreienden Skeptizismus eines Montaigne vergleichen. Aufklärung beginnt dort, wo die Elite anfängt, ihre Selbsternennung zu befragen. Kultur beginnt, wo die Elite die Beherrschbarkeit der Mehrheit nicht ausnutzt, vielmehr von sich aus Sand ins Getriebe der Bevormundung streut. Wissenschaftskultur beginnt, wo der Wissenschaftsbetrieb aufhört, sich als Herrschaft zu ideologisieren. Der Gemeinwille mag schwer ergründbar sein; wir dürfen jedoch darauf setzen, dass Widersprüche zwischen Fachwissen und Gemeinwillen nicht im Wesen der Sache liegen; sie sollten als kulturelle Unfälle erkannt werden. Wir erleben solche Unfälle. Da im Prinzip das Fachwissen nicht mit dem Gemeinwillen konkurriert, bleiben die elitäre Überlegenheit mitsamt der Versuchung zum Bevormunden einerseits und die Launenhaftigkeit des Plebiszits andererseits aufhebbar - im Dialog. Akzeptanz
In den Untergang des SED-Staates rief dessen letzter Führer, Krenz, beschwörend: "Dialog!" Und das hieß noch immer - und wurde so verstanden - : "Redet ruhig, ihr Leute, ihr müsst nur einsehen, dass ihr dumm seid und dass wir der Vortrupp sind und Recht haben." Er sagte "Dialog" und meinte Akzeptanz. Wer um Akzeptanz wirbt, spricht von oben nach unten; Dialog findet zwischen zweien statt, die auf derselben Ebene stehen. Im Dialog sind die Beteiligten sowohl Sender wie Empfänger. Der Dialog scheitert, wenn der eine in dem ändern nur den zu belehrenden und zu gewinnenden Empfänger sieht. Wann stellt sich dem Laien überhaupt die Frage, ob er ein Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit akzeptieren soll? Der pythagoreische Lehrsatz vom rechtwinkligen Dreieck, die Schrödinger-Gleichung, neue Einsichten in die Geschichte der Langobarden oder plausible Deutungen Hölderlins - haben sie es nötig, dass ich sie annehme? Würde sich jemand aufregen, wenn ich die Zustimmung mutwillig oder aus Dummheit verweigerte? Es gab in der Geschichte spektakuläre Fälle von Nichtakzeptanz ebenso wie von brutal erzwungener Akzeptanz der scheinbaren oder wirklichen Erkenntnisse selbst - von Kopernikus über Darwin zu Lyssenko. Die Mitwelt oder die Macht reagierte nicht vernünftig, sondern ideologisch. Die Akzeptanzverweigerung, mit der wir es heute zu tun haben, betrifft nicht die Erkenntnisse, sondern das, was ihnen vorausgeht, und das, was ihnen folgt: die Grenzziehung zwischen den Fächern, die Wahl und die Gewichtung der Fragen, auf die man Antwort sucht, vor allem aber die Nutzung der Erkenntnisse. Die heutige Akzeptanzverweigerung stellt sich, wo sie ernst zu nehmen ist, den Kriterien der Aufklärung mit dem wesentlichen Merkmal der menschheitlichen Selbstbestimmung. Die Frage lautet nicht mehr, ob das Behauptete wahr sein dürfe, sondern vor allem, ob wir das Ermöglichte tun wollen. Dass wir frei sind auch zur Verweigerung, folgt nicht zuletzt daraus, dass das Erkennen aufprägen antwortet, die so oder anders zu stellen wir frei gewesen sind. Für die Wissenschaft sollte der abgewandelte Rosa-Luxemburg-Satz gelten: Freiheit ist die des Andersfragenden. Aus dem Wissenschaftsbetrieb hören wir viel lauter den Ruf nach bedingungsloser Zustimmung als das Angebot zum Dialog. Wir müssen vor allem in den 'Schlüsselbereichen' einen weitgehenden Konsens über den Vorrang der Akzeptanzforderung vermuten. Das wirft die Frage nach der Ernsthaftigkeit der Dialogbereitschaft auf - meint, wer 'Dialog' sagt, vielleicht abermals Akzeptanz? Und will, wer so offen von Akzeptanz redet, mir zu verstehen geben, er betrachte mich, den Laien, als einen, der zwar 'ja' sagen oder sich auf'nein' versteifen könne, aber zu •weiterem Diskurs nicht tauge? Wer so, wie es geschieht, um Akzeptanz wirbt, der reduziert das Bemühen um das Publikum aufs Überreden, auf die Optimierung der Suggestion, auf die List von Auguren. Es ist ein Merkmal des Akzeptanzverlangens, dass mit positiven Lockbegriffen die Zustimmung zu etwas erreicht werden soll, was von dem Lockbegriff nicht gedeckt ist. Man sagt mir: Du hältst die Erkenntnisse der Atomphysik für hohe geistige Leistungen; was zweifelst du an der Sicherheit der Atomkraftwerke? Du hast die Lust des Abenteuers bei der Entdeckung der Doppelhelix, soweit es dir möglich war, nachträglich geteilt; warum siehst du nicht mit Wonne . zu, wenn nun Fachleute Gene aus- und einbauen? Du verlässt dich darauf, dass dank dem Wissen von Spezialisten Autos und Flugzeuge funktionieren; warum akzeptierst du nicht das Recht der Auto- und Flugzeugfachleute, zu entscheiden, wie viel Verkehr gebraucht wird? Du hast das Nichtfunktionieren einer Planwirtschaft erlebt; warum ... und so weiter. Der Schluss, wer die Folgerung nicht akzeptiert, sei Wissenschaftsfeind, entbehrt der Logik wie des Anstands; er wird selten ausgesprochen und umso öfter suggeriert. Der agitatorische Gebrauch verformt Begriffe; so wird die Verständigung ärmer. 'Experten', 'Gutachten', 'Sachverstand', 'erwiesen', 'nicht erwiesen', 'Freiheit des Forschens', 'wissenschaftlich', 'Wissenschaft' - schon die Wörter müssten, weil sie gute Tradition tragen, Verlässlichkeit ausstrahlen und befreiende Klarheit angesichts quälend schwieriger Sachen verheißen. Doch ihr guter Ruf hat sie verdorben. Ausschweifend wird die suggestive Kraft, die sie bieten, zur Durchsetzung von Interessen genutzt. Wenn ich von einer 'Expertise' höre, muss ich erst einmal herauszufinden versuchen, wer den Experten mittelbar oder unmittelbar bezahlt. Ich muss mich wappnen, denn ein Gutachten kann die Wahrheit sagen; es kann auch (darin liegt die hohe Kunst) mit Suggestion überspielen, dass es auf Fragen antwortet, die so nicht gestellt sind, die aber eine richtige und zugleich in bestimmtem Interesse liegende Antwort erlauben; schließlich kann es (das ist die kunstlose und wahrscheinlich selten vorkommende Variante) einfach lügen. - Wenn ich höre, dass die Gefährlichkeit dieser oder jener Erkenntnisnutzung 'nicht erwiesen' sei, vermute ich, dass nicht die Bekanntgabe einer solchen - oft trivialen - Aussage bezweckt ist, sondern dass jemand mir suggerieren will, die Ungefährlichkeit sei erwiesen. - Mit dem Ruf nach 'Freiheit der Forschung' lässt sich das Abschütteln von Moral und Verantwortung moralisch begründen und eine andere Freiheit denunzieren, eine Freiheit von nicht minderem Rang als dem des sachbezogenen Forschens: die Freiheit des Zweifels am eingespielten Lauf der Dinge im Betrieb der Wissenschaften. - Schließlich 'Wissenschaft': Mit welcher Andacht betrat ich vor vielen Jahrzehnten das erste Mal eine wissenschaftliche Bibliothek. Es folgte ein Arbeitsleben im Osten Deutschlands, wo die simple Ideologie der Macht das Prädikat 'wissenschaftlich' bis zum Überdruss in Anspruch nahm. Und wenn ich heute 'Wissenschaft' höre, versuche ich zu ergründen, ob es um Erkenntnis geht oder um den Börsenwert. Dialog im Dissens
Die Nachfahren des Wahrheits Suchers Faust sind auf den Arbeitsmarkt gewiesen worden; sie haben es nötig, sich als soziale Gruppe mit Anspruch auf Beachtung und Alimentierung darzustellen, als Gruppe unter Gruppen und zugleich als höchst besondere, als Avantgarde. Ihre Selbstdarstellung verliert an Wert, wenn die Gruppe den Ideal-Charakter ihrer gesellschaftlichen Rolle dazu nutzt, quasi gewerkschaftliche Interessen mit monarchischer Gebärde zu vertreten, etwa mit Anspielung auf Unterschiede in der Verstandeskraft zwischen den Wissenschaftlern einerseits und den Bürgern andererseits, wobei die Contenance jener dann aufhört, wenn diese (mit gutem Recht) unmittelbar oder mittelbar über materielle, greifbare Rahmenbedingungen für die Wissenschaften entscheiden. Aus der Sicht des Laien habe ich Einwände gegen den Lauf der Dinge im Wissenschaftsbetrieb geäußert. Eifer konnte ich nicht unterdrücken, weil mich der selbstherrliche Ton mancher Sprecher des Wissenschaftsbetriebs herausfordert. Auf die Dauer wäre es jedoch kein gutes Ziel, das Selbstherrliche mit Emotion zu beantworten, auch wenn ich die meinige rational begründet sehe. Die Spannung zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit kommt natürlich nicht von schlechtem sprachlichem Umgang; ein besserer sprachlicher Umgang könnte aber in der Sache helfen, weil er den Sprecher zu größerer Genauigkeit drängt. Der offenkundige Dissens fordert einen Dialog, aus dem die Herrschaftsgebärde des Akzeptanzverlangens ausgeschlossen bleibt. Die Beteiligten sollten sich dazu auf die überkommene Sprache in ihrem Differenzierungsreichtum besinnen; dieser ist leider von der Übermacht des Schreierischen und Suggestiven zurückgedrängt worden. Die Boulevard-Journalismus-Doktrin, derzufolge man den Leser mit Stammelsprache erreicht, darf für den "Dialog im Dissens' nicht gelten; sie ist ohnehin falsch. Wissenschaftler schaden sich selber, wenn sie mit ihren Äußerungen verraten, dass sie sich für die Laien nicht sonderlich um Stringenz bemühen. Ich nenne Beispiele. Wer das Wort 'Bedenkenträger', wie auch anderswo üblich, als Schimpfwort verwendet, sagt mehr über sich als über diejenigen, die Bedenken äußern, wo ihnen der Verstand es gebietet. - Ein gutes Wort ist 'Ethik'. In einem Interview antwortet Nobelpreisträger und (nach meiner Quelle) Biotechnologie-Unternehmer Manfred Eigen auf die Frage nach den ethischen Problemen, die sich etwa aus der Verwendung embryonaler Stammzellen ergeben: "Die ethischen Fragen muss die Gesellschaft lösen. Sie muss jeden Missbrauch verhindern. Aber sie kann nicht einfach ein ganzes Forschungslabor stilllegen." (Berliner Zeitung vom 30. 8. 2000, Beilage ' Wissenschaft) Das muss wohl heißen, die Gesellschaft möge ethische Fragen so lange scholastisch bearbeiten, bis sie zum Nutzen der Wirtschaft keine mehr sind. -Wer jemand einen 'Fundamentalisten' nennt, muss wissen, welche Assoziationen er hervorruft. Woifgang Frühwald (GEGENWORTE, Heft 3) sieht im Zusammenhang mit "wissenschaftsskeptischen Strömungen der Moderne" "eine Art fundamentalistische Grundströmung" in Parteien eindringen. An anderer Stelle in demselben Aufsatz ist die Rede von einer "Kampagne", an der man studieren könne, wie aus "gezielt verstärkten (kollektiven) Ängsten ein antiwissenschaftlicher Affekt erzeugt wird". - Der Gemeinplatz von dem Zurückbleiben Deutschlands im Wettlaufder Star-Wissenschaften (natürlich werden Politiker und Parteien als Schuldige ausgemacht) hat sein Vokabular: Deutschland sei aus der Kernenergie-Forschung "ausgeschieden". "Wissen" wandere "mit zunehmender Geschwindigkeit aus Deutschland ab" (Frühwald). Bin ich ein Wissenschaftsfeind, wenn ich meine, das Abwandern könne keinen wissenschaftsethischen Rabatt rechtfertigen? Es wird das Bild von einem Teufel gemalt, der unablässig aus purer Freude am Bösen irrationale Ängste multipliziert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Teufelsmaler selbst an sein Vorhandensein glauben. Tun sie es nicht, so bleibt nur zu vermuten, dass das Bild für 'das Volk, den großen Lümmel', bestimmt sei. Wer von der "Anmaßung des halbgebildeten Laienverstandes" spricht (Michael Daxner in GEGENWORTE, Heft 4), diskriminiert, sei es auch nur assoziativ, Menschen, die mitzureden haben, weil sie in mehr als einer Hinsicht betroffen sind. Es mag irrationale Ängste geben, mit umgekehrtem Vorzeichen die triviale Folge des trivialen Fortschrittsfetischismus, Gespenster, die vielleicht aus Unbildung und Halbbildung entstehen. Die Gespenster sind nicht das Problem; die Wirklichkeit ist es. Was muss nach Tschernobyl, nach Verkehrsinfarkten, nach Lebenspatentierungen noch geschehen? | |