Heft 6: EDITORIAL von Dieter Simon Als die GEGENWORTE ins Leben gerufen wurden, gab es auch ein Kolloquium zur Generierung von Themen, über die gearbeitet werden sollte. Was schwer zu sein schien, im Hinblick auf das Vorhaben, Wissenschaft aus einer anderen als ihrer eigenen Perspektive zu inspizieren und Beobachter aus allen Betroffenengruppen zur Aufzeichnung ihrer Wahrnehmungen zu animieren, erwies sich am Ende als überraschend einfach: Wissenschaftsfreiheit und Public understanding, Interdisziplinarität und Fälschung, Sprache und Tierversuche - in zwei Stunden waren mehr Themen gefunden, als bis zum Ende der selbst gesetzten Probezeit benötigt wurden.
Eines davon lautete: 'Science war'. Alan Sokal, der fast schon wieder Vergessene, das große Medien-Event des Jahres 1998, hatte gerade erst seinen viel beklatschten Coup zur Bloßstellung der postmodernenWissenschaftssoziologen gelandet und damit die heftige Enttäuschung der amerikanischen Physiker über die Ausdünnung der Forschungsförderung ein wenig gemildert. C. P. Snow wird (überflüssigerweise) unermüdlich zitiert, um das alltägliche Leid zu beglaubigen, das die Wissenschaftler angesichts der Differenz zwischen literarischer und naturwissenschaftlicher Intelligenz befällt. Inzwischen wird zwar mit fester Stimme und positiver Denkerstirn von den 'Wissenschaftskulturen' geredet, aber dass größere Klarheit über den Kulturbegriff herrsche als zu Snows Zeiten, wagt gleichwohl niemand zu behaupten. Immerhin: Die alten einheitswissenschaftlichen Träume aus dem Umfeld des Wiener Kreises sind inzwischen endgültig ausgeträumt; die neuen Träume, wie sie Mittelstraß anzettelt, haben ihre Bewährungsprobe nach dem Aufwachen noch vor sich. Es schien uns wenig sinnvoll, diese Wissenschaftsgeschichte erneut nachzuerzählen. Was des Erinnerns überhaupt noch wert ist, hat sich in der verlässlichen Dokumentation versammelt. Wissenschaftsgeschichte hat eine raschere Verfallszeit als die Story von Caesar und Cleopatra. Gegenwärtig lassen wir uns gern von den Soziobiologen erzählen, wie wir ansetzen sollten: "Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, die großen Wissensgebiete zu vernetzen und diese Kulturkämpfe zu beenden: man darf das Niemandsland zwischen wissenschaftlicher und literarischer Kultur nicht als territoriale Grenze betrachten, sondern muss es als ein weitläufiges und größtenteils unerforschtes Gebiet sehen, in das gemeinsame Expeditionen unternommen werden können. Missverständnisse entstehen, weil keine der beiden Seiten dieses Gebiet kennt, nicht, weil es fundamentale Mentalitätsunterschiede zwischen ihnen gäbe. Beide Kulturen stehen vor derselben Herausforderung ... So bleiben also nur die Fragen, wie Biologie und Kultur interagieren ... " (Edward 0. Wilson, Die Einheit des Wissens) Na, also: "nur"! Da aber auch Wilson (noch?) kein Rezept zur Hand hat, auch wenn er sich die Possierlichkeit erlaubt zu glauben, diesmal liege "die Lösung des Problems schon in greifbarer Nähe", haben wir einen bunten Strauß zum Thema gebunden, in der Hoffnung, manche der 1000 Blumen seien unbekannt und vielleicht schon deshalb interessant, andere im Kontext überraschend hübsch und wirkungsvoll, und wieder andere würden durch kecke Neubewertung als sehr bescheiden ausgewiesen. So lenkt Ehlers den Blick auf die Spielregeln, Wächter berichtet über Erfahrungen mit additiver und integrativer Kooperation, Creutziger beobachtet DEN Laien, den es nicht mehr gibt, Puntscher Riekmann und Daxner stehen jenseits der vertrauten (deutschen) Räume und Laszio deliberiert über die Bedingungen erfolgreicher Kommunikation zwischen den Kulturen. Und weil Brückenschläge interessanter sind als Kriegsberichterstattung, bringen wir Erfahrungsberichte: von K. U. Mayer über die empfehlenswerte Skepsis gegenüber Interdisziplinarität, von Gassert, einem 'Mann der Wirtschafte und auch der Feminismus hat sein Scherflein beizutragen (Meyer-Renschhausen). Am Ende ist der 'Krieg' zwischen Geistes- und Naturwissenschaften auf viele Schlachtfelder verteilt. Es scheint nicht mehr um wechselseitige Überwältigung und Unterwerfung, sondern um Neuverteilung der Schollen und Einflusssphären unter dem Resultate verheißenden Gütesiegel der Transdisziplinarität zu gehen. Nachdem der Lamarckismus historisch wohl endgültig als Verlierer dasteht, muss die Hoffnung auf Besserung wieder auf stets erneuertes Üben und Lernen gegründet werden. Nur das Kapital lässt sich durch Erbschaft steigern. Die Vernunft nicht. | |