Heft 7: LINGUA FRANCA, FACHSPRACHE, DENGLITSCH

Einführung


I. Die immer enger und immer schneller werdende Zusammenarbeit quer über die Kontinente fordert eine allgemein benutzbare Sprache, das gilt auch und erst recht in den Wissenschaften. Englisch oder BSE (Basic Simple English) sind das Hauptthema der in Gang gekommenen Debatte. Deutsch drohe, so die Befürchtungen von Experten wie Politikern, seine Produktivkraft als Sprache der Wissenschaft zu verlieren; in der englischen Sprache aber sind die deutschen Wissenschaftler, auch wenn sie gut Englisch sprechen, Gastarbeiter, das heißt zweitklassig und gelegentlich lächerlich.


Die Diskrepanz zwischen einer langsamen, kleinteilig organisierten Forschung über Spezialprobleme und den rasanten Veränderungen im Schatten der so genannten Globalisierung macht, Pars pro Toto, das Dilemma der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Außenwelt sichtbar: In wissenschaftlichen Bibliotheken und in den zahlreichen Fachzeitschriften der Germanistik oder der Sprachwissenschaften werden aussterbende Sprachen, die Semantik von Kleinkindlauten oder Türkendeutsch gründlich untersucht, aber der interessierte Laie wird kaum etwas über die Sprache der Wissenschaftler oder über die aktuellen Veränderungen in den Schreib- und Sprechgewohnheiten der Eliten finden. Es gibt, wie Harald Weinrich seit Jahren beklagt, keinen Lehrstuhl für Wissenschaftssprache in Deutschland.

Auch dieses Thema wird erst wahrgenommen, seit es von der Politik auf die Tagesordnung gesetzt und von den Medien aufgegriffen wurde. Nicht zuletzt deshalb dominieren medial inszenierte Katastrophenszenarien und Interviews mit notgedrungen holzschnittartigen Statements die öffentliche Diskussion.

Schon die wissenschaftliche Sprache und Denkweise verhindern, dass die Kenntnisse, die Sprachhistoriker und Philologen über die Einheitssprache, über Lingua franca oder den Zusammenhang von Grammatik und Denken zu Papier gebracht haben, in die Diskussion der aktuellen Problematik eingehen. Die Arbeitsteilung der Disziplinen hat den Transfer dieses Wissens weiter erschwert, und von den 'Lebenswissenschaften' wiederum wird derzeit das 'Lesen', das Alphabet und der 'Ursprung der Sprache' neu definiert.


II. Die Anstöße für eine allmählich auch binnenwissenschaftlich beginnende Diskussion kommen (natürlich) von den Naturwissenschaften. Drei Stoßrichtungen lassen sich ausmachen: Erstens ist es für die Hard Scientists mittlerweile selbstverständlich, dass ohne Englisch nicht auskommt, wer konkurrenzfähig sein will. Mit Blick auf den gesamten Wissenschaftsbetrieb lässt sich feststellen, dass, wer deutsch publiziert, nur von einem kleinen - irrelevanten? - Teil der Community wahrgenommen wird. Zweitens wird derzeit von verschiedenen Seiten die Frage gestellt, ob und wie Sprechweisen - nicht zuletzt Metaphern - für die Wahrnehmung und Thematisierung von Problemen eine bislang unterschätzte Rolle spielen. Drittens wird die Sprachfrage vor dem Hintergrund der Europäisierung und der transatlantischen Dominanz in der wissenschaftlich genährten Wirtschaft von der Politik aufgegriffen. In diesem Kontext geht es primär um den Standort Deutschland, wozu die Vorschläge gehören, dass Vorlesungen verstärkt auf Englisch gehalten werden sollen. Wissenschaftspolitisch und eng mit der Standortfrage verbunden ist die Sorge um den Nachwuchs, den Brain-Drain von Deutschland in die USA und das Wegbleiben von Studierenden anderer Länder. Außerdem findet wieder ein Diskurs statt über Sprachreinheit, einerseits als Abwehr von 'Überfremdung', andererseits als Diskussion über P.C. (Political Correctness).


III. Neben und mit der Diskussion um Englisch, Denglitsch, Lingua franca werden alte Themen neu besichtigt oder auch in Unkenntnis alter Debatten in neuem Kontext aufgegriffen. Dazu gehören die Fragen nach Notwendigkeit und Verzichtbarkeit von Fachsprachen, nach ihrer Rolle als effizientes Kürzel und als Merkmal der Zugehörigkeit zu einer Community.

Die - strittige - Forderung nach Verständlichkeit wird in letzter Zeit neu und im Kontext von Akzeptanzproblemen der und Werbemaßnahmen für Naturwissenschaften gestellt. Im Umfeld der Sozialwissenschaften haben sich Akzente verschoben, weil viele Ausdrücke, die noch vor 20 Jahren als Jargon galten, teils mit veränderter Bedeutung in die Alltagssprache eingedrungen sind. Und Leibniz' Traum von einer objektiven Universalsprache bekommt durch die Nutzung von international verständlichen Formeln und Icons neue Impulse.

Außerdem gibt es eine 'ökologische Dimension' des Problems. Sie bezieht sich einerseits auf Mehrsprachigkeit als eine - nicht zuletzt europäische - Ressource, die der transatlantischen McDonaldisierung auch der Wissenschaftssprache entgegengesetzt wird; andererseits auf das rasche und nicht rückholbare Aussterben von Sprachen (laut David Crystal sind 51 Sprachen allein im Jahr 2000 auf der Erde verschwunden). Immer noch misstrauisch beäugt, aber auch immer wieder thematisiert wird die Frage, ob und um welchen Preis sich die Schönheit der Sprache mit Wissenschaftlichkeit vereinbaren lässt.