7. Heft - Eckart Klaus Roloff: SCIENCETAINMENT Sprachwahl zwischen Hermetik und Populismus "Ich könnte es kompliziert machen", sagte der Mann, den wir wegen seiner plastischen Sprache zu einem Tischgespräch an den Stand des Rheinischen Merkur eingeladen hatten. Dort sollte er - es war im Oktober 2000 - den vorbeikommenden Besuchern der Frankfurter Buchmesse den Lotuseffekt vorführen, den er entdeckt hatte. Für die Schau machte es der Botaniker Wilhelm Barthlott tatsächlich kompliziert: "Ich könnte jetzt etwas erklären von molekularen Wechselwirkungen, von Grenzflächenspannungen, von Adhäsion und einem energetischen Problem zwischen einer komplexen quasi-fraktalen Geometrie der Oberfläche, die die Adhäsionsflächen minimiert."
Dann brach Barthlott die semantische Spielart des Lotuseffektes ab und kam zur eigentlichen: Auf einem Lotusblatt rollt sich Honig ebenso wie Pattex und Uhu zusammen und tropft einfach ab. Nichts klebt, gar nichts. "Die Oberfläche dieses Blattes hier, zehntausendfach vergrößert, ist wie die einer Zahnbürste", sagte Barthlott. "Da bleiben die Uhu-Tropfen und Schmutzpartikel wie die Fakire auf dem Nagelbrett liegen, und durch die Wassertropfen" - er goss etwas Wasser auf den Schmutz - "werden sie mitgerissen." Und dann meinte er zu diesem Phänomen, das für Fassaden und Dächer schon genutzt wird: "Das ist eine anschauliche Erklärung, die jeder nachvollziehen kann." Das war das Gegenteil von Hermetik, aber war es Anbiederung? Die Zuschauer waren verblüfft und dachten nach, was Barthlott und vier weitere Gäste während des Tischgesprächs zum Thema 'Wissenschaft heute - wie muss sie sich verkaufen?' beizusteuern hatten. Da ging es dann um den Elfenbeinturm einerseits und um die Stars unter den Popularisierern andererseits, auch um die Wissenschaftsjournalisten Jean Pütz und Ranga Yogeshwar vom WDR. Sie sind mit ihren Shows die Magier des TV-Geschäfts, die Meister des Scientainment, die an Gaukler erinnern und verlernt haben normal zu sprechen. Vielleicht müssen sie sich anbiedern und das Publikum von einem Staunen zum nächsten treiben. Die Quotenjagd lässt keine andere Wahl und duldet Hermetisches nicht.
Bei solchen Präsentationen geht nichts ohne Superlative. Am Beispiel der Hochtemperatur-Supraleitung hat Jürg Niederhauser einmal nachgewiesen, wie weit die Spanne zwischen physikalischem Fachjargon und Alltagssprache ist. Während im einen Fall die Vokabeln Sprungtemperatur, Elektronenpaarung, Shubnikov-Phase, Zürcher Oxide, Meissner-Effekt und Transmissionselektronenmikroskopie unvermeidlich sind, kommen die normalen Medien nach Floskeln wie "Die Supraleitung funktioniert ähnlich wie ein Kaffeefilter" und "Supraleitungen leiten super" zu Resümees, in denen Begriffe à la Revolution, Aufregung, Rekord-Hausse, Durchbruch und Schallmauer den Ton angeben. Offenbar kann die Populär- (oder Vulgär-?) Wissenschaft auf Worte vom Schlage Abenteuer, Geheimnis, Event, Synergie, Entschlüsselung, Code, Transfer und Vision nicht verzichten. Beliebt ist auch die Erwähnung von 'Tricks', die der Natur angedichtet werden, freilich nur nach menschlichen Maßstäben, und die stets falsch verwendete Metapher vom Quantensprung. In der Frankfurter Rundschau war am 6. März 2001 etwas von Anstandsdamen zu lesen. Gemeint war eine Gruppe von Eiweißen, die "unziemliche" Beziehungen zwischen Zellproteinen zu verhindern trachten. Da ist schon zu fragen, wie weit solches - sagen wir es populär - Ranschmeißen nur das Gegenteil eines tatsächlichen Verständnisses erreicht, weil wir plötzlich eine deplatzierte Eiweiß-Ethik vorgesetzt bekommen. Die Geschichte der Wissenschaften ist eine Geschichte der Hermetik mit Episoden des oft bekämpften und verachteten Popularisierens. Die Hermetiker sollten aber wahrnehmen und wissen, dass große Geister ohne Hermetik berühmt wurden und öffentlich bis heute wirksam sind: Paracelsus, Luther, Kepler, Thomasius, Newton, Leibniz, Darwin und Einstein geben dafür glänzende Beispiele. In diesem Sinn hat Uwe Pörksen, der Bekämpfer der 'Plastik-Wörter', einmal gefragt: "Hängt Darwins universelle Wirkung mit seiner Sprache zusammen?" Um aus der Hermetik durch das Lateinische auszubrechen, wagt Thomasius die Revolution und kündigt 1687 in Leipzig - unerhört und Aufsehen erregend - die erste Universitätsvorlesung in deutscher Sprache an; Johannes Kepler und Christian Wolff führen klare Begriffe wie Länge und Breite, Beweis und Gleichheit, Brennpunkt, Hebel und Abstand ein. Doch das genügte nicht, die Kluft zwischen akademischer und alltäglicher Sprache zu überwinden. Es ist sicher kein Zufall, dass Pörksen nur das Weimar der Klassik als Beispiel für eine Stadt nennt, in der "Adel und Bürgertum zu einem naturwissenschaftlichen Publikum wurden". War das alles? Und wie ist es heute, da Aktionen wie 'Public Understanding of Science' und hoch dotierte Preise für verständlich schreibende Forscher die Deutschen zu einem nämlichen Publikum machen wollen, das Schlüsselbegriffe aus Gentechnik und pränataler Medizin, aus Tierseuchenkunde und Klimaforschung tunlichst beherrschen sollte? In diesem Moment geschieht etwas Merkwürdiges: Der Mitherausgeber einer Frankfurter Zeitung beschließt, solche Sujets zum fast zentralen und täglichen Stoff seines Feuilletons zu machen, das bislang nicht für wissenschaftliche, sondern nur für künstlerische Premieren zuständig war. Vom Grundsatz her mag es gleichgültig sein, wo welcher Text in der Zeitung steht. Folgenreich ist es dennoch, denn die Darstellung unterscheidet sich in Zugang, Stil und Länge kräftig von der im Wissenschaftsressort derselben Zeitung. Vor allem aber: So facettenreiche Objekte wie Gentechnik, Reproduktionsmedizin und Robotik, die der Übersetzung bedürfen, werden ausgerechnet in dem Zeitungsteil abgehandelt, der als besonders elitär, abgehoben und verschlossen gilt. "Schreiben Sie anschaulich, verwenden Sie Alltagsbeispiele, meiden Sie Fachkauderwelsch, bauen Sie Zitate und Originaltöne ein" - das wird jungen Journalisten eingebimst, die im Wissenschaftsressort arbeiten, dem Bereich, der - denkt man an die vielen Berufsverbände und Tagungen in eigener Sache - wohl am meisten über sein Selbstverständnis nachdenkt. Im Feuilleton zählen solche Instruktionen nicht viel. Da ist Hermetik ein Wert, das Wort, das sich im Norwegischen 'hermetikk' schreibt und auf Deutsch Konservendose bedeutet. Doppelhelix, Mutation, Allele, Chromosom, Prionen - können die Gelehrten nicht erwarten, dass dergleichen Vokabeln endlich sitzen, da sie seit Jahren unablässig vorgetragen werden? In Wirklichkeit ist nicht einmal der erhebliche Unterschied zwischen Genetik und Gentechnik öffentlich bewusst, und das Klonen wird selbstverständlich für ein Objekt der Gentechnik und nicht der Zellbiologie gehalten.
Da macht es eine andere Zunft besser: Sie spricht ganz offen von Killerviren. Da weiß man, was man hat. Ist das nun journalistisches Zugeständnis (unter schlechtem Gewissen) oder fröhliches Anbiedern, da Killen doch niederträchtiges Töten meint? Es gibt auch Beispiele für das weniger Aggressive, etwa der schnelle Brüter, ein Wort mit Tarnkappe. Wenn heute immer wieder amerikanische und britische Wissenschaftler, die Sachbücher schreiben, für ihre brillanten Darstellungen gelobt werden, dann wissen sie hoffentlich, weshalb sie so gut sind und von welcher Tradition sie profitieren. Zum wünschenswerten Stil, so forderte die ehrwürdige Royal Society zu London bereits 1667, gehört es, "alle Umschreibungen, Abschweifungen und Schwülstigkeiten des Stils zu verbannen". Sie verpflichtete ihre Mitglieder auf einen "präzisen, nüchternen, ungezwungenen Stil, auf konkrete Ausdrücke, klare Bedeutungen und eine natürliche Leichtigkeit, die sich lieber der Sprache der Handwerker, Bauern und Kaufleute bedient als der der geistreichen Herren und Gelehrten". Da Leibniz Mitglied dieser Londoner Akademie war, ist die Annahme nahe liegend, dass er diese Idee importierte, als er 1700 bei der Gründung der Berliner Sozietät (später Akademie) der Wissenschaften mitmachte. Zu deren Prinzipien erklärte er, dass "auch die uralte deutsche Hauptsprache in ihrer natürlichen, anständigen Reinigkeit erhalten werde und nicht ein ungereimtes Mischmasch und Undeutlichkeit daraus entstehe". Leibniz - ein Vorkämpfer der deutschen Leitkultur, wenigstens der philologischen Hygiene?
Es scheint, als sei sein Kampf vergebens gewesen. Sonst müsste das Periodikum der heutigen Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften nicht 300 Jahre nach ihm so heftig bemüht sein, ein ganzes Heft mit dem Thema Wissenschaftskommunikation im Allgemeinen und mangelnde Verständlichkeit der Forscher im Besonderen zu füllen. Leibniz hatte eben einen Blick für ewige Probleme. Im Prinzip hat er uns alle durchschaut. Indem er für eine vorbildliche Wissenschaftsprosa in deutscher Sprache plädierte, nützte er der großen Mehrheit, für die Latein eine unüberwindliche Hürde, eine Abschottung des Wissens war. Zugleich traf er diejenigen, die sich nicht klar und anschaulich auszudrücken verstanden und denen der Fachjargon nur als 'homerischer Nebel' diente. "Auch in dieser Hinsicht wurde die Wissenschaft demokratischer", stellt Pörksen fest, und der Sprachkritiker und Journalist Ernst Alexander Rauter sagt es ähnlich elementar: "Bemühung um besseren Stil ist Bemühung um demokratischere Verhältnisse" - so der erste Satz seiner klugen, instruktiven Schrift Vom Umgang mit Wörtern. Wie gefährlich sich die Barrieren zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit auswirken können, beweist eine Bemerkung des Chemikers und Schriftstellers Walter E. Richartz: "Öffentlichkeit: Für den Wissenschaftler ist sie nicht existent. Wissenschaft: Für die Öffentlichkeit eine Sammlung von Reizworten." Das hat er 1980 gesagt, es mag uns heute übertrieben vorkommen. Das Kernproblem aber, dass sich zwei Welten voreinander verschließen, die im Prinzip viel miteinander zu tun haben und aufeinander angewiesen sind, ist damit nicht aus der Welt.
Einen Weg - aber auch nur einen -, das Dilemma zu lösen, öffnet die Lesbarkeits- und Verständlichkeitsforschung, wie sie Linguisten, Kommunikationsforscher und Psychologen entwickelt haben. Sie liefern Diagnose und Therapie; sie messen die Textverständlichkeit und geben Anleitungen, wie sie verbessert werden kann. Freilich erlauben es sich die Linguisten besonders gern, unverständlich zu schreiben. Für besonders schwierige Fälle namens Studenten und Professoren gibt es etliche Ratgeber. Bücher sagen ihnen, wie sie wider die Hermetik zu schreiben haben. Doktoranden und Diplomanden mögen in ihrer Examensnot zu solchen Hilfen greifen. Dass ein Professor das tut und es schafft, griffiger und verständlicher zu schreiben und sich nicht nur an seinen Zirkeln zu orientieren und nicht allein aus seinem Blickwinkel zu sprechen, ist unwahrscheinlich. Immerhin wird in Medientrainings, die es für diese heikle Zielgruppe gibt, versucht, Dozenten aller Disziplinen die Grundzüge des mediengerechten Schreibens und Sprechens zu vermitteln. Auf Boulevardniveau und in Marktschreierei will man dabei nicht abgleiten. Die Angst vieler Akademiker, sich außerhalb der Fachorgane anzubiedern, Zugeständnisse an die Seriosität zu machen und den Berg wissenschaftlicher Informationen als Monte Klamott zu sehen, wie Harald Weinrich einmal formulierte, war früher sehr groß. Damit verlor man Reputation. So meinte der Ärztefunktionär Grote noch in den 60er-Jahren: "Ich lehne den Medizinjournalismus ab, weil Medizin und Arzttum zu den zutiefst esoterischen Bereichen zählen, für die also die Massenpresse, der Rundfunk, Film oder Fernsehen niemals die rechte Plattform sein können." So elitäres Denken trägt heute die Züge der Karikatur.
Den Weg wies das, was Watson und Crick schon 1953 wagten: einen Aufsatz in Nature zu ihrer epochalen DNS-Entdeckung von etwas mehr als zwei Seiten, ohne ein einziges überflüssiges Wort, in seiner Prägnanz und zuchtvollen Form für Weinrich ein Musterbeispiel wissenschaftssprachlicher Ästhetik. Doch das spannend erzählende Buch The Double Helix, das Watson 1968 dazu schrieb, hat laut Weinrich "literarisch Sensation, wissenschaftlich aber Skandal gemacht". Es war zu unhermetisch. | |