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Handschriften zu und nach der Vorlesung über Physische Geographie: Beschreibung ›Ms Dohna‹ Fundort: Privat |
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Arnold und Elisabeth-Maria Kowalewski (Hgg): Philosophischer Kalender für 1925 im Zeichen Immanuel Kants (Berlin 1925) [164 S.].
Wilhelm Eitel: Ein Dokument zur Behandlung mineralogischer Gegenstände in Kants Vorlesungen über physische Geographie, in: Immanuel Kant. Festschrift zur zweiten Jahrhundertfeier seines Geburtstages. Herausgegeben von der Albertus-Universität in Königsberg i. Pr. (Leipzig 1924), S. 27-39.
Helmuth von Glasenapp: Kant und die Religionen des Ostens (Kitzingen / Main 1954)
Dank freundlicher Vermittlung von Ludwig zu Dohna (München) sind zu Beginn der 1980er Jahre von sämtlichen erhaltenen Kant-Nachschriften der Grafen Dohna durch die Universitätsbibliothek Marburg Filmreproduktionen für das damalige Marburger Kant-Archiv angefertigt worden. Auf einen solchen SchwarzWeiß-Film und eine kurze Autopsie gehen die im Folgenden enthaltenen Angaben zurück.
Der sorgfältig angelegte Papp-Band in Quartformat zeigt nur eine, überwiegend Current schreibende Hand; Fremdworte und Eigennamen sind meist in der heute üblichen lateinischen Ausgangsschrift festgehalten; Buchstaben des griechischen Alphabets sind sehr selten (pp. 30, 90R, 204R, 225). Beginnend mit einem nicht paginierten Titelblatt setzt eine Zählung von 31 Bogen ein (von A bis FF); der Bogen zu acht Seiten; fehlende Bezeichnungen: I (p. 63), J (p. 71), Q (p. 119), U (p. 151), CC (p. 215). Die Bogenbezeichnung ›DD‹ ist p. 233 über eine vorhergegangene ›CC‹ gesetzt. Die stets beidseitig beschriebenen Blätter sind je oben außen konsequent gezählt von 1 bis 243; die letzte Textseite ist die fünfte des Bogens FF; die verbleibenden drei Seiten sind nicht benutzt. Zusammen mit dem Titelblatt, auf dessen Rückseite ein dreispaltiges Inhaltsverzeichnis zu lesen ist, enthält der Band also 245 beschriebene Seiten. - Das in einigen Blättern sichtbare Mühlenzeichen lautet: TRUTENAU. Die durchweg geraden Kanten der Blätter zeugen von einem sauberen - nach dem Vorgang der Bindung - ausgeführten Beschnitt; p. 154 sind die anzunehmenden Ziffern »48« des Stundenzählers durch Beschnitt verloren. - Kustoden finden sich weder an Seiten- noch Bogen-Übergängen.
Bei der Niederschrift des Textes werden ein breiter äußerer und ein schmaler innen liegender Rand beachtet; beide sind durch gerade Hilfslinien vorbereitet. Die Schriftdichte ist nur anfangs kompreß; zudem sinkt die Anzahl der Zeilen je Seite zunehmend - von zunächst 24 auf schließlich 15, 16 oder gar 14 (p. 157f.). Damit einher geht eine flüchtigere Buchstabenbildung. Abbreviaturen im technischen Sinn und Siglen sind hingegegen nur spärlich (für ›und‹ und ›durch‹) gebraucht (Ausnahmen; p. 8: das alchemistische Zeichen für Wasser und einige Währungseinheiten). - Zahlreiche weitere Eigenarten der Handschrift als solcher lassen auf einen sorgfältigen und routinierten Schreiber schließen; dazu zählen insbesondere:
Weitere durchgängige Merkmale sind:
Besonders hervorzuheben sind zwei dieser im Transkript durch das Wort
›Skizze‹ ersetzten graphischen Elemente:
p. 8: die sehr fein ausgeführte Darstellung einer Taucherglocke;
p. 65: die detaillierte Zeichnung einer Rosa nautica (Windrose).
Keines dieser Elemente ist ein Specificum oder eine Novität des Ms Dohna; die
Taucherglocke findet sich auch im Ms Pillau und dem anonymen Ms 2582b der
früheren Staats- und Universitätsbliothek Königsberg (vgl. Adickes 1911); beide gehen auf die 1780er
Jahre zurück. Eine sehr einfache Darstellung der Rosa nautica findet sich schon im Ms
Hesse, p. 65. Während die Windrose als Gemeingut gelten kann, ist für die
Taucherglocke ein nicht ermitteltes Muster anzunehmen; ein Lehrbuch der Physik?
Teil 1, p. 001ff. [Physische Geographie] |
Teil 2, p. 098ff. [Naturgeschichte] |
Teil 3, p. 207-243 [Geographie] |
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Der Gliederbau zeigt eine eigentümliche Mischung von Alt und Neu zugleich: Einerseits wird die seit dem Ms Kaehler (1775 - Tractatio: Sectio I / Sectio II) eingeführte Zweiteilung der Vorlesung als Ganzer befolgt - freilich erstmals bezeichnet als ›Elementarlehre‹ (p. 7) und ›Methodenlehre‹ (p. 98). Andererseits greift der namengebende erste Teil zurück auf eben die formale Gliederung des Kantischen Konzepts zur Vorlesung, die der Kantischen Programmschrift von 1757, dem Ms Holstein (1757/59) und anderen Manuskripten des Typs A0 eigen ist. Die Anzahl der ausdrücklich so bezeichneten ›Hauptstücke‹ ist im Ms Dohna freilich nur acht und nicht neun; Grund dafür ist die Zusammenfügung zweier einstigen Hauptstücke ›Quellen und Brunnen‹ und ›Flüsse und Bäche‹ unter der neu eingeführten Rubrik: »Hydrographie«. Trotz einer weitgehenden Beibehaltung des Wortlauts der Überschriften macht der Text der Handschrift jedoch weder Anleihen bei dem Druck des Jahres 1757 noch dem handschriftlichen Konzept des Ms Holstein (1757/59). Inhaltliche Ähnlichkeiten sind freilich allenthalben gegeben. - Die einleitenden ›Prolegomena‹ (p. 1-6) bieten die schon im Ms Kaehler gegebenen zwei Abschnitte: Auf eine allgemeine, wissenschaftstheoretische Reflexion folgen mathematische Vorbegriffe.
Der zweite Teil (p. 98-207) präsentiert mit der üblichen Reihenfolge: Menschen, Tiere, Pflanzen, Mineralien. Jedoch wird - in Überschriften - eine geänderte Einteilung vorgestellt: Die etablierten drei Reiche der Natur (u. a. Linné 1758) werden - wohl in Anpassung an Gegebenheiten neuerer Lehrbücher (u. a. J. Chr. P. Erxleben 21773 und Blumenbach 1779/80) - einer Zweiteilung unterworfen. Die ›Produkte der Erde‹ (p. 98) »liessen sich in die der organisirten und unorganisirten Natur theilen«. Die anschließende Darstellung bleibt davon jedoch unbeeindruckt bis auf:Auch im - sachlich - dritten, dem geographischen Teil sind strukturelle Neuerungen zu beobachten: Die asiatischen Regionen werden auf rund 17 Seiten zwar in eben der Reihung vorgestellt, die schon im Ms Dönhoff (1782) gegeben ist. Unter ›Afrika‹ wird die südliche Kap-Region jedoch erstmals an das Ende des kurzen Stücks (p. 230-235) und nicht an den Beginn gerückt. ›Amerika‹ wird erstmals von Nord nach Süd vorgestellt, Ein neuartiger Schluß stellt (p. 241-243) Inselregionen der diesem benachbarten großen Ozeane eigens heraus: Antillen und Südsee.- Im gesamten geographischen Bereich sind - nur sehr wenige sachliche Neuerungen oder Ergänzungen zu verzeichnen: Personennamen und meist damit verbundene Hinweise auf Literatur.
Querverweise
p. 16 ⇐ p. 15 [explizit auf Seitenzahl]
p. 34 ⇐ p. 31R
p. 38 ⇐ p. 37R ??
p. 53 ⇐ p. 27
p. 107 ⇐ p. 100 ??
p. 119 ⇒ p. 120ff
p. 119 ⇒ p. 137-139
p. 119 ⇒ p. 120
p. 152 ⇒ p. 152 ??
p. 241 ⇐ p. 218
Das sehr ähnlich angelegte, sich selbst auf den Winter 1791/92 datierende Dohna-Manuskript der Kantischen Anthropologie-Vorlesung zeigt auf p. 68 in einer Marginalie zu ›Symbole‹ den folgenden Text:
Von diesen sind in besonderer Weise auffällig und aufschlußreich:
(1) p. 172 wird über eine Jagdtechnik am Kolymastrom (Sibirien) berichtet:
Der Jäger führt Gänse - versteckt unter einem gefiederten Umhang - in eine
Falle. Bei der Beschreibung dieses Vorgangs unterläuft ein Versehen, indem dieses
Verfahren mit einem anderen - gleichfalls auf Täuschung beruhenden und in
wärmeren Gefilden der Erde angewendeten - vermischt wird. Die im Grundtext begonnene
Formulierung wird dadurch unverständlich:
Offenbar haben dem Schreiber beide Darstellungen bereits schriftlich vorgelegen, als er
mit der Anfertigung des Grundtextes beschäftigt war; vermutlich in ähnlicher Weise,
wie dies im Ms Dönhoff f. 147 (Gänse am Eismeer) und f. 149
(Enten im Nil) der Fall ist.
(2) p. 41 wird das Adjektiv ›vulkanischen‹ am Ende der
fünften Zeile offenbar deswegen gestrichen, weil es schon eine Zeile zuvor und zwar
korrekt niedergeschrieben war; der Blick des Schreibers ist an dieser Stelle versehentlich
eine Zeile zurückgesprungen; er bemerkt sein Versehen, streicht das Wort und setzt
korrekt in der folgenden sechsten Zeile fort mit ›gebranntem Thon‹.
Abgesehen von einigen interessanten Details ist das wenig umfangreiche (ca. 42.000 Worte) Ms Dohna für die Rekonstruktion einer sukzessiven Konstitution des Textes einer Nachschrift von hohem Wert; für die im gegebenen Fall auch die Mitwirkung eines (erfahrenen?) Hofmeisters zu berücksichtigen ist. Hat dieser z. B. selbst einige Jahre zuvor die Kantische Vorlesung gehört, oder besitzt er gar die Nachschrift einer solchen Vorlesung, so sind gelegentliche Rückgriffe auf einen vielleicht deutlich früher entstandenen Text naheliegend.
Als Quelle zur Information über eine etwaige innere Fortentwicklung der Vorlesung für die Jahre nach dem Ms Dönhoff (1782) kann der Nachschrift Dohna jedoch nur ein - im Vergleich zu den vorausgehenden Text-Zeugen Hesse, Kaehler, Messina und Dönhoff - deutlich abfallender Wert zugemessen werden.
Datum: Mai / Juli 2018 / 22.08.2018 / 05.10.2018 / 02.08.2019