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Handschriften zu und nach der Vorlesung über Physische Geographie: Beschreibung ›Ms Wolter‹ Fundort: New York (USA) |
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Adickes 1911, S. 126: »Z ein Band von 282 Seiten, trägt auf dem Titelblatt in verzierten Buchstaben die Aufschrift ›Die physische Geographie vorgetragen vom Herrn Professor E: Kant.‹ Unten stehn - ungewiß, ob von derselben Hand oder von einer andern; die Tinte scheint dieselbe zu sein - rechts die Worte ›K. Fried. Wolter. d. G.G.B aus Curland‹, links: ›Königsberg Im SomerhalbenJahr 1796.‹ Auf der Rückseite des Blattes hat Wolter links oben seinen Namen samt der Jahreszahl 1796 noch einmal eingetragen. Das Heft selbst hat er nicht geschrieben, wohl aber manche Korrekturen in ihm angebracht und auf den Seiten 173-91, 210-21, 225-7, 256 längere und kürzere Zusätze gemacht, die teilweise die ganzen Ränder bedecken, sich bis auf den letzten auf die Uebersichten über Tier- und Pflanzenreich beziehn und manchmal wörtliche Anklänge an das Heft S aufweisen.«
Adickes 1911, S. 127: »Z 91 hat der Schreiber, verführt durch Wiederkehr
desselben Wortes, die zwischen beiden stehenden sieben Worte ausfallen lassen; dadurch
entstand eine Sinnlosigkeit, die er aber noch rechtzeitig bemerkte und durch Einschub des
Ausgelassenen beseitigte. - Z 262 sind im Anfang des Abschnitts von Afrika die
Worte: ›Die natürliche Grenze von Afrika‹ (in M 278 gerade eine Zeile
füllend) ausgelassen, wodurch der ganze Satz sinnlos wird.
§ 62. Mit Z 80 beginnt die regelmäßige fast
wörtliche Uebereinstimmung mit MNO, besonders mit M. Ueber
Z 3-80 füge ich hier gleich das Nötige bei.
Diese Seiten sind unzweifelhaft eine Kompilation, wie es scheint aus mindestens drei
Heften; letzteres deshalb, weil einige Punkte nicht weniger als dreimal behandelt sind, und
zwar so, daß die korrespondierenden Relationen durch anderweitige Themata
unterbrochen sind. [...]. Die Einleitung auf Z 1-7 kann kaum etwas anderes
sein als ein frei bearbeiteter Auszug aus einem Heft vom MNO-Typus: [...].
Die mathematische Geographie in Z 7-9 ist sehr kurz, aber im Vergleich
mit MNO selbständig.«
Durch die Einführung von zwei auch formal divergierenden Text-Typen B0 und B1 können diese Ausführungen von Adickes etwas vereinfacht werden: Wolter geht allein bis p. 40 (Articulus I: Einleitung und Meer). In den folgenden Anfangspassagen zu (Articulus II: Land) steht bis p. 80 oben der Typ B0 (Ms Kaehler, p. 130-204) im Vordergrund. Mit der Überschrift ›Von dem Waßer, was zum festen Lande gehört‹ setzt (p. 80) eine wörtliche Übereinstimmung mit dem Typ B1 (Ms Messina, p. 84) ein; die bis zum Ende des ersten Teils der Vorlesung durchgehalten wird.
Wie Messina: Typ B1
Teil 1, p. 003ff. [Physische Geographie] |
Teil 2, p. 150ff. [Naturgeschichte] |
Teil 3, p. 150 - 282 [Geographie] |
p. 85,06 ⇒ p. 32f.
p. 98,24 ⇒ p. 88f. |
Wie Ms Kaehler
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Wie Ms Kaehler
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Nicht festgestellt.
Die als Marginalien festgehaltenen sachlichen Ergänzungen zum Tier-und
Pflanzenreich gehen auf eine spätere Zeit als die des Typs B zurück. Als
Erstes (p. 173) ist die bereits mit 'Dönhoff' (f. 100') belegte
Übernahme einer ausdrücklichen Trennung zwischen gezähmten (sc. von
Menschen gezüchteten) und wilden Tieren zu erwähnen. Anhand der ebenda genannten
Zahlenangaben steht fest, daß ein Lehrstück aus Buffon ›Epochen der Natur‹
(1781) übernommen ist; ähnlich bei 'Dohna', p. 119. - Fünf
weitere Beispiele sollen hier hinreichend anzeigen, daß diese Marginialen (anders
als die des frühen Ms Hesse) auf einen Kantischen Vortrag zurückzuführen
sind.
- p. 175 wird (wie Volckmann p. 76 / Dohna, p. 125) der Büffel mit dem
Seidenschwanz (nach Pallas, Peter Simon: Beschreibung des tangutischen Büffels
mit dem Pferdeschweif, nebst allgemeinen Bemerkungen über die wilden Gattungen des
Rindviehes. Aus dem Französischen im 2ten Theil des ersten Jahrgangs der neuen
Acta Acad. Petropolitanae, in: NNB, Bd. 1 (1781), S. 1-28) erwähnt.
- p. 183: Über den Waschbär (wie Dohna, p. 137).
- p. 184: Über ein 'Tigerwolf' genanntes Tier im südlichen Afrika, das ein
Rind oder einen Ochsen forttragen könne (wie Dohna, p. 140).
- p. 184: Der besonders gesellige Neufundland-Hund (wie Dohna, p. 139).
- p. 188: wird der - auch als Longimanus bezeichnete - Gibbon genannt; ähnlich
Dönhoff, f. 120' und Dohna, p. 142.
Diese Übereinstimmungen (insbesondere mit dem Ms Dohna) entsprechen der oben zitierten Beobachtung von Adickes: »wörtliche Anklänge an das Heft S« d. i. Ms 1729 der früheren Stadtbibliothek Königsberg.
Freilich werden auch Tiere oder manche ihrer Eigenschaften erwähnt, die im heute verfügbaren Text-Korpus der Geographie-Nachschriften ansonsten nicht erscheinen; z. B. p. 176 das in Italien gehaltene Maremma-Rind.
Ganz ähnlich die Vorgehensweise zum Pflanzenreich, das zu Beginn (p. 219) einmalig ›Gewächsreich‹ genannt wird; es enthalte »Produkte zur Nahrung und Kleidung«. Damit ist zugleich die durchgehend anthropozentrische Betrachtungsweise dieses Teils der lebendigen Natur umrissen.
Überraschenderweise hat der Detailvergleich mit den übrigen Vertretern des B-Typs auch eine substantielle Ergänzung des Textes zu Tage gefördert; dies Sondergut (p. 217) stellt lediglich drei Mitte der 1770er Jahre längst bekannte Vogelarten vor.
Allem Anschein dokumentiert das Ms - wie andere Nachschriften auch - einen nicht über die Anfangspassagen reichenden Versuch einer selbständigen Nachschrift, die in eine bloße Kopie von seit der Mitte der 1770er Jahre eingeführten Texten übergeht. Da sich die Text-Typen B0 und B1 nur im ersten Teil der Vorlesung, der Physischen Geographie im engern Sinn, unterscheiden, ist das Ms Wolter lediglich eines von insgesamt sechs heute erhaltenen Manuskripten des B-Typs. Allerdings darf es als das jüngste Exemplar dieses Typs angesehen werden; denn das Matrikeldatum des zeitgenössischen Erstbesitzers deutet darauf hin, in Casimir Friedrich Wolter einen Hörer der letzten, im Sommer 1796 abgebrochenen Kantischen Vorlesung über Physische Geographie zu vermuten.
Datum: Mai / Oktober 2016 / 01.02.2019