Entlassungsgesuch der Oberhofmeisterin an Wilhelm II. wegen Unstimmigkeiten mit ihrer Dienstherrin. – Gefühl der Nutzlosigkeit. – Zurückweisung seitens der Kronprinzessin
Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster Kaiser u. König!
Allergnädigster Kaiser, König u. Herr!
Euer Majestät habe ich traurigen Herzens die Bitte vorzutragen, mich von meiner Stellung als Oberhofmeisterin bei Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Frau Kronprinzessin entheben zu wollen.
Ich bin wohl nicht die richtige Persönlichkeit denn trotz eifrigster Bemühungen ist es mir nicht gelungen, das Vertrauen meiner jungen Herrschaften zu erwerben. Und nur das kann doch der Grund sein, wenn ich jetzt seit vielen Monaten als eine vollkommen Fremde, draußenstehende behandelt werde, der niemals Zutritt zu ihrer Herrin gestattet wird, außer im allgemeinen, abendlichen Kreise - sodaß jede Gelegenheit zu irgendwelcher Besprechung fehlt –, niemals ein Wort im Vertrauen gesagt wird, niemals ein Rathschlag erlaubt war u. schließlich während dieser ganzen Zeit der Pflege u. Schonung niemals das Recht u. die Freude gewährt wurde, zur Unterhaltung der hohen Wöchnerin mit beitragen zu dürfen, während doch Außenstehende dazu heran geholt wurden. Dies Letztere bewog mich, nachdem eine wirkliche Sorge für die Gesundheit der Frau Kronprinzessin ausgeschlossen war, lieber jetzt Urlaub zu erbitten als unbefugten Augen u. Zungen Gelegenheit zu geben, über mich u. meine Stellung Glossen zu machen.
Euer Majestät, ich kann es der Frau Kronprinzessin gewiß nicht verargen, wenn Hochdieselbe Andere lieber um Sich sieht als mich, aber dann kann ich auch nicht bleiben! ich meine, es ist mit der Würde der Stellung unvereinbar, wenn die Oberhofmeisterin zwar draußen, im kleinen Häuschen wohnen darf, ihr aber täglich klar gemacht wird, daß sie nichts mit dem Hofe u. ihrer Herrin zu thun haben darf u. man ihre Anwesenheit gänzlich überflüssig findet.
Ich vermag auf diese Weise nicht das mir von Euer Majestät anvertraute Amt vor dem Gerede der Menschen zu schützen u. noch viel weniger es in der Weise auszuüben, wie es der Wunsch u. Willen Euer Majestät war! ich vermag es aber auch nicht länger mit meinen Kräften durchzuhalten — ich bin wohl leider etwas zu weich veranlagt u. habe Ihrer Kaiserlichen Hoheit zu sehr mit dem Herzen gedient! Euer Majestät, ich bin diesen Sommer alt u. dens geworden, kann wenig mehr beitragen zum „Staat“ des Hofes u. muß doch sehen, etwas Kräfte übrig zu behalten für den großen Pflichtenkreis, dem ich hier in meiner Heimath vorzustehen habe.
Trotz Allem will ich nun zwar glauben, daß die Kronprinzlichen Herrschaften gar nicht gemeint haben, direct unfreundlich gegen mich zu sein u. zu jung sind, um es nachfühlen zu können, wie tief verletzend u. schmerzlich die mir zu theil gewordene Behandlung war! ich will darum ohne Groll scheiden u. niemals aufhören, die Frau Kronprinzessin mit höchstihren reichen, wahrhaft herzerquickenden Gaben des Geistes u. Gemüthes zu lieben u. für Höchstihr Wohlergehen auch ferner zu beten!
Ich wäre darum Euer Majestät tief dankbar, wenn mein Fortgang auch äußerlich in vollem Frieden geschehen dürfte u. zum Zeichen dessen, ich während der Taufe des kleinen Prinzen meines Amtes noch walten dürfte.
Euer Majestät bitte ich um Vergebung, daß ich den in mich gestellten Erwartungen so wenig entsprochen habe.
In tiefster Ehrfurcht verharre ich als Euer Kaiserlichen u. Königlichen Majestät allerunterthänigste Dienerin
Schorssow, 3. August 1906.