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Chronologischer Zugang zur Ermittlung von literarischen Quellen zur Vorlesung über Physische Geographie. | ![]() |
Ein Wissen um literarische Quellen und mögliche Vorbilder der Vorlesung ist von erheblichem Gewicht für ihre historisch korrekte Einordnung in das Kantische Oeuvre und ihren Horizont im 18ten Jahrhundert. Anders als die von Kant im April 1757 publizierte Programm-Schrift zur Vorlesung enthält das in Gestalt des Ms Holstein überlieferte, bis zum Frühjahr 1759 in schriftlicher Form ausgearbeitete Konzept zur Vorlesung nur vergleichsweise spärliche und eher andeutende Hinweise auf Autoren und Literatur.
Eine wesentliche Schwäche sämtlicher editorischen Versuche zur Vorlesung von Rink (1802) bis Gedan (1905) ist darin zu sehen, daß keinerlei Recherchen in dieser Hinsicht angestellt worden sind. Erst Publikationen von Erich Adickes (1911-1925) und die unveröffentlichte Arbeit seines Schülers Paul Schoeck (1908) verschafften einen Einblick in den essentiell exzerpierenden Charakter des im Ms Holstein überlieferten zweiten und dritten Teils der frühen Fassung (1757/59) der Vorlesung. Rink (1802) hat diese Teile, die den drei ›Reichen der Natur‹ und den vier ›Erdteilen‹ gewidmet sind, vergleichsweise unverändert übernommen. Anders ist er im ersten, die ›Physische Geographie‹ im engeren Sinn abhandelnden Teil verfahren. In Folge dessen gelten in den Teilen II und III literar-historische Ermittlungen zum frühen Konzept der Vorlesung auch für die Rink-Edition des Jahres 1802 und sogar noch für den 1923 erschienenen Band IX der Kant-Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Denn: Der Text dieser Edition war bereits 1908 fertiggestellt und in Auflagenhöhe ausgedruckt worden. Nur im Apparat zur Ausgabe (S. 551-568 ›Die Quellen zu Kants physischer Geographie‹) hat der Herausgeber Paul Gedan die von Adickes und Schoeck beigebrachten literar-historischen Erkenntnisse nachträglich aufnehmen können.
Unerwähnt und unaufgeklärt blieb auch der wesentlich kompilatorische Charakter der Gesamtheit des Rink-Textes von 1802: Dieser enthält nicht nur Veränderungen, Zutaten und Kürzungen des Herausgebers sondern die Grundlage seiner Bearbeitung ist aus zwei chronologisch und konzeptionell deutlich zu unterscheidenden Komponenten zusammengesetzt. Die Scheidegrenze liegt zwischen den §§ 52 und 53 bzw. bei IX: 273,20/21. Dem Inhalt nach wird beginnend mit der Überschrift ›Geschichte der Quellen und Brunnen‹ auf den 1759 abgeschlossenen Exzerpt-Text zurückgegriffen. Und zwar nahezu in der Form, wie sie im Ms Holstein ab p. 39 zu lesen ist. [Vgl. die Parallel-Darstellung.] Demzufolge beziehen sich die von Paul Gedan im Apparat ab S. 557 beigebrachten Kenntnisse über die literarischen Quellen noch auf diesen Text. - Die vorausgehenden Abschnitte der Rink-Edition folgen den Anfangspassagen einer studentischen Nachschrift der Vorlesung aus der Mitte der 1770er Jahre. [Vgl. auch die Parallel-Darstellung.]
Der inzwischen erreichte Kenntnisstand zum frühen Konzept der Vorlesung läßt sich bei einigen Vereinfachungen (Periodica und nur punktuell benutzte Quellen werden ignoriert; auf eine detaillierte Zuordnung wird verzichtet.) in zusammenfassenden Tabellen darstellen.
Im Nachhinein ist insbesondere auffällig, daß drei für Teilbereiche der Vorlesung extensiv herangezogene, explizite Lehrbücher weder in der Programmschrift von 1757 noch im ausgearbeiteten Konzept der Vorlesung (Ms Holstein) genannt werden:
Auch der Umstand, daß sich im Ms Holstein kein Hinweis auf das von Abraham Gotthelf Kästner (1755) aus dem Holländischen übersetzte Lehrbuch ›Einleitung zu der mathematischen und physikalischen Kenntniß der Erdkugel‹ von Johan Lulofs befindet, ist als wichtiger Faktor mit zu berücksichtigen. Es hat in Form und Materie für Teil I des Konzeptes die Vorlage geliefert. Gleichwohl erscheint der Text einem unbefangenen, nicht mit Details der Entstehung vertrauten, späteren Leser wie ein eigenständiges Produkt des Autors Immanuel Kant. Obwohl zwei der sachkundigen Rezensenten der Rink'schen Ausgabe von 1802 den sachlich veralteten und inhomogenen Charakter der Edition erkannt haben, blieb ihnen der essentiell exzerpierende Grundzug verborgen.
Erich Adickes hat dieses Manko gehoben, allerdings ohne daß in der nachfolgenden Kant-Literatur Gewicht und Bedeutung seiner Einsichten adäquat umgesetzt worden sind. Fehlerhafte Ansichten und Meinungen zu Kant's ›Physischer Geographie‹ begegnen allenthalben. Adickes hat freilich nicht nur den textlichen Grundcharakter des von ihm so genannten frühen ›Diktat-Textes‹ freigelegt, sondern sich auch der Vorlesung insgesamt zugewendet. Er hat nahezu die gesamte Breite desjenigen literarischen Bezugsfeldes offengelegt, innerhalb dessen sich die Vorlesung im Lauf ihrer vierzigjährigen Dauer bewegt hat.
Die nachfolgend tabellarisch arrangierten, je alphabetisch geordneten Listen sollen die dargelegten Sachverhalte zugleich untermauern und die historische Abfolge der Einsichten erschliessen.
Kant (1757) | Schoeck (1908) | Adickes (1911 - 1925) |
Gedan (1923) [= AA-Kant, Bd. IX] |
Glasenapp (1954)
De Domenico (1986) |
Personen-Rink (1802)
Literatur-Rink: 1796ff. |
Zwei abschließende Hinweise scheinen hier angebracht:
16.07.2007 /.../ 26.01.2018 / 28.06.2018 | Datenschutz. |