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abgehende Arm d'Arichuna, durch den [der] Apure viel Wasser verliert. Mittags S[anta] Bárbara de Arichuna, ein Missionsdorf, 15-18 ärmliche Palmhütten, von Indios Guamos* bewohnt. Jeder Stamm hat eigene Sprache, Guamos versichern, daß sie fast kein Wort im Gespräch mit Yaruro, Otomaco ... verstehen. Cub nennen Guamos, Tuna die Chaimas das Wasser. Ob gleich bei fehlender Communikation die Sprachen sich nicht mischen, doch fast unbegreiflich, daß wir alle Meilen weit Nazionen (von 70-200! Individuen) finden, die jede andere Sprache (Sprache, nicht Dialekt) sprechen. Wie dies mit Abstammung zusammenzureimen? Wo hat jeder Hausvater in seiner Familie eine eigene Sprache gebildet? Oder giebt (gab) es irgendwo zahlreiche Nazionen, welche diese Sprachen sprechen und sind, was wir Nazionen nennen, nur ausgestoßene, übriggebliebene Horden jenes Ganzen? Wie wunderbar sind diese Horden aber durcheinander gezogen und stehen geblieben. Bei Vuelta del Cochino Roto hat [der] Fluß sich ein kürzeres, neues Bette gefurcht.

Nachts am Ufer auf [der] playa zugebracht, drei Ruder im Sande eingepflanzt und daran die drei Hamaken. Hund und Gewehr sorgfältig in der Mitte, denn [die] Indianer bemerkten [die] Spur einer Tigerin mit zwei Jungen, welche sie saufen geführt. Welche prachtvoll mondhelle Nacht! Aber kaum trat dort die 11te Stunde ein, so erhob sich im Dickicht des Waldes (der undurchdringlich ein 3 t[oisen] vor unseren Hamaken anfing) ein Lermen, das uns ebenso am Schlaf hinderte, als ein Hochzeittanz im Wirtshause. Welch ein Geschrei der wilden Thiere, Wasser- und Waldvögel. Die Indianer nannten die einzelnen Instrumente des Concerts, Araguatos (Simia seniculus, von denen gewiß viele tausende in einer Quadratmeile wohnen), das Au des Amerik[anischen] Löwen Felis concolor, das Faulthier, Crax Paují und vor allem das Katzenartige Geschrei des Tigers. Letztere näherten sich so sehr, daß unser kecker Packer sehr ängstlich zu winseln anfing. Oft kam das [23V] Tigergeschrei von hohen Bäumen herab, und alle diese hohen Herrschaften, Chiguiris, grunzende Baquirás (Sus cystifera) zogen so verwüstenden Schritts im Dickicht einher, daß man schwere Artillerie im Anzuge glaubte. Gegen Morgen wurden die Waldthiere ruhiger, aber nun ging die Nachtfischerei der Vögel auf dem Flusse und das Schnaufen der Delphin[us] Phocaena an. So meist alle folgende Nächte, nur minder Tiger wo, wie in der Nacht am 2. April, unterhalb der Isola de Carisalis, indian[ische] Conucos in der Nähe. Die Indianer stellen dem Tiger zu sehr nach, und dieser zieht sich verdrossen (obgleich sonst nach Hundefleisch besonders lüstern) in ruhigere Einsamkeit zurück.

Wir schliefen immer 12 F[uß] vom Tiger und Crocodill entfernt. Die Indianer hatten in der Nacht am 1. Apr[il] eins wie zur Wache neben unserem Boote liegen sehen. Die Crocodille sind in der Hamake unschädlich, nicht aber (wie der Pöbel glaubt) Schlangen und Tiger. In der Isla de Achaguas hat man vor wenigen Jahren Spuren eines gerissenen Menschen in der Hamake gefunden. Auch dort gesehen, daß [ein] Tiger Katzenartig ge-


*Guamos eine schwer anzusiedelnde Race. Guamos, Achaguas, Yaruros, Guajibos und Otomacos mit verschiedenen Sprachen, aber ähnlichen Sitten, vagabunden, schmutzig, allen Unflath fressend, nicht selten selbst Jucca bauend, sehr rachsüchtig, mala familia. Ursach glaub ich, weil [sie] Bewohner des unermeßlichen Llanos zwischen Meta, Apure, Guaviare [sind], heute hier, morgen 20 leguas weiter ... Dagegen sind alle Indianer der Gebirge und Wälder (Marivitanos, Maquiritares ...) kultivirter, sanfter, ackerbauend. Sie haben sich angesiedelt wegen der Schwierigkeit, sich zu bewegen. Ihre individuelle Lage hat bei ihnen früher das gesellige Leben gegründet und ausgebildet.